Der große Bluff mit MINT-Geruch

“Mit Karacho in den Schweinzezyklus“, schrieb Spiegel Online vorgestern. These: Durch den Ruf nach Ingenieuren steigen die Studentenzahlen in den Ingenieursfächern enorm. Das könne der Arbeitsmarkt nicht vertragen. Droht ein neues BWL? Ist was dran an der SPON-These?

So ist es jetzt: In meiner Beratung begegnen mir Maschinenbauingenieure, die 10 Bewerbungen schreiben und 10 mal eingeladen werden. Die Bewerbung kann 23 Seiten lang sein und voller Fehler; das macht nicht wirklich viel aus.

Grund für das große Begehren der Arbeitgeber ist weniger das Studium als viel mehr die Erfahrung danach oder parallel erworben. Je umfangreicher, je spezifischer, desto besser. Kommt noch Weiterbildung dazu und ein zumindest moderat kommunikatives Wesen, stehen derzeit noch viele Türen offen. Aber doch nicht alle: Aus 10 Gesprächen werden keineswegs 10 Angebote, sondern je nach Hierarchieebene nur 1 bis 5 (je höher die Position, desto geringer der letztendliche “Fit”). Auch der Ingenieur kann mal „nein“ sagen kann, wenn ihm statt Stelle eine Frechheit angeboten wird (mieses Klima, ausbeuterisches Umfeld, ätzende Arbeitsbedingungen) – was vorkommt.

Das ist etwas, was die Lobby-Verbände wie der Verband Deutscher Ingenieure VDI, die penetrant bis aggressiv nach mehr MINT brüllen, gern außer acht lassen. Die Wahrheit aber lautet: Der Arbeitgeber möchte, gestützt von den Verbänden, die Wahl haben, um die schlechten ins Kröpfchen sortieren zu können. Das geht nur, wenn er etwas zum (Aus-)Sortieren hat.

Schauen wir uns mal die Zahlen an, gute Diskussionsgrundlage ist das Papier “Ingenieurmonitor” des VDI: 31.600 Fahrzeug- und Maschinenbauingenieure scheinen zu fehlen, 18.500 Elektroingenieure und 10.500 Bauingenieure.

Doch wer hat den Ingenieuren das Rechnen beigebracht? Offenbar ein schlechter Mathelehrer. Oder sollten die Verbände für ihre Rechenexempel gar Nicht-Ingenieure beauftragt haben?

Erstens: Es werden Jobs mitgezählt für Stellen, für die gar kein Ingenieur nötig wäre, etwa für eine Vertriebsmitarbeit, die maximal Basis-Technikkenntnisse fordert. Auch der derzeit boomende Stellenmarkt für technische Redakteure verlangt Ingenieure, braucht und findet aber keine (ein Schreiberling mit Technikaffinität wäre hier die weitaus bessere Wahl).

Zweitens: Unternehmen wie Bertrandt, Yacht Teccon oder Ferchau leihen ihre Ingenieure im Bodyleasing an Unternehmen aus. Oft schreibt jeder der drei und noch andere, hier nicht genannt, die gleiche Stelle unter dem eigenen Logo aus. Das heißt: 36.000 Stellen könnten sich, falls das ausschließlich zuträfe, mit einem Schlag auf nur noch 12.000 reduzieren. Tatsache ist: Die Arbeitsagentur aber zählt jede dieser Stellen als eine.

Klar, Ingenieure sind 30% weniger von Arbeitslosigkeit betroffen. Das heißt in einer Region wie Mecklenburg-Vorpommern mit hohen Arbeitslosigkeiten liegt auch die Ingenieursarbeitslosigkeit noch hoch, in Bayern dagegen niedrig. Aber bleibt das so?

Die Wirtschaft dreht sich gerade, ich spüre die  Vorzeichen deutlich. Abbau kündigt sich an. Kaum zwei Jahre ist es her, 2008/2009, da lagen viele hochqualifizierte arbeitslose Automotive-Ingenieure  in den Wehen der Wirtschaftskrise. Da hatten wir die Abwrackprämie und ein brachliegendes Automotive-Umfeld. Diesmal wird es schlimmer, hörte ich neulich vom Vertreter einer Privatbank.

Ingenieure, der Richtung Maschinenbau ebenso wie Bau und Elektrotechnik, sind wie kaum eine andere akademische Berufsgruppe von Konjunkturschwankungen bedroht.

Aber ob sich daraus wirklich ein Schweinezyklus mit deutlichem Überangebot und schlechten Jobperspektiven wie einst bei den Juristen entwickelt, wie von  Karrierespiegel prognostiziert, bezweifle ich. Was viele noch gar nicht erkannt haben:  In der Arbeitswelt der Zukunft zählt nicht die eine Ausbildung oder das Studium, sondern entscheidend sind oft nicht eine, sondern mehrere Ausbildungen, die Erfahrung und die Persönlichkeit. Die Ausbildung ist letztendlich nur ein Stück Brot, für sich genommen maximal zum Suppetunken geeignet. Aber es gibt eben Schwarzbrot und Weißbrot. Ingenieursausbildungen werden auf lange Sicht Schwarzbrot bleiben, also gesund, wenn man was draus macht.

Letztendlich ist Weiterbildung die Butter, das Schmiermittel zur besseren Verdaulichkeit für Arbeitgeber. Wirklich schmackhaft aber ist nur der Belag.

Ohne ihn ist alles nichts.

Dickes Danke an Lars Hahn zum Feedback, für Gedankenanregungen und die kompetenten Hinweise auf Zahlen und Statistiken.


10 Kommentare zu “Der große Bluff mit MINT-Geruch

  1. “Auch der derzeit boomende Stellenmarkt für technische Redakteure verlangt Ingenieure, braucht und findet aber keine (ein Schreiberling mit Technikaffinität wäre hier die weitaus bessere Wahl).”

    Können Sie das belegen? Bzw. wo sind die Zahlen? Ich bin nämlich ein solcher auf Stellensuche :-)

    • derzeit wird massenweise auf Technischer Redakteur weitergebildet bei den Arbeitsämtern. Ist die Exit-Strategie im Medienbereich schlechthin. Das gilt hier für Hamburg und wie Lars Hahn sagte auch fürs Ruhrgebiet. Und wenn Sie sich die Zahlen anschauen, z.B. fas 1.500 offene Stellen bei Kimeta, dann muss was dran sein. LG Svenja Hofert

  2. Ich finde Ihren Artikel Klasse – Sie sprechen eine Wahrheit aus, die an vielen Stellen (Hochschulen, Agentur für Arbeit und Arbeitgeber) nicht gerne gehört wird. Wir haben das gleiche Problem mit der Lehrerausbildung: um den seit wenigen Jahren herrschenden Mangel an Chemie-, Mathe- oder Physiklehrern zu beheben wurden unzählige Studierende in ein Lehramtsstudium mit MINT gequatscht, für das sie weder geeignet sind noch interessieren sie sich dafür – und wenn sie dann mal fertig sind (so ein Studium dauert 5 Jahre) wird es zu viel davon geben! Ich sehe auch für den Ingenieursbereich schwarz – denn mittlerweile lösen sich Hochs (wir brauchen viele) und Tiefs (wir brauchen grade keine) im 3-Jahrestakt ab.

  3. Ein weiterer Aspekt, der die reinen Zahlen in anderem Licht erscheinen lässt: Viele hundert Stellen sind offen, weil nicht einfach nur ein Fahrzeugbau-Ingenieur sondern ein Ingenieur Fahrzeugbau, Entwicklung, Insassenschutz, Gurte (o.ä.) gesucht wird. Solche Arbeitsplätze können nicht durch Absolventen ausgefüllt werden. Sie müssen ebenfalls von den angeblich 36 Tausend offenen Stellen abgezogen werden.

  4. Ich habe den Artikel in SPON gerade gelesen: man wird selten so eine in allen (!) Punkten realistische Darstellung finden! Sie deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung aus 30 Jahren als jemand, der MINT-Absolventen gesucht und eingestellt hat, wie auch als “Bewerber”: das sind meine erwachsenen Kinder. Die Darstellung des VDI als Lobbistenverband der Industrie (weniger der Ingenieure) trifft den Nagel auf den Kopf. Das gleiche trifft auch auf die GdCh (Gesellschaft der Chemiker) zu, fast noch penetranter. Die Rolle der “Dienstleister” ist völlig richtig dargestellt und wahr ist auch: viele MINT-Absolveten machen Tätigkeiten (und werden für solche gesucht) für die keine MINT-Ausbidung notwendig wäre. Da ist Frust gerade für Anfänger voraussehbar und das wird zukünftig auch das weite Feld für die (Nur-) Bachelor-Absolventen sein.
    Leider versagt hier (von dieser Ausnahme bei SPON abgesehen) die Presse. Statt kritisch zu recherchieren und entsprechend zu berichten werden die PR-Aussagen der Interessenverbände wörtlich übernommen und unkommentiert als “Tatsachen” untergejubelt.
    Chapeau Frau Hofert. Sie sind wirklich vom Fach und kennen sich aus!

  5. Liebe Kommentatoren, ich habe mich sehr gefreut über die so große Zustimmung zu diesem kleinen, klaren Artikel und bedanke mich bei allen ganz herzlich. Svenja Hofert

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