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Die Hermetische Philosophie: Auf ewig verschlossen oder eine neue Morgenröte?
Die Hermetische Philosophie:
Auf ewig verschlossen oder eine neue Morgenröte?
Wisset, alle Erforscher der Weisheit, daß das Fundament dieser Kunst, um derentwillen viele zugrunde gegangen sind, etwas Einziges ist, das stärker und erhabener ist als alle Naturen bei den Philosophen.
Aus der Turba philosophorum.
Am heutigen Abend soll einiges ge- und erklärt werden: Was steckt überhaupt hinter der Hermetischen Philosophie? Kann sie mit der uns allzu bekannten klassischen Philosophie verglichen werden? Anscheinend nicht, denn sonst führte sie nicht das Epitheton hermetisch stolz vor ihrer Brust.
Wie können wir uns am besten nähern? Lassen Sie mich einen Umweg nehmen, und zwar erkläre ich hiermit feierlich, daß ich den Teufel tun werde, mich auf rationalistischem Wege dem Kern der Hermetik zu nähern, weil eine solche Vorgehensweise zwar Ihr Verständnis sichern würde, aber kaum dem Gegenstand unserer Untersuchung gerecht wäre.
Um der Hermetik auf die Spur zu kommen, will ich in mehreren Versuchen die Grenzen umrunden, sie umschreiben, damit wir eine Vorstellung von ihrem Gebiet des Wirkens erhalten:
Der erste Versuch ist ein kurzer geschichtlicher Abriß, der in der Tat nur ein kurzes Licht auf die Hermetische Philosophie werfen kann.
Der zweite Versuch ist dann eine Erprobung ihrer Methodik. Wir wollen einem Hermetiker über die Schulter schauen, ihm bei seiner theoretischen und praktischen Arbeit begleiten.
Der dritte Versuch, denn aller guten Dinge sind drei, wird dann eher ein Resümee der vorgängigen Ausführungen sein. Es stellt sich die Frage, in gutem Einvernehmen mit dem anwesenden philosophisch geschulten Publikum, ob die Hermetik in unserer Zeit, dem orientierungslosen Trubel, noch eine eigene Wertigkeit besitzt, das heißt, ob sie als eine Wissenschaft überhaupt wird auftreten können. Wenn der letzte Halbsatz auch verdächtig an Kants Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft erinnert, so nehmen wir nicht in Anspruch, eine vollständige Bestandsaufnahme unseres Themas bewältigen zu können. Hierzu begegnen uns leider oder zum Glück (?) allzu viele Denker, Dichter und Propheten.
Säumen wir aber nicht länger und versuchen uns an einem geschichtlichen Überblick.
I. Ein-Blick in die Geschichte der Hermetik unter vielen
Wie so vieles in der abendländischen Philosophie fängt unsere Geschichte, die wir in den folgenden Minuten erzählen werden, im Griechenland der Antike an. Man könnte bereits Heraklit anführen, der wiederholterweise von späteren Philosophen als der Dunkle bezeichnet wird (so u.a. von Nietzsche). Falsch kann man diesen Bezug nicht nennen, wenn wir auch für den Vortrag unser Interesse vielmehr auf das Selbstbild (Selbstzuschreibungen) der Hermetiker lenken wollen. Für die gespannten Ohren birgt eine häretische Geistestradition, die sich nach außen hin zu ihrer Außenseiterrolle bekennt, einen größeren Anreiz als Philosophen zu bemühen, die auch fernab einer Zuordnung zur Hermetik ihren Anteil am abendländischen Diskurs haben konnten. Kurz gesagt: Uns sprechen die Rand- und Ecksteine auf dem Königsweg an. Der Königsweg oder auf gut Latein die via regia beschreibt in der Alchimie, zu der wir erst im zweiten Teil unseres Vortrags näheres erläutern werden, den äußerst mühevollen Weg, sich über die Materie zu erheben, sich an ihr abzuarbeiten und schließlich zur Transzendenz aufzusteigen. Ob nun diese Transzendenz wie in der Mystik immer auch Gott impliziert oder aber eine Selbstentwicklung zum Höheren beabsichtigt, sei zunächst dahingestellt.
Klären wir zunächst, weshalb die Hermetik unter die Häretiker fällt. Welche Gedanken wurden in ihr ausgesprochen, verschlüsselt gewiß (Daher bezieht sie unter anderem, vor allem vom heutigen alltagssprachlichen Stand aus betrachtet, ihren Namen.), aber dennoch nicht völlig irrational? Nun ist die Dichotomie rational irrational eine überkommene, will heißen: stets fortgeführte und auch langsam in die Tage gekommene Einteilung von wissenschaftlicher Welt. Sollten wir inzwischen nicht bemerkt haben, daß sich zunehmend Grenzkünstler in die Zwischenräume gezwängt haben und dort ausharren, bis ein unbescholtener Rationalist und ein Irrationalist zeitlich verschoben vorbeikommen. Diesen flüstert der Grenzkünstler Mythen ins Ohr, die sie entweder längst vergessen oder überhört haben. Beiden gemeinsam ist der starre Blick auf ihr Dogma, das sie über ihre Weltwahrnehmung stülpen, und nicht im Gegenteil das Experiment wagen; ihre Ideen, Überzeugungen oder gar Phantasien an der Welt überprüfen und schauen, ob sich eine Wirkung abzeichnet.
Häretisch wurde die Hermetik, als sie sich mit dem scholastischen Denken nicht zufrieden gab, daß Gott durch rationale Zirkelschlüsse völlig verstanden werden konnte. Die Scholastik hob sich in unerreichbare Höhen, zumindest spaltete sich die materielle und die idealische Welt; die Alchemie sprang zurück und holte das Gären und Brodeln zurück in die Naturphilosophie. Was wäre Gott ohne die Welt, auf der sich seine Wunder mannigfaltig entwickeln? Ohne Gestank gäbe es auch keine Orchideendüfte; der Mensch könnte gar nicht unterscheiden.
Die Hermetische Philosophie, der Name gibt selbstredend darüber Aufschluß, bedient sich Wege der Erkenntnis, die nicht bis auf den letzten Grund nachvollziehbar sind. Weshalb, so könnte man psychologisch fragen, fügen sich diese Denker nicht in die bewährte Erkenntnistheorie ein? Ist es ein unbeirrbarer Trotz, kluge Einsicht oder schlichtweg Unvermögen? Die jeweiligen Fälle verbieten eine allgemeine Aussage in dieser Hinsicht, doch kann man bei allen Hermetikern ohne Ausnahme ein Pochen auf die Tradition festmachen, auf die catena aurea, die goldene Kette, die vom mythischen Ursprung dieser Wissenspflege bis auf den in der jeweiligen Zeit arbeitenden Hermetiker reicht: Moses, Zoroaster, Hermes Trismegistos (Herrscher über die drei Reiche: mineralisches, animalisches und pflanzliches), Orpheus, die Sibyllen, Pythagoras und Platon. Man merkt bereits, daß die Gewährsmänner entweder aus religiösem, philosophischem oder gar mythologischem Umfeld kommen. Dabei bezeichnen die eben genannten Stifterpersönlichkeiten eine jede den Ursprung der Hermetik in verschiedenen Domänen: orientalische Religionen, Mysterienkulte, Prophetismus und griechische Philosophie. Was aber bewegt nun die Hermetiker zu einer nicht einleuchtenden, das heißt argumentativ stimmigen Weltsicht?
Meiner Meinung nach können wir die Motivation hinter diesem Bekenntnis besser verstehen, wenn wir uns auf die Renaissance in Italien des ausgehenden 15. Jahrhunderts konzentrieren, da dort der Ferment zu finden ist, der bis heute fortdauert. Während des Mittelalters finden wir den hermetischen Diskurs durchaus in der Theologie verortet eine nicht zu übergehende Zahl von Geistlichen widmete sich der Alchimie, eine der hermetischen Disziplinen, wenn sie auch oft mit der Hermetik gleichgesetzt wird (Namen wie Albertus Magnus, Abt von Sponheim, der Lehrer von Agrippa von Nettesheim). Die Alchimie ist aber nur eine der Disziplinen, darunter fallen auch noch Kabbala, Astrologie, Magie (zunächst als eine bestimmte Form der Naturphilosophie verstanden; und zwar daß die Natur voll von Signaturen wäre, die nur als Zeichen gedeutet werden müssten und man käme dann hinter das Geheimnis der Schöpfung.). In der Antike hängt die Hermetik eng mit der Gnosis zusammen, einer religiösen Strömung mit Bruchstücken aus griechischer Philosophie. Eine Einordnung dieser im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus stark bekämpften sektierischen Bewegung ist kaum möglich, da ihre Vertreter zahlreich waren. Sicher kann man aber ihren unorthodoxen Gottesbezug (im Vergleich zur sich langsam festigenden Amtskirche) festmachen: kein Vermittler zur Kontaktaufnahme mit dem Gott ist erforderlich. Auch eine gewisse Leibfeindlichkeit, die in die Schriften der Kirchenväter übernommen wurde, ist in den Texten vorzufinden. Wir werden uns nun aber nicht dezidiert mit gnostischen Textbeispielen auseinandersetzen. Die Hermetik gibt uns Rätsel genug auf.
Besonders Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola, die an der Platonischen Akademie (der wiedereröffneten) von Cosimo de Medici lehren, suchen nach einem Ausweg aus den Jahrhunderten der Scholastik, einer mehr und mehr theoretisch gewordenen Spekulation über die Gottesgründe. Durch die Eroberung Konstantinopels durch die Türken und die Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) flüchteten viele des Griechischen Mächtige und jüdische Kabbalisten nach Italien, dem Land genau auf halbem Wege von Spanien nach Byzanz. Die verloren gegangenen Texte aus der Zeit des Hellenismus und jüdische Mystik wurden einem kleinen Kreis von Spezialisten zugänglich.
Ihre Wirkung wollen wir in einzelnen Spuren auflesen und seltsamerweise kommt uns dabei der mythische oder eher götttliche Schöpfer zur Hilfe: Hermes, dessen ägyptischer Name Thot lautet, mit dem lateinischen Gott Merkur vergleichbar. Thot gilt als Begründer jeder Schriftkultur. Zugleich ist er ein Wanderer, ein Grenzgänger, der Handel betreibt. Auch der Schutzpatron der Diebe, was jetzt nicht unbedingt ein schlechtes Bild der von uns dargestellten hermetischen Tradition vermitteln soll.
Der Beginn wird eigentlich einstimmig zumindest für unsere westliche Hemisphäre in Alexandria verortet, zur Hochblüte des hellenistischen Reiches. Einer Zeit, in der die griechische Philosophie bereits wesentliche Aspekte der drei weltbewegenden Kräfte Geist (nous), Rede (logos) und Erkenntnis (gnosis) aufgedeckt und systematisiert hat. Bei Platon finden wir aber auch noch den Mythos, jenen Drang zur Erzählung, zur Verdeutlichung philosophischen Denkens und Handelns in Bildern. Das unglaublich oft zitierte Höhlengleichnis ist ein beredtes Beispiel hierfür. Für die Hermetiker ist ihre Wissenschaft eine heilige, sie sammelt nicht nur empirische Daten oder kommt den verborgenen Wegen des Nous auf die Schliche, sondern jede gewonnene Erkenntnis verändert den Menschen. Eine Trennung ist nur schlecht möglich. Eine ausschließende Logik, wie sie von Aristoteles und seinen Nachfolgern angewendet wurde und noch wird, kann die Hermetik nicht fassen.
Mircea Eliade, ein wichtiger Religionswissenschaftler, bemerkt in seinem Buch Schmiede und Alchemisten (Stuttgart _1980), man müsse sich in die zu untersuchende Welt, so gut es trotz der zeitlichen Distanz eben geht, hineinversetzen. Ein historischer Abriß setzt aber einen Ausgangspunkt voraus, von dem man die unterschiedlichen Ausformungen betrachten kann. Das muß keineswegs bewertend geschehen. Klar, wir bemühen uns um Wissenschaftlichkeit, um eine möglichst wertneutrale Aufarbeitung. Nichtsdestotrotz interessiert mich, da ich neben aller Philosophei vorwiegend künstlerisch werkend bin, eine Art von Weltaufnahme, die neben aller Wissenssicherung die Weisheit nicht übersieht. Wie verstehe ich nun die Weisheit? Verstehen kann man sie nicht, man erlangt sie durch Leben, Lesen und Lieben. Diese drei Les, also fast schon Gesetze, habe ich jüngst in einem Artikel zum sufischen Mystiker Sohrawardi angeführt, um die Pfeiler des Sufismus zu umreißen (in Anlehnung an die fünf Pfeiler des Islams). Diese drei Aspekte können in einem freien Verständnis auch für die Hermetische Philosophie stehen: das Leben überzeugt uns immer wieder, daß manche unserer Hypothesen so nicht durchführbar sind und sie einer dringlichen Revision bedürfen. Lesen tun wir alle, da machen wir uns nichts vor. Was aber dann ungeprüft in die tiefsten Hirnkammern wandert und sich dort festsetzt, läßt sich erst wieder in Selbstbesinnung mühsam entschlüsseln. Zur Kontemplation und Imagination werden wir im II. Teil noch einiges zu erörtern wissen. Die Liebe schließlich bewegt das gesamte gnostische oder alchimistische Streben: nach Erkenntnis, nach Einigung mit dem Gott (Theosophie, inniges Verhältnis zum Göttlichen), zur Natur, zur eigenen Wissenschaft. Durchgängig findet sich in der Geschichte der Hermetik ein sowohl methodisches als auch stilistisches Element (Am deutlichsten wird das natürlich in den Traktaten, die uns seit dem Altertum in die Hände gefallen sind.), das einen unübersehbaren Unterschied zur klassischen Philosophie markiert: der materielle oder der gnostische Prozeß ist nie Wissenschaft um ihrer selbst willen, das heißt ein vom Hermetiker abgesondertes Objekt, sondern er ist mit dem Untersuchten in eins. Bedenkt man die heutigen Naturwissenschaften, die ungefähr zur Zeit der Renaissance der Naturphilosophie langsam, aber sicher den Rang abliefen, so wird gerade dort (Sieht man von neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik ab. Denn wir wollen nicht die Hermetik wieder mit einer Physik, zum Beispiel, versöhnen, sondern ihre Eigenart für höchst eigene Dienste rekrutieren. Doch der Hörer gedulde sich noch.) die Trennung zwischen Experimentator und Experiment gefordert. Die Hermetik verfährt anders: die Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos, von Mensch und Kosmos, läßt eine rein auf Vernunftgründen aufbauende Argumentation nicht zu. Muß sie also spätestens ab diesem Punkt nicht ihr Recht auf den Titel Philosophie verwirken? Kann es noch eine andere Seite der Münze geben, deren Wert wir erst noch im weiteren Verlauf bilanzieren müssen?
Klärungsbedürftig wäre auf jeden Fall, warum dieser Zweig der weit verästelten Geistesgeschichte im Abendland immer noch am Weltenbaum sprießt heute zugegebenermaßen auch in einer Art (wissenschaftlicher) Subkultur, doch immerhin.
Die Geschichtswissenschaft hat es sich ja zur löblichen Aufgabe gemacht, auch die letzten verdrehten Eigenarten menschlichen Kulturschaffens aufzuzeichnen, zu archivieren, katalogisieren und zuweilen auch daran herumzurätseln. Zu Anfang dieses Teils wollten wir nur einen kleinen geschichtlichen Einblick geben, einen ausschnitthaften, um der Gesamtabsicht des Vortrags zu dienen. Zu unserem Leidweisen müssen wir eingestehen, daß wir auf kleine Abwege geraten sind, mit der innigen Hoffnung verbunden, nicht redundant an manchen Stellen geworden zu sein.
Heißt aber ein hermetischer Text Turba philosophorum (um 900) und besagt, wie der Titel vorgibt, daß hinter der Uneinigkeit der Philosophen im Grunde (also tief unten) nur eine verschiedene Ansicht des einen Urgrundes zu finden sei (Man vergleiche hierzu Jakob Böhme.), könnten wir uns beruhigt zurücklehnen und die Hermetik, ihrem Namen gemäß, als verschlossener Versuch einer Wissenschaft deuten, die unserem Verstand sei Dank inzwischen in geregelte Bahnen geleitet worden ist: eine wichtige davon die Chemie.
Damit können wir uns nicht zufrieden geben, weil ich selbst zumindest ein Kind zweier Verstehensmodelle bin: ich studiere nun einige Jahre mit einiger Müh die Philosophie und so ganz nebenbei, zumeist heimlich, widme ich mich hermetischen Studien oder Studien zur Hermetik. Wie paßt das zusammen?
Der Künstler ist es, der in den Mittelpunkt gerückt wird. Ich weiß, daß ästhetizistische Positionen spätestens nach den beiden Weltkriegen ad absurdum geführt wurden. Liest man Adornos und Horkheimers bedeutendstes Werk Dialektik der Aufklärung wissen wir, daß dunkle Lehren oft zu dunklen Taten führen. Schreibende und auch sonstige Künstler geben sich inzwischen mit weniger zufrieden. Der Hermetische Philosoph und mancher Künstler weisen in manchen Punkten ihrer kreativen Tätigkeit Parallelen auf. Schließen wir den geschichtlichen Abriß bald ab, werden wir Zeuge eines hermetischen Prozesses, dessen Sinn uns zunächst aufgrund der hellen Schrift (die Blendung durch die Buchstaben) verborgen bleibt, der aber nach Entwicklung der einzelnen Schichten einen süßen Geschmack in unseren Sinnen hinterlassen wird.
Man sei an eine Sufi-Geschichte erinnert, die schöner als wir das ausdrücken kann, was passiert, wenn einzelne Gelehrte oder vermeintliche Weise aneinander vorbeireden:
Wir kennen ein Wort, das beschreibt was wir tun und unsere Art zu denken zusammenfaßt. Das Wort heißt Anguruzuminabstafil. Und der Agha erzählte eine alte Sufi-Geschichte.
Vier Männer, ein Perser, ein Türke, ein Araber und ein Grieche waren unterwegs zu einem fernen Ort. Sie stritten sich, wie sie das einzige Geldstück, das sie noch besaßen, ausgeben sollten.
Ich möchte angur kaufen, sagte der Perser.
Ich will uzum, meinte der Türke.
Nein, ich will inab, sagte der Araber.
Ach was, sagte der Grieche, wir sollten stafil kaufen.
Ein anderer Reisender, ein Sufi, der gerade vorüberkam, sprach sie an: Gebt mir die Münze. Ich werde einen Weg finden, euer aller Wünsche zu befriedigen.
Zuerst wollten sie ihm nicht trauen, dann gaben sie ihm die Münze. Er ging zum Stand eines Obsthändlers und kaufte vier Büschel Weintrauben.
Da ist ja mein angur, sagte der Perser.
Das ist doch genau das, was ich uzum nenne, rief der Türke.
Sie haben mir inab gebracht, sagte der Araber.
Ach was, sagte der Grieche, in meiner Sprache heißt das stafil.
Die Männer ließen jeden Streit sein und teilten sich die Weintrauben.
Der Agha sprach: Die Reisenden sind vier gewöhnliche Menschen mit verschiedenen Glauben. Der Sufi zeigt ihnen, daß der Grund ihrer Religionen in Wahrheit derselbe ist. Er bietet ihnen jedoch keinen Wein an, jene Essenz, welche die innere Lehre bedeutet. Der Wein ist für ein späteres Stadium.
Bei der Hermetik zeigt sich ein religiöser Zug, in dem Sinne, daß Gottesverstehen und die Deutung seiner Geschöpfe und Natur höchstes Ziel sein muß. Trotz signifikanter Textbeispiele (Wie z.B. aus George Ripleys Cantilena: Nunmehr GOTT hat aufgethan weit die / Paradises Pforten, / Da der Glantz des hellen Monds herrlich / schien an allen Orten / Und sich immer mehr erhöht nach der Philosophen Worten / Zu dem Sonnen-Kreis, geziert mit rubinten güldnen Borten. // Dieses Königs Wapen war der vier Elementen Zeichen; /Mitten eine Jungfrau stund, so nicht hatte ihresgleichen; / Weiß und rohter Rosen voll abgebrochen / von den Sträuchen, / So die Krafft der Quintessenz thäten völliglich reichen.) gibt es auch eine Deutung zur Hermetik, daß sie nicht nur religiös, sondern vor allem auch aus einem Umgang mit metallurgischen Techniken und den Elementen entstanden ist (vgl. hierzu Eliade 1980).
Sie entstand aus dringenden Anforderungen, die lebensbedrohende Gefahr abzuwenden.
In einem Kommentar zu Zosimos steht: Die Erfahrung ist die große Lehrmeisterin, denn auf der Grundlage der erprobten Resultate lehrt sie den Verständigen, was am besten zum Ziele führt.
Kann man also die Hermetik als eine Erfahrungswissenschaft einordnen? Zumindest die laborantische Seite der Alchemie läßt eine solche Schlußfolgerung zu. In Anbetracht der Naturphilosophie kann man sich fragen, inwiefern eine Untersuchung von Stoffen in Retorten mit Philosophie, einer Tradition des (nachvollziehbaren) Denkens, zu tun hat. Philosophen begnügen sich in der Regel auf ihr Papier, auf den Kopf und selbstverständlich auf die Vernunft. Zwischendurch gab es immer mal wieder Philosophen, die auch literarisch zugange waren (Wie der werte Herr Nietzsche.), aber sich ansonsten mit Gedankenmodellen zufrieden gaben.
Können wir aber jetzt der Hermetischen Philosophie wirklich in all ihren Einzelaspekten nachgehen? Nein, das wäre für den heutigen Abend eine Aufgabe, die mich unweigerlich an den Rand des Wahnsinns führen würde. Das steht fest. Andererseits gibt sich das hier versammelte Plenum nicht mit einem nur oberflächlichen Streifen des Themas zufrieden. Ja, wenn ich mich schon dazu bereit erkläre, Aufklärung zu verschaffen, muß ich mich auch dazu bekennen.
Am liebsten würde ich, der ich Praktiker durch die eigene Kunst bin, auf diverse geschichtliche Abhandlungen verweisen, die aufgrund des höheren Alters ihrer Verfasser auch umfassender als meine bescheidenen Versuche sind. Doch darf mein Stand am Beginn einer langen Reise keine Entschuldigung für ein Übergehen der Geschichte liefern. Ich sollte mich auf wesentliche Aspekte konzentrieren. In der Philosophiegeschichte ist es üblich, auf Namen zu verweisen. Nennte ich jetzt aber Namen, unzählige bekannten sich zur Hermetik, wäre der gesunden Neugierde der Hörer nicht gedient. Wie also aus dieser Zwangslage entkommen, ohne schließlich nackt dazustehen?
Für solche Situationen habe ich mir einen Zugang entwickelt, der einerseits der Ver-Dichtung eines Themas nachkommt, also die wesentlichen, für meinen Ansatz essentiellen, Punkte herauskristallisiert, und der andererseits sich selbst der intensiven Beschäftigung mit dem Thema Hermetik und Alchimie verdankt. Ausführlich gehe ich auf die Methodik in meiner diesen Jahres erschienenen Schrift Notatur für einen investigativen Journalismus ein.
Verdichtung bedeutet nicht nur die Zusammenführung verschiedener Fäden zu einer verständlichen Aussage, einem dénouement oder zu einer Pointe, sondern auch die Literarisierung derselben. Wie ist dieses zu verstehen? Inspiration in Wissenschaften, die sich explizit mit Kultur auseinandersetzen, kann nicht allein durch positivistisches Sammeln divergentester Fakten erfolgen, sondern muß vielmehr dem historisch, epistemologisch und empirisch vorhandenen Material eine synthetisierende Perspektive angedeihen lassen. Das hört sich jetzt furchtbar spekulativ an... und gerade dieser Vorwurf wird mir im folgenden als Energiemodulator für meine Ausführungen zur Hermetik dienen. Diese Perspektive, die auf das vorhandene Material angewendet wird, bereitet es auf, trennt die bedeutsamen von den trivialen Details ab und filtert letztlich ein (vorläufiges) Resultat heraus. Diese Vorgehensweise kann sich nicht eindeutig von der hermetischen Tradition lossagen, denn auch sie legt Wert auf einen Prozeß, auf eine Synthese am Schluß der Transmutation. Sie drückt eine beinahe zirkuläre Prozessualität aus. Wenn man lange genug schaut, findet man diese Methodik aber auch in der klassisch (gewordenen) Philosophie. Hierzu benötigt man keine Hermetische Philosophie, die sich zuweilen doch sehr chiffriert gibt (was erst im zweiten Teil dieses Vortrags erörtert werden soll).
Wenn wir aber zuvor vom Nous, Logos und Gnosis gesprochen haben, so wurde der Mythos eher nebenbei erwähnt. Durch die Jahrhunderte, gar Jahrtausende, zieht sich eine rationalistische Tradition, die von reiner Spekulation (Dieses Wort wird alltagssprachlich auch eindeutig pejorativ benutzt.) entweder nichts wissen will oder sie abkanzelt. So findet man durchweg eine gesunde Skepsis gegenüber den Schwärmern, wie sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts genannt wurden. Kants Schrift gegen Swedenborgs Visionen und Engelsgespräche (Träume eines Geistersehers, Erstdruck 1766) drückt sich in dieser Hinsicht klar aus:
Das Schattenreich ist das Paradies der Phantasten. Hier finden sie ein unbegrenztes Land, wo sie sich nach Belieben anbauen können. Hypochondrische Dünste, Ammenmärchen und Klosterwunder lassen es ihnen an Bauzeug nicht ermangeln. Die Philosophen zeichnen den Grundriß und andern ihn wiederum, oder verwerfen ihn, wie ihre Gewohnheit ist.
Diese Unklarheit wollen wir gar nicht absprechen, doch muß man Kants Kritik aus seiner geistesgeschichtlichen Position verstehen: Nach einer Aufklärung, einer Erhellung über die irrationalen Seiten der Religion, ist ein Rückfall in Spekulationen nicht gestattet. Weiter unten begründet Kant seine Kritik: diese Spekulationen drängen auch selbst in Lehrverfassungen ein. Das kann nicht statt haben; darin stimmen wir seiner Kritik zu.
Im folgenden werden wir versuchen, darzulegen, auf welchem Gebiet die Hermetik, frei nach Paracelsus, Früchte zeitigen kann.
II. Wie die Hermetische Philosophie zu ihren Erkenntnissen gelangt
Bevor wir uns einigen Hermetismen und ihrem Denk-Kosmos nähern, wollen wir noch einige bedeutende Schriften nennen, die einen quasi-mythischen Stellenwert in der Geschichte der Hermetischen Philosophie eingenommen haben.
Zunächst wäre die Tabula Smaragdina genannt, deren Materialität nicht ganz klar ist. Eine smaragdene Tafel, die scheinbar auf eine Art Tontafel aus Mineral hinweist. Nicht ein beliebiges Mineral, sondern ein gerne auch für Schmuck benutzter Edelstein. Lassen wir die Symbolik des Smaragds mal außer Acht, so erinnert das Format der Tafel an die mosaischen Gesetzestafeln.
Die dreizehn Gebote dieser Tafel wurden seit ihrer Bekanntmachung immer wieder als Basis für alle Geistesanstrengungen bemüht:
1. Wahr, ohne Lüge, sicher und ganz wahr.
2. Was unten ist, ist wie das, was oben ist, und was oben ist, ist wie das, was unten ist, zur Vollendung der Wunder eines einzigen Dings.
3. Und wie alle Dinge von Einem geschaffen worden sind, durch die Meditation des Einen, so sind alle Dinge aus diesem einen Ding entstanden durch Anpassung.
4. Sein Vater ist die Sonne, seine Mutter der Mond, der Wind hat es in seinem Bauch getragen. Die Erde ist seine Amme.
5. Es ist der Vater aller Talismane der ganzen Welt.
6. Seine Kraft ist vollkommen, wenn sie sich zur Erde gekehrt hat.
7. Du wirst die Erde vom Feuer trennen, das Feine vom Dichten, sanft mit gutem Bedacht.
8. Es steigt von der Erde zum Himmel und steigt wieder auf die Erde herab und empfängt die Kraft der Oberen und Unteren. So wirst du die Herrlichkeit der ganzen Welt haben. Daher fliehe von dir alle Dunkelheit.
9. Es ist der ganzen Kraft starke Kraft: weil es jede feine Ding besiegen und jedes feste Ding durchdringen wird.
10. So ist die Welt geschaffen worden.
11. Davon lassen sich wunderbare Anpassungen machen auf solche Weise.
12. Daher bin ich Hermes Trismegistos genannt, der die drei Teile der Weisheit der ganzen Welt besitzt.
13. Vollendet ist, was ich gesagt habe von der Herstellung der Sonne.
Die Entscheidung, ob das reine Kosmologie ist, die starke poetische Bilder anführt oder aber eine gewisse Art von philosophischem Denken, der metaphysischen Spekulation, fällt nicht unbedingt leicht. Erschwerend kommt noch hinzu, daß diese dreizehn Sätze in der Alchemie eine starke Rolle spielten. Sind es unter Umständen chiffrierte Rezepturen, die der Kundige zu übertragen weiß?
Mit diesen Fragen an die Tabula Smaragdina, die genauso an die Sammlung von Texten unter dem Namen Corpus Hermeticum (entstanden im 2. und 3. Jahrhundert n.Chr.) gestellt werden können, bewegen wir uns bereits in den labyrinthischen Gängen der Hermetik. Sie schirmt sich ab, gibt ihr hart erworbenes Wissen nur an auserwählte Initiierte weiter. Ein Zustand, der uns wie schon oft zuvor, davon abbringen müßte, der Hermetischen Philosophie die Zuordnung zum ehrenwerten Freundeskreis der Sophie zuzulassen, denn Sophie ist keine Windbraut (vgl. den vierten Satz der Tabula), sondern eine hart zu umwerbende Frau, die sich nur durch durchdachte Werbung zu einem Blick auf uns bewegen läßt.
Welche Charakteristika kennzeichnen das hermetische Weltbild, wie es sich uns heute darstellt? Zunächst führen wir eine von Antoine Faivre, einem anerkannten Forscher der Sorbonne auf dem Gebiet der Esoterik, aufgestellte Merkmalsliste an:
1. Die Idee der Korrespondenzen: Universelle Interdependenz zwischen Mikro- und Makrokosmos. Die gesamte Welt ist von Entsprechungen durchzogen.
2. Lebendige Natur: Alles in der Natur ist belebt, durch sie strömt ein verborgenes Licht, das durch magia erkannt werden kann. Magia, wie sie die Renaissancephilosophen verstanden, ist sowohl das Wissen um die Bezüge als auch die Operationen, die mit diesem Wissen angestellt werden kann. Da kann zugleich auf eine alchimistische Weisheit verwiesen werden, daß die Natur in ihrem Prozeß vom Künstler (dem Hermetiker) unterstützt werden muß. Schwarze Magie wäre es, gegen die Natur vorzugehen, wie es in den heutigen Naturwissenschaften gang und gebe ist.
3. Imagination und Mediation. Die Imagination ist ein Erkenntnisinstrument der Seele, das die verschiedenen Realitätsebenen durchschreiten kann. Die Mediation stellt das Bindeglied zwischen der Imagination und Welt dar: Rituale, symbolische Bilder, Nummern, Mandalas, Mittlerwesen (wie Engel, Dämonen oder Geister).
4. Die Erfahrung der Transmutation. Menschen und auch die Natur (unter alchemischem Aspekt) sind Veränderungen ausgesetzt. Dabei wird die Transmutation in andere Stoffe oder eine Umwandlung des Charakters einer Sache nicht in linear-kausalem Fortschreiten verstanden. Stattdessen stoßen wir auf ein zirkuläres Zeitverständnis, wenn aus der uranfänglichen prima materia wiederum eine massa confusa wird, aus der erneut Neues entstehen kann.
Die Kreisvorstellung, die sich schön im Bild der sich in den eigenen Schwanz beißenden Schlange (ouroboros) niederschlägt, begründet auch die Bezeichnung der Hermetik als philosopha perennis. Eine Philosophie, die sich mit ewigen, immer wiederkehrenden Bildern auseinandersetzt. Sie setzt nicht allzu viel Wert auf eine völlige Neubegründung der Weltwahrnehmung.
Der stark religiöse oder zumindest spirituelle Anteil wurde bereits herausgestellt. Bei Jakob Böhmes Aurora oder Morgenröte stoßen wir auf Sentenzen der Theosophie: Wie hat Gott die Welt erschaffen und wie können wir durch Kontemplation auf seine Mysterien stoßen? Keinesfalls philosophiert aber Böhme über diese metaphysischen Positionen, um sie für sich stehen zu lassen. Sein eigenes Leben soll damit bemeistert werden. In der späteren Aufklärung des 18. Jahrhunderts finden sich solche ethischen Forderungen nicht weniger, doch verfährt die Hermetische Philosophie mit ihren im wahrsten Sinne des Wortes mysteriösen Elementen anders. Sie kann, wird sie in ihrer eigenen Diskursivität, in ihrem eigenen Experimentalfeld verstanden, nicht zu unbedingtem technischen Fortschritt beitragen. Sie widerstrebt einer pragmatisch-ökonomischen Verwertung. Entbehrt sie somit, in letzter Konsequenz, jeglicher Relevanz für das wissenschaftliche Arbeiten? Wissenschaft muß, da sind wir uns einig, auch die Grundlagenforschung, Ergebnisse vorweisen können. Wie steht es aber nun um die Hermetik?
Lassen wir einen Berufeneren aus der Übergangszeit des Mittelalters in eine andere Zeit für uns sprechen:
Ihr müßt zugeben, daß unsere Augen nit durch die Haut gehen, drum sollen wir uns nit zu viel in die Spekulation geben, sondern gewaltig den vier Elementen nachgründen.
Ich sage euch, mit euerm Spekulieren bis an den jüngsten Tag, ohne Lernen, Sehen und treffliche Übung, ist euer keiner einen Heller wert.
Ich bekenn, daß die Sachen müssen gespekuliert werden, aber so, daß sich die Spekulaz aus der Praktik erhebe.
Zween Wege sind, aus denen alle Künste entspringen, obwohl der eine der beiden die Künste falsch vorlegt, das ist der Weg des menschlichen Nachsinnens und der eigenen, vorgenommenen Phantasei. Der andere Weg ist, daß der Mensch aus der Erfahrenheit und dem Gegenwurf der Natur seine Lehre augenscheinlich und greiflich nimmt, und aus dem, was die Erfahrenheit ihm vor Augen stellt, vollbringt er sein Suchen. So wird der eine aus sich selber gelehrt, der andere aus dem Gegenwurfe der Erfahrenheit. In diesen zweien Wegen werden geschrieben die Bücher der Philosophei, der Arznei und Astronomei und andere mehr, - woraus dann folgt, daß in der Philosophei, Arznei und Astronomei Falsches und Gerechtes gefunden und gelesen wird.
Das Philosophische in der Hermetik ist unseren eigenen Studien zufolge eine Verdichtung der Welt. Wie wir zuvor ausgeführt haben, besitzt die Verdichtung eine zweischneidige Ausprägung. Ehrlich eingestanden, läßt sich eine hermetische Philosophie trotz des gestiegenen Interesses an esoterischen Denktraditionen nicht an einer Akademie betreiben. Sie fordert nämlich nicht nur eine historisch-systematische Erfassung, sondern eine Anteilnahme am Werdensprozeß. Sie entwickelte sich partiell komplementär, partiell konträr zu den zwei Säulen, auf denen sich die westliche Gesellschaft in Angelegenheiten der Erkenntnis ausruhen konnte: Glaube und Verstand. Die Absichten waren erhaben, doch es zeigte sich, daß im Menschen eine Kraft nicht zu rumoren endete, die sich einer vollständig aufgearbeiteten Wirklichkeit entgegenstellt. Die Dichotomie wirkt zugegebenermaßen recht pauschal. Bei genauerer Prüfung müßte bei auch heute noch ernstzunehmenden Hermetikern eine enge Verschwisterung mit dem Glauben und Verstand gefunden werden. Alles andere wäre rein dogmatischer Überzeugung geschuldet. So wie die europäische Romantik keine schroffe Absage an die Aufklärung erteilte, können auch Hermetiker nicht auf ein, nach heutigem Verständnis, irrationales Weltbild beschränkt werden.
Der Prozeß, von dem wir so viel geredet haben, müßte doch nach gewissen Kriterien vonstatten gehen, wenn die Hermetik eine erkennbare Strömung durch die Zeiten gewesen sein soll. Es ist für Studenten der Menschheitsgeschichte schlecht vorstellbar, daß sich Scharen von Denkern mit Philosophemen auseinandergesetzt haben, ohne zu bemerken, einem Schabernack aufgesessen zu sein.
In der Alchemie findet sich, allein schon aufgrund ihrer experimentellen Seite, ein Prozeß, der durch sieben Stufen der Läuterung geht. Zugleich stoßen wir auf vier Stufen, die oftmals auch untrennbar ineinander übergehen, denn die Hermetik zeichnet sich, sofern die bestehenden Dokumente nicht in einer neuen Sprache, einer neuen begrifflichen Systematik, geordnet werden, durch eine oftmals willkürliche Bezeichnung aus. Durch Pionierarbeiten wie von Carl Gustav Jung in der Tiefenpsychologie mit seinem Werk Psychologie und Alchemie und Julius Evola in der traditionalistischen Religionswissenschaft mit Die Hermetische Tradition. Von der alchemistischen Umwandlung der Metalle und des Menschen in Gold ist eine Arbeit im vor-wissenschaftlichen Bereich mit der Hermetik durchaus möglich. Abhandlungen zum Einfluß der Alchemie auf Künstler aller Arten gibt es im Überfluß.
Es nimmt kein Wunder, daß dem so ist, denn der Weg zum Stein der Weisen geht über vier Phasen, die dem künstlerischen Transformationsprozeß von der ersten Idee zum fertigen Werk verdächtig ähnelt:
1. Die nigredo, Schwärze: Das anfängliche Chaos, aus dem mancher Kosmogonie zufolge, das Universum entstanden sein soll. Die Urmaterie, die überall und doch nirgends ist, und von der die Hermetiker überzeugt sind, daß sie zu ihrem göttlichen telos geführt werden soll. Die Nacht, die erste Regung, die erst noch dumpf tief im inneren Selbst auf Ausprägung wartet, ein Brüten, die potentia, die erst noch hervorgekitzelt, zur Vollendung gebracht werden muß. Darstellung durch tintenfarbigen Zwerg, der dem Dichter blöde Feixen zeigt.
2. Die albedo, Weiße Die massa confusa soll geordnet werden, indem geschieden wird. Steht der Hermetiker einer ununterschiedenen Masse an Ideen gegenüber, muß er mit den Methoden der Destillation (runter), Sublimation (hoch), Kalzination ( ), Digestion (Verwesung, Fäulnis) und noch weiteren sein Gebiet eingrenzen. Interessant, daß durch die Scheidung und Verfeinerung des vorliegenden Stoffs nach und nach der Weg zum Stein der Weisen beschritten wird, wobei auch unklar ist, ob dieser in der Tat ein Stein ist, oder nicht wie in vielen alchimischen Texten beschrieben eine Tinktur oder gar Pulver. Symbolische Darstellung durch eine weiße Rose.
3. Die rubedo, Röte: um das Werk abzuschließen und die Gegensätze zu vereinigen (coniunctio oppositorum), muß eine Energie in die vor sich hin laborierenden Elemente fahren. Diese Rolle übernimmt Mercurius, der Götterbote Merkur, der uns aus der römischen Mythologie bekannt ist. In dieser Allegorie spiegelt sich, sehr kompakt verpackt, die gesamte Vielfalt der Ebenen im alchimistischen Werk wieder: nicht nur, daß Merkur mit dem chemischen Element Quecksilber in Verbindung gebracht wird, er ist zudem göttlicher Vermittler und macht damit seiner etymo-logischen und kulturellen Wortgestalt alle Ehre. Symbole Darstellung durch den Löwen, der für die Königliche Kunst steht. Königliche Kunst vor allem deshalb, weil der Hermetiker dem Gott gleichkommen möchte, ein faustischer Zug durchzieht die gesamte Alchemiegeschichte.
Man vergleiche hierzu zwei Aussagen aus dem Corpus Hermeticum:
Der Mensch steht nicht tiefer, weil er ein sterbliches Element in sich trägt, sondern im Gegenteil, diese Sterblichkeit erhöht seine Möglichkeiten und seine Macht. Sein zweifacher Wirkungsbereich ist ihm nur auf Grund seiner zweifachen Natur gegeben. Er ist so ausgestattet, daß er gleichzeitig das Irdische und das Göttliche in sich faßt.
Ja, wir fürchten uns nicht davor, die Wahrheit auszusprechen. Der wahre Mensch steht über ihnen (den himmlischen Göttern) oder ist ihnen zumindest gleichgestellt. Denn kein Gott überschreitet die Schranken des Himmels und tritt aus seiner Sphäre heraus, um auf die Erde zu kommen, aber der Mensch steigt in den Himmel empor und bemißt ihn. Daher wagen wir zu sagen, daß der Mensch ein sterblicher Gott ist und daß ein himmlischer Gott ein unsterblicher Mensch ist.
Diese Mehrdeutigkeit erklärt wie von selbst die Attraktivität der Hermetik für Künstler, ich selbst kann mich da gar nicht ausschließen. Zu den verschiedenen Stationen auf dem Weg zum Stein der Weisen stößt der praktizierende Hermetiker auch noch auf drei Prinzipien neben den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft: Salz, Sulphur oder Schwefel und Merkur. Letztgenannten habe ich bereits erläutert. Hinzu kommt noch, daß der Merkur als Prinzip für den Geist steht, der das Werk voranbringt, aber als ein äußerlich in das Laboratorium Hinzukommendes. Er ist dem Wasser als fließend zugeordnet. Er könnte dem solve des bekannten alchimistischen Ausspruchs Solve et coagula. Löse und verbinde. gleichkommen. Geist könnte man in diesem Kontext besser wohl als eine virtus, eine verändernde Kraft begreifen.
Das Salz hingegen ist der Körper, die Fixierung des Flüchtigen, das coagula, das Verfestigen. Assoziiert wird es mit dem Element Erde.
Der Sulphur oder Schwefel steht für die Seele, das hitzige Prinzip, das aber selbst nicht brennt. Er stellt durch den in der griechischen Sprache existierenden Doppelsinn von theion = göttlich oder Schwefel auch den Bezug zum Göttlichen her. Die Seele hat in diesem Sinne aber nur bedingt etwas mit dem heute dazu assoziierten Begriff zu tun: sie ist das eigentlich übernatürliche Element der Persönlichkeit.
Jakob Böhme geht in seiner Schrift De Signatura auch auf die Dreiheit des Weltenaufbaus ein:
Alles, was da wächst, lebet und webet in dieser Welt, das stehet im Sulphur, und im Sulphur ist der Mercurius das Leben, und das Salz ist im Mercurio das leibliche Wesen seines Hungers.
Welche Signifikanz besitzt die Hermetische Philosophie nun?
Sie ist letztlich zu divergent, als daß sie begriffen werden kann. So könnte der kritische Hörer vermuten. Eine Vielzahl von miteinander verwandten Disziplinen, die modern gesprochen eine unzulässige Vermengung unterschiedlicher Diskursfelder nicht nur akzeptiert, sondern sogar noch befördert.
Auf der anderen Seite haben wir einige Texte und auch Vertreter dieser Tradition kennengelernt. Welches Fazit läßt sich aus der vorliegenden Darstellung ziehen? Statt einer theoretisch mehrfach abgesicherten Lösung, versuche ich meine eigene Position am Ende dieses Abends vorzustellen.
Dies sollte verstanden werden als ein Aufscheinen meiner eigenen Gedanken aus einer nur angedeuteten Verschlossenheit. Das Attribut hermetisch verstehe ich als einen Schlüssel, der zwar den Hermes-Gottvater kennt, ihn aber nicht durch schwer verständliche Sprache ehrt, indem er das Geheimnis nicht den Säuen preisgibt, sondern verdichtet, was in ihm vor sich geht und damit den Schlüssel zur eigenen Welt den Geneigten übergibt. Mögen sie selbst entscheiden (denn die ars regia ist eine Scheidekunst), welche Türen sie öffnen werden.
III. Das romantische Projekt der Neuen Mythologie in einer methodologisch-experimentellen Hermetik
Ich möchte nun einige Thesen aus einer von mir verfaßten Schrift mit Titel Notatur für eine schwarzkünstlerische Literatur vortragen, und damit aufzeigen, wie man die Hermetismen, den Umgang mit ihnen in eine transparente Form gießen kann, ohne etwas von ihrem Ursprung zu verdunkeln.
Es stellt sich zu aller erst die Frage, ob man an lebenden oder toten Dingen forscht. In der Hermetik ist die gesamte Welt belebt, so daß ihr Raster eigentlich unbegrenzt sein müßte. Das verdeutlicht auch der schon angeführte Ausspruch, daß der Stein der Weisen überall und nirgends zu finden sei, in den entlegensten Gebieten der Erde oder direkt vor der eigenen Haustür.
Erneut tritt die Wichtigkeit einer Verdichtung, einer Zusammenziehung der in alle Himmelsrichtungen wegstrebenden Elemente (altgr.: stoicheion, sowohl Wort für Buchstaben als auch Elemente) vor Augen.
Aufgrund des Ausspruchs in Asclepius: magnum miraculum est homo, animal adorandum atque honorandum. (Kap. 6), ist der Mensch das höchste Forschungsobjekt in einer Hermetik, die sich auf diese Weise mit der spirituellen Alchimie verbindet. Es ist ihr erklärtes Ziel, aus dem plumben Menschen (lat. plumbum Blei für einen schwerfälligen Menschen in unserer eigenen Interpretation der alchimistischen Terminologie) einen Charakter von güldenem Wert zu schaffen durch Umwandlung. Diese Umwandlung mag durch eine Kunst geschehen oder durch eine Verdeutlichung der archetypischen Welt in uns, um erneut Bilder zu schaffen, die sowohl aus der Tiefe der Zeit sprechen als auch fern in die Zukunft weisen. Denn der gesamte Erdkreis ist ein einziger Zirkel. ...
Das Projekt der Neuen Mythologie, wie sie von Friedrich Schlegel in seiner Rede über die Mythologie angeschnitten wurde, hat seine Unschuld längst verloren. Inzwischen ist es nicht mehr möglich, auf die griechische oder germanische Mythologie zurückzugreifen, da sich die moderne Welt dazwischen geschoben hat. In Zeiten, als die mythischen Figuren noch auf dieser Erde hausten, hatten sie nichts Künstliches an sich, sie hatten geregelten Umgang mit den Menschen.
Schlegel erkennt aber:
Es fehlt, behaupte ich, unsrer Poesie an einem Mittelpunkt, wie es die Mythologie für die der Alten war, und alles Wesentliche, worin die moderne Dichtkunst der antiken nachsteht, läßt sich in die Worte zusammenfassen: Wir haben keine Mythologie. Aber, setze ich hinzu, wir sind nahe daran, eine zu erhalten, oder vielmehr es wird Zeit, daß wir ernsthaft dazu mitwirken sollen, eine hervorzubringen.
Eine neue Mythologie, da sind wir mit Schlegel einer Meinung, kann nur über die Dichtung erstehen. Stattdessen begnügen sich die Autoren aber mit einer bescheidenen Schilderung unseres Alltagslebens; eine mythologische Betrachtung der Welt birgt zu viel Pathos in sich, was angesichts der zunehmenden Berechnung der Welt ungewöhnlich altbacken wirkt. Wer sich heute traut, mythische Sprache zu benutzen, wird kaum beachtet, denn ein Mythos mag Einheit zwischen verschiedenen Menschen stiften. Das mißfällt den Werbeträgern, die das Individuum loben und preisen, seine isolierte Position aufrechterhalten wollen, denn zur psychischen Kompensation benötigt es Konsumgüter. Es verändert die Dinge um sich, statt sich selbst (innerlich) zu verändern. Es konzentriert sich auf sein eigenes Leben, gestaltet dieses nach Belieben aus. Es stellt sich hierbei die Frage, als Fazit unserer Ausführungen, was die einzelnen Individuen verbindet.
Ein diffuses Gemeinwohl wird an dieser Stelle meist angeführt; eine Verlegenheitsantwort, weil sowohl die Religion als auch das mythische Denken keine Verankerung mehr im gesellschaftlichen Leben erfahren. In der Unterhaltungsindustrie natürlich, aber zumeist in stark trivialisierter Form. Ihre Produkte weisen recht erschreckende Mutanten auf, die von manchen Denkern bereits als Neue Mythologie angeführt werden. Aber da müßte etwas falsch verstanden worden sein, denn diesen Mutanten fehlt eine Dimension, die Schlegel in seinem Projekt angesprochen hat.
Die neue Mythologie muß im Gegenteil aus der tiefsten Tiefe des Geistes herausgebildet werden; es muß das künstlichste aller Kunstwerke sein, denn es soll alle andern umfassen, ein neues Bette und Gefäß für den alten ewigen Urquell der Poesie und selbst das unendliche Gedicht, welches die Keime aller andern Gedichte verhüllt.
Dieses Projekt ist trotz der seitdem vergangenen 204 Jahre noch lange nicht zu einem zufriedenstellenden Abschluß gekommen. Es gibt noch einiges zu tun; die Hermetik als methodologisch-experimenteller Umgang mit Kultur wird eine Hauptrolle in diesem Projekt eingehen. Wir sind bereits weiter oben auf ihre Erkenntnismethoden eingegangen.
Wenn die Neue Mythologie in die tiefsten Tiefen des Geistes vordringen soll, muß sie über Methoden der Introspektion verfügen: wie hole ich möglichst vorsichtig die Bilder aus solcher Tiefe ans Tageslicht? Diese Mythologie liegt tief im Inneren; dort reifen die ersten Geistesblitze, die sich mit bereits bestehenden Mustern vermischen, nach und nach emporsteigen, bis der Betrachter seine Hände in den Dunst stößt, ein halb-fertiges Bild herauszieht, das er nun in Wort, Klang oder Farbe kleidet, damit es auch für Außenstehende genießbar ist.
Die Neue Mythologie hat zumindest drei Seiten:
der innere Schöpfungsquell, aus dem die Geburtswasser der Alchimie fließen, in dem die massa confusa alles und nichts sein kann;
der gestaltende Schöpfer, der Sprachmagier oder Künstler, der die Vermittlerstelle zwischen dem Schöpfungsquell (dem inneren Mythos) und der Gemeinschaft der kreativen Menschen (dem äußeren, gelebten Mythos) hält;
und schließlich die äußere Welt, wo der Mythos erzählt und dargestellt wird, andere Menschen sich daran laben können und für ihr eigenes Erleben neue Inspirationen daraus speisen.
Dieser Vortrag hat es nicht bei einer reinen beschreibenden Analyse geschichtlicher Prozesse belassen, da der Referent der tiefsten Überzeugung ist, daß Wissenschaft dem Leben dienen muß. Hätte ich nur eine Sachinformation nach der anderen angeführt, wäre viel Material dem Auditorium übergeben worden, doch hätte ich damit meine Persönlichkeit völlig außer Acht gelassen. Ein solcher Ausschluß des Untersuchungssubjekts findet in der Philologie heuer großen Zuspruch, denn es ist längst kein Geheimnis mehr, daß sich die Kulturwissenschaften und die Philosophie an das naturwissenschaftliche Dogma angleichen wollen. Dabei vergessen sie nur eines: Erstens läßt sich dieses Dogma nicht mehr aufrecht erhalten, weil es eine Setzung ist, die genauso gut hinterfragt werden kann; es kommt auf das Erkenntnisinteresse des Forschers an, wie er vorgehen möchte. Zweitens läßt sich ohne persönliche Begeisterung kein Thema zufriedenstellend behandeln; eine Kaufmannsseele vermag das an einem Tag Schuhe, am nächsten Bücher zu verkaufen.
Ein Künstler wie ich, der mit der Wissenschaft der Zeit auf den Zahn fühlt, kann sich nicht seiner eigentlichen Bestimmung verschließen. Er muß auf das hören, was ihm sein Herz sagt und was das Thema ihm diktiert. Weit hinter der dualistischen Teilung arbeiten neue Mythologen an einer dritten Ebene, die mehr als nur zwei Augen sieht.
Ich hoffe, die Anwesenden konnten mir am heutigen Abend dorthin folgen. Vielen Dank.
Quelle der Grafik: Aus einem deutschen Manuskript des 17. Jahrhunderts.
IN DER DUNKELKAMMER Beitrag Die Hermetische Philosophie: Auf ewig verschlossen oder eine neue Morgenröte? von Dominik Irtenkauf vom 20. Mai. 2007
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