Zukunft der Arbeit: Die einen lieben und die anderen hassen sie. Jedes Jahr mehr atypische Arbeitsverhältnisse. A-Typisch heißt: Nicht typisch. Oder auch: Unnormal, anders. Bisher. IBM plant, seine Mitarbeiter in die Cloud zu sourcen. Projektverträge statt Festanstellung. Atypisch wird typisch. Unnormal normal. Das langsame ist jetzt das andere.
Ihnen läuft der kalte Schweiß über die Stirn, wenn Sie daran denken? Gibt es denn gar keine SLOW Jobs, fragen Sie sich?
Ich hab mich für Sie umgeschaut. Dies ist Folge EINS des SLOW-WORK-Reports.
Der Notar
Meine aktuelle Hitliste der allerSLOWSTEN Jobs führt der Notar an. Letzte Woche war ich bei so jemandem, um die „Löschungsbewilligung“ für das Zwanzigstel eines Hauses ausfüllen zu lassen, das ich bis zu diesem Zeitpunkt besaß. Ich kam meine üblichen 5 Minuten nach dem vereinbarten Termin in üblicher Noslow-Hektik. Eine nette Dame an der Rezeption nahm meine Verspätung völlig entspannt, zwei weitere links und rechts stempelten SLOWLY vor sich her, während ich im Wartezimmer IN ALLER RUHE Platz nehmen durfte. Derweil wurde getippt und gedruckt, unterschrieben und versiegelt. Als die Urkunde fertig war, schritt der Notar mit breitem Lächeln auf mich zu und reichte mir seine sehr entspannte Hand mit der Kostennote (14,67 EUR). Eine Sekunde dachte ich, dass ich doch besser Jura studiert hätte, eh ich mich daran erinnerte, dass dieses Jobleben IMMER so aussehen würde, Jahr um Jahr, Tag für Tag.
Mir fiel die Statistik ein, die ich neulich zur Aktualisierung des äußerst spannenden Unterkapitels „Berufsunfähigkeitsversicherung“ für mein „Praxisbuch für Freiberufler“ gelesen hatte: Notare führten die Liste derjenigen an, die nur ein sehr geringes Risiko haben, je berufsunfähig zu werden. Depressionen und andere psychische Erkrankungen, die weit mehr als 20% aller Künstler im Laufe ihres Arbeitslebens heimsuchen – Notare bleiben verschont. Nun kann jeder Künstler werden, aber nicht jeder Notar: Ein zweites juristisches Staatsexamen muss sein, außerdem sollte gerade Bedarf an Notaren bestehen, denn die Länder reglementieren den Zugang. Schade auch.
Der Patentanwalt
Ähnlich entspannt fühlt sich mindestens aus der Ferne ein Dasein als Patentanwalt an. Kürzlich saß ich mit einem solchen beim Essen, er strahlte einen Fächer voller Ruhe aus. Mir fiel ein früherer Kunden, der sich Elterngesteuert in diese Ausbildung begeben hatte und wenig Gutes berichtet hatte. Doch sein Problem war wohl, dass er kein SLOW Jobber war – zu dynamisch, aktiv und leistungshungrig. Der Patentanwalt indes braucht eine ausgeglichene Prüfer-Mentalität (Shaper wäre vollkommen falsch an dieser Stelle). Doch auch für den Patentanwalt ist der Zugangsweg steinig: Erst mal ein Ingenieurstudium oder etwas anderes wie beispielsweise Physik; es folgen mehr als drei Jahre Ausbildung. Aber dann! Überschaubare Arbeitszeiten! Geld wie Heu. Return on Investment = very high. Und dann: Slow Life, Fitnesstudio den ganzen Tag, Mittags in Ottensen Cafe trinken und den Latte Macchiatto-Mamis zuschauen…
Steuerberater
Ausruhjobs gibt es natürlich auch in der Finanzbranche. Steuerberater wäre mein aktueller Favorit. Mit geschicktem Pricing und nach der Lektüre von Stefan Meraths „Ihr Weg zum erfolgreichen Unternehmer“ (die logische Konsequenz meines Slow-Grow) schafft man es, seine Angestellten so zu disponieren, dass man nur noch die Gespräche mit den VIPs führen muss und ansonsten einmal im Jahr seinen Otto unter die Steuererklärungen macht. (Lieber Steuerberater, ich weiß, dein Job kann richtig stressig sein – deshalb verweise ich ausdrücklich auf Herrn Merath )
SAP-Berater
Würde ich heute noch mal wählen können, fiele meine Studienentscheidung entweder auf Jura (wegen des Notars) – oder auf Informatik, weil man damit SAP-Berater werden kann. Gut, ich hätte mich durchquälen müssen. Aber die Früchte hängen hoch, u.a. am SAP-Baum. Man kann schön in einem ruhigen Winkel einer großen Firma arbeiten und niemand weiß so ganz genau, was man tut. Außer vielleicht der Projektleiter. Oder der Kollege. Ruhe satt? Nicht ganz. Dafür aber eine relative ökonomische Sicherheit. In 20 Jahren ist mir jedenfalls noch kein SAP-Berater begegnet, der lange dursten musste.
Heilpraktiker
Überschaubarkeit, Slowness… Und: Eine Stunde ist eine Stunde, und eine Stunde kostet ab 60 EUR. Ist nicht viel, aber berechenbar. Heilpraktiker ist wirklich kein sehr gut bezahlter Job, und man sollte es nicht werden mitten in Hamburg oder Berlin, wo so viele andere SLOW arbeiten wollen – aber irgendwo auf dem Land; die Ruhe ist in diese Beruf ja systemimmanent. Der ideale Job für Menschen in der zweiten Lebensphase, die Stress genug gehabt hatten, SAP-Berater zum Beispiel
Blöd nur, dass eine lange, lange Ausbildung dazu gehört. Nix da Paracelsus-Schule und Prüfung, fertig zum Erfolg. Die richtig Guten bilden sich länger als Patentanwälte und Notare zusammen. SLOW GROW.
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