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Leseprobe 3
Das Sternblumengitter, durch das wir schließlich den Tunneln entkamen, leistete den bereits bekannten Widerstand. Ohne die Servos in Vincents Anzug und mit Rogers verletztem Arm bot das Gewicht des Gitters jedoch eine völlig neue Herausforderung. Beinahe eine unlösbare. Es war so unbeschreiblich schwer, das Gitter zu bewegen, dass ich für einen Moment befürchtete, dass wir noch für eine Weile in den Tunneln eingesperrt bleiben würden. Als sich das Gitter irgendwann tatsächlich bewegte, ließ sich sogar Roger zu einem erleichterten Schnauben verleiten.
Kurz darauf hatten wir die Tunnel verlassen. Endgültig, wie ich hoffte. Wie schon einige Male zuvor war uns auch in diesem Moment das Glück hold. Unser Ausstieg befand sich im toten Ende eines Nebengangs. Das Licht hier war spärlich, und vom sonnendurchfluteten Hauptgang aus musste es hier drin stockfinster wirken.
Eine warme, ziemlich feuchte Brise wehte zu uns herein. Sie trug fremde Geräusche und exotische Düfte zu uns. Wir hörten das Murmeln zahlreicher Stimmen, den betörenden Gesang, der mich schon unter dem letzten Gitter so fasziniert hatte, gelegentlich Schritte, und über allem ein melodisches Geräusch, das wie eine Mischung aus Vogelgesang und Grillenzirpen klang. Dazu duftete es nach sonnenwarmen Steinen, Zimt und frisch gepressten Zitronen. Die sensorischen Reize waren gleichzeitig völlig fremd und seltsam vertraut. Unwillkürlich sah ich zu Vincent hinüber. Wenn ich schon von den neuen Eindrücken überwältigt zu werden drohte, was musste er dann erst mit seinen außergewöhnlichen Sinnesverknüpfungen wahrnehmen?
Tatsächlich wirkte er angespannt. Er hatte die Augen zusammengekniffen und presste die Lippen aufeinander.
Wir sollten uns so schnell wie möglich ein neues Versteck suchen, sagte er in dem Moment. Ich bin von den neuen Eindrücken deutlich überfordert, und kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob und wann wir uns in Gefahr befinden.
Der Oberst nickte verstehend. Prüfend ließ er seinen Blick über unsere mittlerweile sehr mitgenommene Gruppe wandern. Auf mich blieben seine stechenden, grauen Augen schließlich gerichtet. Trauen Sie sich zu, die Lage zu erkunden?
Ich nickte.
Finden Sie raus, wie es draußen auf dem Gang aussieht, und suchen Sie ein geeignetes Versteck.
Ich machte mich umgehend auf den Weg. Der tote Abzweig, in dem wir uns verbargen, war nicht lang, zumindest nicht gemessen an den Strecken, die wir bisher in diesem rätselhaften Gebäude zurückgelegt hatten. Nach etwa zehn Metern berührte mich das erste Sonnenlicht, nach weiteren zwanzig befand sich der Haupttunnel unmittelbar vor mir. Instinktiv ging ich in die Hocke; eine ziemlich lächerliche Aktion, denn so, wie ich hier auf dem Präsentierteller saß, würde mich jeder Zaquin, der zufällig vorbeikam und in den Seitengang blickte, augenblicklich sehen. Mein Magen krampfte sich zusammen. Was sollte ich tun, wenn es tatsächlich dazu kam?
Bisher hatten sich die Zaquin alles andere als freundlich verhalten. Ihre aggressive Reaktion auf unsere Anwesenheit auf Hellhole ließ den Schluss zu, dass sie jeden Kontakt mit Fremden ablehnten und ihn sogar mit Gewalt zu vermeiden suchten.
Ich tastete nach dem Messer, das ich wieder in meinem Ärmel verstaut hatte. Der Gedanke, ein zwar fremdes, jedoch unschuldiges Wesen zu töten, widerstrebte mir zutiefst. Die Sicherheit meiner Begleiter ging aber vor. Im Falle einer Entdeckung waren weder Roger noch Suri in der Verfassung, zu flüchten oder zu kämpfen.
Entschlossen zog ich das Messer und schlich weiter vorwärts. Als ich vorsichtig in den größeren Gang spähte, konnte ich mir ein erleichtertes Aufseufzen nicht verkneifen. Weit und breit konnte ich keinen Zaquin entdecken. Von irgendwo weiter entfernt drang der faszinierende Gesang zu mir, doch die Sänger konnte ich nirgends ausmachen.
Der Gang, den ich ausspähte, war gut sieben Meter breit und ebenso hoch, und glich mit seiner offenen, von filigranen Bögen getragenen Seite eher einer Arkade. Bunte Kristallsplitter bedeckten in großflächigen Mosaiken den Boden, der auf der anderen Seite zwischen den Säulen von einer niedrigen, schwarz glänzenden Mauer begrenzt war. An den Kapitellen der Säulen, die die eleganten Bögen trugen, glänzten die inzwischen schon bekannten Thauleen-Masken. Die Säulen waren aus geschliffenem Kristall und brachen das Licht der Sonne. Hinter der niedrigen schwarzen Mauer schloss sich eine Art Garten an. Fremdartige Pflanzen wuchsen und blühten dort so dicht, dass ich das gegenüberliegende Ende des Gartens nicht sehen konnte. Etwa fünfzig Meter links von mir machte der Arkadengang plötzlich einen Knick nach rechts, in etwa gleicher Entfernung bog er rechts von mir nach links. Beide Winkel waren deutlich flacher als neunzig Grad, und ich wagte die Einschätzung, dass der Garten vor mir die Form eines Sechsecks von gut einhundert Metern Kantenlänge hatte. Von der sechseckigen Form mal abgesehen, erinnerte mich der Aufbau an die Kreuzgänge alter katholischer Klöster auf der Erde, von denen ich im Geschichtsunterricht gehört hatte.
Der Garten wirkte nach menschlichen Maßstäben verwildert, aber für die Zaquin mochte er genau so besonders ansprechend aussehen. Ich sah in ihm in erster Linie die Chance, ein Versteck für uns zu finden. Ich versicherte mich, dass niemand in der Nähe war, dann nahm ich Anlauf, flankte über die niedrige Mauer und landete auf dichtem, gelben Gras. Die Halme raschelten leise unter meinem Gewicht, waren aber so biegsam, dass ich keine Spuren darin hinterließ. Allerdings waren die Kanten der Halme scharf wie Rasierklingen. Allein vom kurzen Abstützen auf dem Boden hatte ich an meiner ungeschützten Hand mehrere feine Schnittwunden davongetragen. Schnell steckte ich die Hand in die Außentasche meines Anzugs, um keine verräterischen Blutspuren zu hinterlassen.
Vorsichtig, um keine der Pflanzen zu beschädigen, schlängelte ich mich weiter in den Garten hinein. Schon nach wenigen Metern konnte ich die Arkade kaum noch sehen. Ich markierte die Richtung mit einem abgebrochenen Zweig und setzte meine Suche nach einem Versteck fort.
Ich vermochte nicht zu sagen, wie lange es dauerte, bis ich zu einer Stelle kam, die geradezu ideal zu sein schien. Zuerst sah ich nur ein Gebilde, das wie ein flaschenförmiger Pilzhut aussah und in einem intensiven Pink leuchtete. Der Hut stand auf einem dicken, schwarz geschuppten Stiel und war über und über von hellgelben Ranken bewachsen, die über seinen Rand bis zum Boden wuchsen und einen natürlichen, von grünen Blüten durchsetzten Vorhang bildeten.
Ich staunte und ging neugierig näher. Das war fast zu schön, um wahr zu sein.
Das war es tatsächlich, stellte ich Sekunden später fest. Jenseits des Rankenvorhangs endete das raschelnde gelbe Gras abrupt und machte bräunlichem Moos Platz. Vorsichtig schob ich meine von Handschuh und Ärmel geschützte Hand zwischen den Ranken hindurch und drückte auf den Moosteppich. Die Mulde, die mein Finger hinterließ, füllte sich augenblicklich mit einer ölig glänzenden, ebenfalls bräunlichen Flüssigkeit. Für einen Moment war ich geneigt, den Pilz wegen dieses unschönen Effekts als Versteck zu verwerfen, doch ich hatte auch nicht unendlich Zeit, einen besseren Platz zu suchen. Meine Begleiter mussten aus dem toten Nebentunnel verschwinden, ehe jemand sie bemerkte. Damit stand meine Entscheidung fest.
Eilig suchte ich mir meinen Weg zurück, entlang der Markierungen, die ich gelegt hatte. Kurz vor der Arkade sah ich mich um.
Zumindest dachte ich, sorgfältig gewesen zu sein, als ich Anlauf nahm und über die niedrige Mauer sprang. Aber das war wohl ein Trugschluss. Kaum auf den glitzernden Bodenmosaiken des Arkadengangs gelandet, sah ich in die hellvioletten Augen eines Zaquin.
Er stand unmittelbar vor mir. Sein Gesicht war zu fremdartig, um darin zu lesen. Dass er unbeweglich wie eine Statue vor mir stand, konnte Überraschung, aber auch alles Mögliche bedeuten. Sein Mund war zu einem zähnefletschenden Grinsen verzogen.
Ich fing mich einen Lidschlag schneller als er. Ich wusste, die Zaquin kommunizierten mittels eines Schallwellenorgans, das auch Frequenzen weit jenseits des menschlichen Hörvermögens aussenden konnte. Dass ich von ihm noch keinen Schrei oder Ähnliches gehört hatte, bedeutete also nicht, dass er nicht längst Alarm geschlagen hatte. Ich musste schnell handeln und hoffen.
Meine Hand mit dem Messer zuckte vor.
Durch seine geringe Größe war es ein Leichtes, den Hals des Zaquin aufzuschlitzen.
Ohne spürbaren Widerstand fuhr die scharfe Klinge durch das Gewebe. Blut spritzte aus der zerfetzten Kehle und floss die Messerklinge entlang über meine Hand. Rotes Blut, wie das eines Menschen.
Stumm sackte der Zaquin in sich zusammen.
Ich sah auf ihn hinunter und kämpfte die Übelkeit nieder. Ich war ausgebildet, um zu töten, doch das hieß nicht, dass es mir leichtfiel. Ich atmete tief durch und kehrte zu meinen Begleitern zurück.
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