Wer nichts wird, wird … Coach?

Es könnte der Eindruck entstehen, Coach sei der neue „Heiler“. Mit oder ohne spirituelle Beimischung, ganz nach Geschmack. Dabei kann man es so schön einfach werden, durch Berufung und ein wenig Geld aus dem bei Konzernen meist üppig gefüllten Abfindungstopf: 6.000 Euro oder mehr für eine „Ausbildung“ auf den Tisch, sechs Monate die Wochenenden im Dialog mit anderen eigene Stärken (neu) erfahren – und ab geht´s.

Wobei… das Wort Ausbildung schon falsch ist. Coach kann man nicht werden, es ist nichts – nichts als eine Zusatzqualifikation und ein Deckel für einen Topf, in dem die unterschiedlichsten Dinge köcheln. Und mittlerweile, ich sprach davon bereits an dieser Stelle, fast ein Schimpfwort. Coach-Bashing ist entsprechend „in“ – jüngst sprach Zeit online davon, dass von den 50.000 Coachs nur 5.000 seriös seien. Wer indes seriös von unseriös unterscheiden darf? Zumal bei einer Tätigkeit, die kein Beruf ist – in der es also auch keine Zulassungsbeschränkungen geben kann? Wenn der “Godfather of Coaching” das ist, was mein Godfather bei Twitter, dann Prost Mahlzeit (ja, ich riskiere, dass dieser Satz nur für Insider verständlich ist ;-) ).

Diese Woche kam die neue Auflage meines seit mehreren Jahren etablierten und einige Monate vergriffenen „Erfolgreiche Existenzgründung für Trainer, Berater, Coachs“  heraus.  Nun könnte man denken, ich wäre geneigt, möglichst viele Leser zu gewinnen und Menschen zu ermuntern, Coach zu werden. Leser ja, Coach – nein. Ich warne davor, sich in diesem Feld selbstständig zu machen, ohne ein wirklich schlüssiges Konzept, Firmenkunden und ein zweites und vielleicht auch drittes Standbein. Ich will Ihnen dazu eine kleine Geschichte erzählen, die Bände spricht.

Letzte Woche rief mich ein Neukunde ein. Die meisten meiner Kunden kommen über Empfehlungen, Artikel oder Bücher, oder auch alles zusammen. Ab und zu werde ich aber auch ganz klassisch gegoogelt. Dieser Kunde hatte auch gegoogelt. Ich war die dritte auf seiner Liste gewesen – und rief noch am selben Tag zurück. Die zwei vorherigen Karrierecoachs hatten das nicht getan. Mein Neukunde konnte mir später auch sagen, warum: Eine von seiner Liste hatte ihr Business zwischenzeitlich aufgegeben – die Website lebte noch. Der andere meldete sich nie.

Meine eigene Sichtbarkeit im Internet sowie die einiger anderer Kollegen suggeriert, man könne sich mit Beratung / Coaching für Privatkunden selbst verwirklichen und Geld verdienen. Doch das Wesen von Erfolgskonzepten ist ihre Einzigartigkeit. Sie sind immer nur bedingt übertragbar und vor allem ganz stark abhängig von der jeweiligen Person – und Persönlichkeit. Wer es  schaffen will, der braucht, sofern kein reicher Partner Geld regnen lässt, Durchhaltekraft und außerdem die Bereitschaft auch etwas fürs Konto zu tun anstatt nur für den Sinn des Lebens.

Mir ist kaum ein Coach begegnet, der in den ersten drei Jahren von Coaching leben konnte. Neu-Coachs mit solider Berufs- und Führungserfahrung erwarten meist Monatsgewinne (weit) jenseits der 3.000 Euro. Das kollidiert mit den realistisch zu erzielenden Stundensätzen. Zwar wäre es sinnvoll, mindestens 150 EUR die Stunde netto zu verlangen, doch durchsetzen kann das kaum jemand, erst recht nicht bei Privatkunden.  Auch Firmen zahlen längst nicht immer 250 Euro oder mehr, mir sind Fälle bekannt, da tun sich Unternehmen selbst mit 150 Euro schwer.

Diese Tatsache wird gern verschwiegen, auch von Seiten der Verbände und Ausbilder, deren „grundständisches“ Interesse das Hochhalten von Honorarniveaus ist.

„Dann spezialisiere dich doch“, empfehlen einige marketingorientierte Kollegen, teils Buchautoren.

Doch nicht wenige „spitz“ positionierte Coachs sind nach spätestens einem Jahr ohne einen einzigen Kunden und trotz toller Websites vom Markt verschwunden – oder sie machten nach einem Jahr etwas komplett anderes als geplant. Ich halte den Spezialisierungst(r)ip aus dieser Erfahrung für falsch am Anfang einer selbstständigen Laufbahn. Das lege ich auch in meinem demnächst erscheinenden Slow-Grow-Prinzip dar. Die Erklärung liegt nahe: Die ersten Aufträge kommen bei Dienstleistungen im Wissensbereich immer aus dem früheren Umfeld. Da heißt es oft: Nehmen, was kommt und was sich anbietet – und später sortieren.

Coaching- und Beratungsideen funktionieren dann besonders gut, wenn sie auf möglichst umfangreicher beruflicher Erfahrung inklusive der dazu gehörenden Kontakte basiert. Doch viele „ich werde Coach“-Vorhaben entstehen nach einem Burnout mit all seinen Konsequenzen: Auszeit, Therapie, Neuorientierung, Entdecken neuer, meist sozialer Stärken – da haben wir ihn wieder, den Heiler.  So angetriggert neigt manch einer dazu, die neuen Jobperspektiven zu mystifizieren. Doch die Wahrheit ist: schon die Heiler der Antike arbeiteten ohne Honorar.


7 Kommentare zu “Wer nichts wird, wird … Coach?

  1. Ja ja und nochmal ja! Das trifft die Realität ziemlich genau: ob ein Coach in der Lage ist, allein von diesem Geschäft dauerhaft zu leben hat weder allein mit der Honorarhöhe, noch mit seiner tatsächlichen Qualifizierung und Fähigkeit Menschen vorwärts zu bringen zu tun sondern vielmehr damit, wie lange er schon durchgehalten hat, wie viel Verkäuferblut in ihm steckt und ob er bereit ist zugunsten der Auftragslage die hehre Ziele zurück zu stecken und auch mal unrühmliches Firmen-Massen-Geschäft zu machen.
    Julia Winter
    Balance Life Coaching München

  2. Pingback: Mensch & Chance | Business Coaching zu Burnout, Karriere, Führung» Coaching Coaching etc. in den Medien » Kritischer Blick auf die Coaching-Branche

  3. DANKE für diese bereits lange überfällige Klarstellung. Nicht nur, dass nicht nachgefragte Coaches sich mit Coaching-Ausbildungen finanzieren und teils als Gurus feiern lassen, zerstören sie sich selbst den Markt, indem sie Massen an “Hobby-Coaches” produzieren, die nebenberuflich und ohne Gewerbeberechtigung für Honorarsätze unter jedem Facharbeiter-Stundenlohn agieren. Ob eine Marktbereinigung diesen Auswuchs lösen wird?
    Martina Wirth – coach4success

    • Hallo Frau Wirth, danke für Ihren Kommentar. Ich denke, wenn einige Neu-Coachs wissen, was auf sie zukommt, werden sie es lassen… Das Problem ist, dass die Ausbilder auf “Verkauf” setzen und deshalb nur begrenztes Interesse an einer realistischen Darstellung der Möglichkeiten haben. LG SH

  4. “Verkauf” fasst das Dilemma in mehrfacher Hinsicht zusammen.
    1.) Coach / Berater-Ausbilder schönen den Markt. Insofern: Super-Artikel!
    2.) Coachs, die eigentlich nichts können, aber ihre Dienste gut vermarkten, setzen sich durch.
    3.) Coachs, die viel können, aber sich schlecht vermarkten, setzen sich nicht durch.
    Die Idee, dass der Markt es richtet, gerät leider durchs Marketing ins Wanken.

  5. Um sich selbstständig zu machen btraucht es Konzept, Plan, Ressourcen, Strategie………..etc……, das ist für jede Art von Selbstständigkeit so und nichts besonderes für das Feld Coaching.

    Der Markt wird sich regulieren, wie jeder andere Markt auch, ganz normaler Prozess, frage mich weshalb Coaching da etwas besonders sein soll? Denkt mal an Fitness-Studios oder Solarien.

    @Christoph: Wie soll denn jemand, der nichts kann, außer sich gut darstellen, sich durchsetzen??????? Modell zu Guttenberg!!

    Viele Grüße
    Rolf

  6. 3000,– Euro in meine Ausbildung gesteckt und nun soll das nichts sein?
    Aber im Ernst, es gibt keinen Bereich, den ein kleiner Einzelkämpfer auf selbständiger Basis für sich alleine hat.
    Ich kenne die Probleme aus 3 verschidenen Branchen. Ich konnte in jeder dieser Felder Leben – aber irgendwann wurde es immer enger. Eine gab es zwar immer, aber zu besseren Chancen führte das nie. Ein hohes Einkommen setzte in jedem Bereich hohe “Besonderheit” voraus. Es ist mir gelungen in den vergangenen 25 Jahren 2 von 3 Unternehmen gut zu verkaufen, aber das läuft heute nicht mehr so einfach.
    Mein Tipp an alle, die es versuchen wollen: “Seid vorsichtig und gebt nicht mehr Geld aus als unbedingt nötig”
    Ich bin zurzeit in der Wirtschaft, verdiene sicheres und gutes Geld und stelle fest: “Selbständigkeit ist Sch…” Existenzängste für 2000,– Euro im Monat? Bitte nie wieder!

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