Mach dich Frei

Neulich las ich einen Bericht über den brand1-Autor Wolf Lotter, ich glaube, es war im „Journalist“. Fest in einem Büro sitzen und jeden Tag reinkommen, kann er sich nicht vorstellen. Und überhaupt, diese ganzen Insignien der Festanstellung – überflüssig. Genauso wie ein allzu fester Wohnort.

Ein Klient, IT-Freiberufler aus Überzeugung, erzählte mir, dass er nur aus dem Zwang heraus eine Krankenversicherung abgeschlossen hätte, wonach auch Selbstständige seit 2009 „müssen“. Bis dahin hat er auch gut ohne gelebt. Wenn er krank ist, hat er das halt selbst bezahlt. Dass die Unabhängigen dem Staat dann auf der Tasche liegen, ist kein Argument: Unabhängige achten auf ihren Geldbeutel: Ihre Haltung sorgt dafür, dass immer genug da ist, denn sonst wären sie ja nicht mehr unabhängig. Unabhängige sind immer potenziell bereit, eine Currywurstbude aufzumachen wie der Frankfurter Investor Relations Manager, der die Finanzkrise zur Neuorientierung Richtung Unabhängigkeit nutzte. Doch gerade weil Unabhängige so denken, ist die Currywurst meist eh nur ein Kopfexperiment. Gestern schrieb mir ein Testsimulationsexperte, der nach 20 Jahren seinen Job an den Nagel hängte, um nunmehr frei zu arbeiten. Die Meinungen zwischen ihm und seinem Vorgesetzten lägen zu weit auseinander. Also nimmt er sich die Freiheit, tschüss zu sagen und fortan frei zu arbeiten.

Vier Beispiele von Menschen, mit dem Karriereanker Unabhängigkeit, ein Anker, der sich für mein Empfinden in der westlichen Welt ausbreitet.  Der Karriereanker ist eine Erfindung des altwürdigen Organisationspsychologen Edgar Schein, der die modernen westlichen Karrieremodelle damit in Kategorien eingeordnet hat: Inhalt, Unabhängigkeit, Sicherheit, General Management, Unternehmerische Kreativität, Dienst für die Sache, Totale Herausforderung und Lebensstilintegration. Unabhängigkeit ist ein typischer Anker aller Daniel Pink-bewegten.  Als zweites werden diese „Pinkies“ meist von Inhalt angetrieben, das heißt es geht ihnen auch um die Sache, das Thema, was sie bearbeiten. Mal am Rande: Derzeit können meine „Likes“ bei Facebook zeitbegrenzt den Anker für sich herunterladen und einmal ausprobieren, wo sie stehen.

Die Unabhängigen breiten sich aus. Und sie sind entweder Idol (aus der Entfernung) oder Alptraum (wenn man mit ihnen zusammen arbeiten muss) der Sicherheitsorientierten und braven Karrieristen. Ihre Pippi-Langstrumpf-Haltung ist anstrengend, aber hierzulande ziemlich zeitgemäß. Es sind genau die, die das Wort Flexibilität in ihrem eigenen Sinn buchstabieren, die motiviert sind ihr Leben selbst zu gestalten, meist eine niedrige Machtdistanz haben (sich also nicht um Hierarchien scheren) und keine Angst vor den Anforderungen der neuen Arbeitswelt haben. Gerade diese Haltung führt meist dazu, dass sie finanziell besser da stehen als andere, siehe Currywurst & Co.

Ich glaube  nicht, dass eine unabhängige Haltung angeboren ist. Es ist ein Zustand, denn man „on“ schalten kann. Wer diesen Schalter umlegt, ist in unserer  schönen neuen Arbeitswelt klar im Vorteil. Oder? Freue mich auf Beiträge!


5 Kommentare zu “Mach dich Frei

  1. Gute Frage, ist die unabhängige Haltung angeboren? Ich weiß nur, dass ich schon immer einen sehr großen Freiheitsdrang bezogen auf sämtliche Lebensbereiche hatte. Ich brauche langfristig das Gefühl, ich tue gerne und freiwillig, was ich tue. Allerdings wurde mir auch ein großes Sicherheitsdenken anerzogen. Daher schwankte ich jahrelang unglücklich zerrissen zwischen beruflicher Freiheit und Sicherheit. Als ich dann den Schritt in die Selbständigkeit gewagt habe, bin ich von meiner eigenen Energie geradezu überrollt worden…
    Herzliche Grüße
    Simone Happel
    P.S.: “Pippi-Langstrumpf-Haltung” ist ein schützenswerter Begriff ;)

    • Hallo Frau Happel, angeboren? Gute Frage – ich kann sie nicht beantworten. Ein Stückweit vielleicht. Aber wohl mehr anerzogen. Stelle nämlich fest, dass Kinder von Selbstständigen sie öfter haben, was für Vererbbarkeit spricht ;-) Ihre Website habe ich mir neulich mal angeschaut wegen Twitter & weil sie mich so nett retweeten – und gedacht: das ist auch eine Pippi Langstrumpf. Die kriegen alles irgendwie hin. Und niemals halbherzig.
      herzliche Grüße

  2. Hallo Frau Hofert,

    lese Ihren Blog mit Genuss und Gewinn! Zur Frage: Natürlich haben Selbstdenker riesige Vorteile. Aber: Manche Chefs, Politiker und Stammtische, die Selbstinitiative fordern, mogeln sich damit nur um ihre eigene Verantwortung herum. Klare Führung? Denke doch selber! Mehr Arbeitsplätze? Rasier dich, strenge dich mehr an. Arbeitslose? Bemühen sich nicht genug! Ganze Legionen von Bewerbungstrainern sind beseelt von der Botschaft: Sie können mehr! Seien Sie aktiv, dann klappt es schon! Motivationstrainer leben direkt von diesem Credo.

    Klar, wir können unsere Klienten anspornen. Wir können ihnen praktikable Wege aufzeigen. Aber einen “On-”Schalter hat kein Mensch.

    • Hallo Herr Burger, das sehe ich auch so. Ich komme gerade von einem 5-Tages-Trip Rügen und habe dort u.a. ein Buch von Christian Bischoff gelesen, auch so jemand, der Selbstbestimmung als höchstes Gut preist und dieses “Sie-können-mehr”. Das gefällt mir gut – aber es dauert oft viele Jahre bis man das freisetzt; und bei manchem klappt es nie. Deshalb ist mir eine “Politik” der kleinen Schritte lieber – weil man damit mehr Menschen nicht nur in einem Vortrag begeistert, sondern auch im Leben so eher voranbringt. Und dann ist es natürlich vollkommen richtig, dass die Rahmenbedingungen da sein müssen, um sich in diese Form der Selbstbestimmung leben zu können, und die stimmen oft nicht. Aktivität reicht vielfach nicht, da haben Sie vollkommen recht. Danke für Ihren Kommentar – herzliche Grüße SH

  3. Hallo Frau Keller, ich glaube, dass man die in dem Artikel beschriebene Unabhängigkeit nicht nur in dem Reiss-Motiv findet, sondern auch in anderen (um bei Reiss zu bleiben) bzw. in einer Kombination aus verschiedenen Motiven. In einer niedrigen emotionalen Ruhe etwa. Deshalb glaube ich, dass sich bei jedem Menschen aus seinem individuellen Motiv-Profil heraus diese Form der “Freiheit” freisetzen lässt. Man kann es auch Selbstbestimmung nennen. herzliche Grüße und ganz lieben Dank für den Kommentar SH

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