„Damit kannst Du doch nichts anfangen“: Vom Sinn des Studiums ohne direkten Berufsbezug

„Damit kannst du doch gar nichts anfangen“, hören Studenten geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer schon im ersten Semester, was einige zum Selbstzweifeln, andere zur Verzweifeln und dritte zum Fachwechsel gebracht haben soll.

Muss das sein? Ich finde nicht. Es gibt unterm Strich nur wenige Fächer, die Wissen aus dem Studium unmittelbar abfragen – vor allem sind dies die Ingenieurwissenschaften.  Kaum ein Fach ist geeignet, Absolventen direkt als Arbeitskraft zu nutzen, das erklärt den Boom der dualen Studiengänge, die aus meiner Sicht vor allem zu einem geeignet sind: die frühere Ausbildung zu ersetzen. Denn an die Stelle des ehedem angesehenen Industriekaufmanns tritt heute der duale Absolvent in Wirtschaftsingenieurwesen oder BWL. Ich habe eine Pyramide beruflicher Direkt-Verwertbarkeit erstellt: Gerade die  geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer haben nun mal keinen Bezug, da hilft die Aussage der Bologna-Reformer, der Bachelor soll berufsqualifizierend sein, auch nicht weiter. Es ist ein Wunschbild. Es ist aber auch die Frage: Muss ein Studium überhaupt berufsqualifizierend sein? Ich finde: nein. Studieren wir, um Futter für den Arbeitsmarkt zu sein? Oder um unser Denkvermögen zu schulen? Die Entwicklung geht immer mehr Richtung Futter, und das macht mir etwas Sorge.

Dabei wird oft vergessen, dass nicht nur die Sozial-und Geisteswissenschaften, sondern auch Fächer wie Mathematik und Physik keiner Berufsausbildung dienen. Im Falle der Mathematiker und Physiker hat sich das deshalb bisher nicht negativ ausgewirkt, weil diese Studiengänge das analytische Denken schulen und Arbeitgeber hierin einen Mehrwert erkennen.  Den sie wirtschaftlich eben immer noch besser zu verwerten wissen (oder zu verwerten meinen) – im Moment. Die gestern im Stern veröffentlichte Jobampel scheint auf eine Veränderung hinzudeuten. Der niedrigschwelligere Abschluss durch den Bachelor erhöht die Absolventenzahlen stark.

Macht es heute noch Sinn, etwas zu studieren, das im Arbeitsleben keine Entsprechung findet? Ich finde: Möglicherweise sogar mehr als je zuvor, denn der Arbeitsmarkt ändert sich bereits und wird sich noch radikaler ändern. In „Die dritte industrielle Revolution“ entwirft Jeremy Rifkin ein Zukunftsszenario für 2050. Technik-Freaks, von denen ich einige in der Beratung habe, sagen mir, da würden sich Entwicklungen zusammenbrauen, deren allererste Anfänge wir erst sehen. Der Kochroboter, über den ich einst schrieb, sei in Anfängen längst da, schrieb ein Leser dieses Blogs.

Wir begründen unsere Annahmen stets auf den Erfahrungen der Vergangenheit. Prognosen wie die von Rifkin haben eher Unterhaltungswert, ein bisschen Science-Fiction für die Chefetage. Doch die Wahrheit ist doch:  Alte  Regeln, das sehe ich täglich, gelten immer ein klein bisschen weniger, irgendwann gibt es einen TURN OF OPINION und der gesellschaftlichen Haltung – die Exoten von einst werden Mainstream – und verschwinden dann ganz.

In 10 Jahren werden wir uns fragen, wie wir jemals so denken konnten und warum wir  unsere Kinder am liebsten alle zu Mathematikern machen wollten, wo wir doch an der Schwelle zur Sinngesellschaft mit Ideen wie dem Grundeinkommen stehen, in der das Thema „Futter“ für den Arbeitsmarkt sich fast erledigt hat …  Davon wird es dann nämlich genug geben, während die Medien ein echtes Problem haben könnten. Jetzt gerade entscheiden sich viele GEGEN einen Weg in Geistes- und Sozialwissenschaften, weil sie so oft von Ausbeute und schlechter Bezahlung gehört haben, dass der Abschreckungseffekt groß ist. Die vielfach gewählte Alternative BWL ist eine schlechte für Menschen, die sich dafür eigentlich null interessieren, denn schon jetzt ist der Überschuss in den traditionellen Einsatzfeldern groß.

Ich finde nicht, dass es egal ist, was man studiert oder lernt. Ich finde, man sollte und muss sich Gedanken machen. Aber in dem Bewusstsein, dass die Kette aus praktischen Erfahrungen, die irgendwann mal da sind und die erst im Rückblick Sinn machen entscheidend sein wird. Wo diese Erfahrungen gewonnen worden sind, ist dann unerheblich, auch ob sie bezahlt worden sind. Das Problem haben also nicht die Studenten der Geistes-, Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften – ja ich sehe diese spätestens in fünf Jahren auf einer Ebene, sondern die, die keine Interessen haben. Meine These ist sogar: Das Denken in Kategorien wie „ich muss am Arbeitsmarkt bestehen“ macht erstens unglücklich und fördert letztendlich auch das Verkümmern von Interessen.

Man macht sich derzeit viel zu viel Gedanken, um die Wahl des richtigen Studiengangs und vernachlässigt, dass man fast von überall zu einem Ziel kommen kann. Nur die Verwaltungswissenschaften und sehr spezialisierte Studiengänge sind kleine Einbahnstraßen. Drehen kann man aber auch da.

Eine Aussage im Interview mit Mirko Kaminski von achtung! gefiel mir ganz besonders: die Aussage, dass es nicht so wichtig sei, eine Metaebene zu beherrschen, im Falle eines Faches wie Kommunikationswissenschaften ist es die Metaebene Kommunikation. Praktisch kann man wenig damit anfangen zu wissen, wie Medien funktionieren, aber es schadet auch nichts.

Es gibt aus meiner Sicht heute vielleicht sogar mehr noch als früher viele gute Gründe für ein Studium, das mehr der Geistesbildung dient als der Berufsausbildung: Man lernt denken, kommt in Berührung mit Unterschiedlichkeit, verschiedenen Dingen. Einseitigkeit im Fachlichen führt auch im Denken (manchmal) zu Einseitigkeit. Für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung nicht gut.

 


5 Kommentare zu “„Damit kannst Du doch nichts anfangen“: Vom Sinn des Studiums ohne direkten Berufsbezug

  1. Ich muss zugeben, dass ich auch bei diesem Artikel zunächst das übliche GeWi-Bashing erwartet habe. Von daher bin ich natürlich mehr als erfreut, dass in den Ausführungen dem GeWi-Studium differenziert begegnet wird.

    Aus meiner Erfahrung kann ich der These, dass Netzwerke und Praxis für GeWis oftmals die einzige Chance sind, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, voll zustimmen. Studenten spezialisierte Studiengänge sind GeWis, die “irgendwas mit Medien” machen wollen schon aufgrund ihrer Kontakte gegenüber klar im Vorteil.

    Dennoch würde ich mir wünschen, dass gerade in berufsfernen Studiengängen nicht immer nur der Karrierepfad “Festanstellung” als leuchtendes Beispiel an die Wand gemalt werden. GeWis haben gerade als breit aufgestellte Dienstleister in den Bereichen Kommunikation, Projektmanagement und Strategie große Potenziale.

  2. Liebe Frau Hofert, ich muss Ihnen zum Teil widersprechen. Das Problem ist nicht das geisteswissenschaftliche Studium – sonden die Tatsache, dass viele es wählen, weil sie nicht wissen, was sie wollen, aber nach der Maxime “Hauptsache ein Studium” handeln. Auch Geisteswissenschaftler/innen müssen später arbeiten – und sollten wenigstens eine Idee davon haben, was sie später machen wollen.
    Und ein weitere Punkt: das Studium ist heute oft konsekutiv aufgebaut. Die Wahl des BA-Studiums entscheidet zu einem großen Teil über später mögliche MA-Studiengänge – und diese wiederum über mögliche Promotionen.
    Also: Geisteswissenschaften, ja! ( ich habs ja selbst studiert) – aber bitte dabei genau wissen, warum! (Was ich auch von Juristen und medizinern erwarte…)

    • Liebe Frau Dr. Reichmann, es stimmt, dass viele GeWi studieren, weil sie nicht wissen, was sie sonst machen sollen. Die hat man im Bereich BWL oder Ingenieurwissenschaften auch. Denn in den angesagten Studiengängen tummeln sich auch sehr viele Studenten, denen das nicht unbedingt Spaß macht oder die Talent dafür hätten. Ausschlaggebend sind oft nur die vermeintlichen zukünftigen Erfolgsaussichten. Deshalb muss ich Frau Hofert recht geben, dass Studenten, die keine “richtigen” Interessen haben, ein Problem bekommen könnten. Natürlich sollten auch GeWis sich Gedanken machen, wo sie eigentlich hinwollen. Trotzdem finde ich persönlich, dass das Studienfach in erster Linie Spaß machen muss. Während des Studiums sollten dann die Talente, Kompetenzen und Prioritäten klarer zutage treten. Mein Studium hat mich immer begeistert, dazu kamen weitere persönliche Interessen und Fähigkeiten. Zu Beginn wusste ich auch nicht genau, wo es hingehen soll. Nach und nach haben sich jedoch meine konkreten Ziele herauskristallisiert. Der Beitrag spricht mir jedenfalls aus der Seele :)

  3. Hallo Frau Reichmann, ich find nicht, dass das ein Widerspruch ist. Klar sollte man wissen, was man damit macht. Aber auch nicht nur daran denken, Futter für die Wirtschaft zu sein. Es muss was dazwischen geben. By the way, wissen Naturwissenschaftler oft noch viel weniger, was sie mit dem Studium wollen, so meine Erfahrung. Und Juristen wachen oft erschreckt auf, wenn sie feststellen, dass man mit Jura eben doch nicht alles machen kann. Ich finde auch nicht, dass man von einem Erstsemester erwarten kann, dass er/sie schon weiß, welche Möglichkeiten er/sie hat. Das muss man sich erschließen. Hauptsache man versackt nicht im Elfenturm des Studiums und schaut sich die Möglichkeiten an. Ich würde mir auch eine bessere Kombinierbarkeit der Bachelor- und Masterabschlüsse wünschen. LG Svenja Hofert

  4. Liebe Frau Hofert, wie gut, mal wieder einen Artikel über Studienwahl und Karrierechancen zu lesen, bei dem wichtige Aspekte des Studiums, nämlich “Bildung” und die intensive Beschäftigung mit interessanten und vielfältigen Themen, die erst in zweiter Linie etwas mit der späteren Berufstätigkeit zu tun haben, in den Vordergrund gerückt werden. Natürlich darf man als StudentIn darüber nicht ganz vergessen, nach einem Studum auch den Einstieg und Übergang in das Berufsleben zu finden. Die Wahl des Studienfachs aber hauptsächlich von den Karriereaussichten abhängig zu machen (der Schweinezyklus lässt grüßen) bringt selten echten Persönlichkeiten sondern häufig “Schmalspurkarrieristen” hervor, die nur den direkten Weg nach oben kennen (oder was sie sich darunter vorstellen).
    Viel Besser ist nach meiner Erfahrung die Wahl “geeigneter Nebenfächer” (mein Onkel riet mir z.B. vor dem Beginn meines Mathematikstudiums zu Informatik als NF, damit das nicht eine ganz so “brotlose Kunst” wird), Praktika, Ferienjobs oder studienbegleitenden Nebenbeschäftigungen. Auch wenn man damit Gefahr läuft, ein Jahr länger als vorgesehen zu studieren, erweitert man dadurch seinen Horizont und erschließt sich Betätigungsfelder, an die man vorher vielleicht nicht gedacht hat.

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