„Es stimmt nicht, was in Ihrem Buch steht“, sagte mir eine Kundin und nahm auf mein Karrieremacherbuch Bezug. „Sie schreiben, die Deutschen würden die Jobs in den letzten Jahren immer öfter wechseln. Aber in dem Unternehmen, in dem ich zuletzt war, arbeiten sie alle schon seit Ewigkeiten auf den gleichen Jobs. Und das ist furchtbar, denn die arbeiten gar nicht richtig, sondern ruhen sich alle nur aus!“
Hängemattenmentalität
Im besagten Unternehmen verdienen alle Mitarbeiter weit über dem Branchenschnitt. Lange Betriebszugehörigkeit, eine gewisse Hängemattenmentalität und viel Geld – was hat das miteinander zu tun? Ich sage: Eine Menge. Deshalb schlage ich hier die große Brücke zur gestern veröffentlichten OECD-Studie, in der Deutschland einen auf den Deckel bekommt, weil die Gehaltsgräben immer größer würden.
Das besagt die OECD: Bei uns verdienen die oberen 10% mehr als achtmal so viel wie die unteren. Der Gap ist damit seit 20 Jahren kontinuierlich gewachsen. Das heißt: Am unteren Ende wird ganz wenig, am oberen ganz viel verdient. In keinem anderen Land der EU ist der Graben zwischen den Gehältern in den letzten Jahren so groß geworden. Allerdings: Das hat auch mit wachsender Teilzeitarbeit zu tun - und damit teils auch mit dem “Problem”, dass deutsche Frauen immer noch oft zuhause bleiben und danach einfache Officetätigkeiten oder Jobs im Verkauf bevorzugen – sowie der Tatsache, dass gerade Teilzeit und Niedriglohn korrelieren. Weiterhin steht Deutschland immer noch ganz gut da, nimmt man den komplizierten Gini-Koeffizienten, besser als Angestellte in den Niederlanden und etwas schlechter als die traditionell sozial gerechteren skandinavischen Ländern.
Bildungsferne Firmen
Könnte es nicht auch sein, dass das Problem gar nicht so sehr dieser Gehaltsgap ist, als vielmehr mangelnde (Weiterbildungs-)Bildungsbereitschaft, die oft einhergeht mit langen Betriebszugehörigkeiten, jedenfalls wenn die Menschen – und das kommt wie ich das sehe häufig vor – in bildungsfernen Firmen “aufwachsen”. Ja, kann man das weiterdenken Richtugn: Was nutzt die bildungsnahe Familie, wenn man danach in einem bildungsfernen Unternehmen durchgefüttert wird? Von solchen Unternehmen gibt es aus meiner Sicht eine ganze Menge. Das oben erwähnte, nicht namentlich genannte Unternehmen gehört dazu.
Zwangs-Wechsel macht bildungsbereit
Die Menschen dort verdienen weit über Branchenschnitt, weil sie nicht oft gewechselt haben. Wechsel, zumal erzwungener, führt wiederum automatisch zu einer Überprüfung der Aktualität und Arbeitsmarktrelevanz von Kenntnisse führt. Es gab dort bisher keine der sonst häufigen Umstrukturierungsmaßnahmen – der nicht ganz so schnell drehenden Branche und dem Inhaber sei Dank. Deshalb haben sich Gehälter ihre jährlichen 3-5% hochgeschaukelt, also oft genug einen Tick über dem Inflationsausgleich. Aber das Niveau der Bildung ist nicht mitgewachsen. Der Konflikt meiner leistungsorientierten Kundin zeigt das: Ihr Wunsch nach Optimierung wurde negativ aufgefasst: “Wenn Sie etwas leisten wollen, gehen Sie woanders hin“. Wenn die inhaltliche Arbeit an Bedeutung verliert, lässt nicht nur die Leistungsaffinität, sondern auch das Interesse an fachlicher und persönlicher Weiterqualifizierung nach. Statt dessen entwickelt sich besagte Hängemattenmentaltät.
Eine nicht aufgrund von Leistung, sondern aufgrund der Präsenz und Zugehörigkeit hochbezahlte Person wird sich nicht mehr vom Platz bewegen – bis sie irgendwann dann doch vor die Tür gesetzt wird, mit der Maßgabe sich nach etwas anderem umzuschauen. Und dieses andere wird, eben weil die Qualifikation nicht mehr passt, oft nur mit einem Bruchteil des vorherigen Gehalts bezahlt.
Insofern hat es diese Person aus meiner Erfahrung sehr viel schwerer, einen adäquaten Job zu finden, als jemand, der öfter gewechselt und sich den in den letzten 10 Jahren immer stärker werdenden Schwankungen angepasst hat – durch wechselnde Erfahrung und Bildung (autodidaktische zähle ich ausdrücklich dazu),
Bildung schützt vor dem Monster Niedriglohn
Es ist gar keine Frage, dass Bildung über den beruflichen Erfolg entscheidet. Es sind heute viel öfter Qualifizierungen und Anpassungsmaßnahmen nötig. Das ist der sicherste Schutz vor dem Monster Niedriglohnsektor. Das größte Problem ist dabei die fehlende Unterstützung von Bildungsbemühungen. Warum gibt es keine Bildungskredite ab 35 Jahren? Weshalb kann jemand, der mit 42 noch mal etwas studiert, nicht finanziell unterstützt werden? Warum gibt es keine Institute, die Kredite für teure Weiterbildungen vergeben (SAP kostet nun mal schnell ein paar Tausend Euro)? Warum gibt es nicht so eine Art Mikrofinanzinstitut für den Weiterbildungsbereich? Die durchschnittliche monatliche Belastung von 250-350 Euro für einen Bachelor und 350-500 Euro für einen Master können gerade diejenigen nicht wuppen, die am meisten davon profitieren würden. Wenn sie aufwachten und merkten, dass sie trotz Hängematte handeln müssen.
Spannend! Just heute erschien ein passender Newsletter: Zwischen Engagement und Demotivation.
http://www.bildungaktuell.at/magazin/zwischen-engagement-und-demotivation/007490/
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