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Sanguis B. – Vampire erobern Köln
Man lasse sich nicht täuschen: nicht vom unbekannten Namen des Verlages, nicht vom reißerischen Titel oder dem oft strapazierten Vampirthema; auch nicht von den vielen negativen Erfahrungen, die man schon mit Vampirtexten aus unbekannten Verlagen gemacht hat. Man lasse sich nicht einmal vom primitiven Sprachstil der kursiv gesetzten ersten halben Seite täuschen, sondern lese einfach weiter
aber zugegeben: Nach der ersten halben Seite war ich schon bedient. Ich verabscheue diesen Kurssatzhackstil, der mit Ausrufezeichen nicht geizt, Fragezeichen hingegen oft nicht kennt. Doch der kursive Text stellte ja einen fiktiven Auszug aus einer gleichfalls fiktiven Gazette namens "Dom Express" (ohne Bindestrich) dar; konnte es nicht sein, dass der Autor den Stil gewisser Presseprodukte kopierte, um ihn zu persiflieren? Ich nahm das als Arbeitshypothese, las weiter und stellte schnell Folgendes fest:
1. Bernard Craw kann wirklich gut schreiben, stilsicher und in wohlgestalteten, richtig interpunktierten Satzgebilden.
2. Das, was er sich ausgedacht hat, schildert er ebenso bitter-realistisch wie spannend.
3. Er konzentriert sich auf einige Hauptfiguren, durch deren Augen er den Leser das Geschehen sehen und werten lässt, und stellt diese psychologisch durchdacht dar, als Charaktere, nicht als Schablonen.
4. Craws Sicht auf Menschen und Gesellschaft gefällt mir.
Und am Ende fügte ich 5. hinzu: Seine Art, den Schluss zu gestalten und seine Figuren aus einer verfahrenen Situation zu holen, ohne ein Happyend zu konstruieren, sagt mir sehr zu.
Damit wäre das Wesentliche zu den Vorzügen dieses Buches gesagt. Beginnend mit der Nacht vom 20. zum 21. Oktober, erzählt es in drei Teilen zu jeweils sechs Kapiteln (deren Überschrift ist einfach das Datum der jeweiligen Nacht), wie sich in Deutschland und zugleich fast überall auf der Welt der Vampirismus ausbreitet. "Infektion" spielt Ende Oktober, "Ausbruch" Ende November, "Therapie" Ende Dezember (vorsichtig mit falschen Hoffnungen, der Titel ist doppelbödig!). Zu Anfang wird Thomas, ein sympathischer Loser, Student der Alten Geschichte in Köln, von seiner Freundin Doro zum Vampir gemacht; doch auch Doro ist nur ein Opfer. Anfangs bemühen sich beide noch um Auswege; als sie aber die beiden, die ihnen dabei helfen sollen, ihre Freundin Epi und deren Bruder Christoph, ebenfalls in Vampire verwan-deln, ahnt wohl auch der letzte Leser, dass es keinen Ausweg gibt. Von nun an begleiten wir dieses "Rudel", das noch durch den aggressiven Ottmar ergänzt wird, auf seinem Weg in die Abgründe des Untot-Seins, des Tötens, der verlorenen Moral. Craw behandelt Vampirismus nicht als mystischen oder romantischen Vorgang, sondern als Krankheit, ausgelöst durch ein Bakterium: In Deutschland greift eine Epidemie um sich, welche die Gesellschaft zerfallen lässt, ohne dass die Menschen sich ändern: Noch immer zerstören sie aus unkontrollierter Gier ihre Lebensgrundlagen, und Versuche, dem entgegenzusteuern, sind zum Scheitern verurteilt. Craw sieht das "Tier Mensch" ohne Illusionen - aber dennoch mit Liebe und Hoffnung. Die moralische Frage, die zumindest Epi, Thomas und Christoph umtreibt, ist diese: Tötet man, weil man muss, widerwillig, ohne Vergnü-gen, dagegen ankämpfend und nach Abhilfe suchend oder tötet man, weil man will, fröhlich, sadistisch, im Blutrausch? Ohne Pathos und ohne Verklärung gelingt es ihm glaubhaft darzustellen, dass in einer aus den Fugen geratenen Welt einige "ganz normale" Leute dennoch nicht bereit sind, die Methode "Nach mir die Sintflut!" auszuleben. Die Betonung liegt jedoch auf "einige", die meisten lassen sich treiben, passen sich an oder spielen das Spiel um Macht, Blut und Tod, nur mit neu gemischten Karten. Die Vampirin Lola, die sich zur "Herzogin von Köln" erklärt, und der faschistoide Senberg, welcher den "Ersten aller Vampire" mimt, sind beeindruckende Beispiele für diese Position. Und selbst das kleine Rudel ist keine homogen "gute" Masse.
An diesem Buch stimmt alles, auch der Schluss, der das Rätsel um den wahren ersten Vampir und seine Ziele löst. Dass der Autor drei seiner "Helden" entkommen lässt, wird ihm kein Leser übel nehmen. An etwas darf man ja glauben; und ohnehin ist dieses Etwas, wenngleich nicht klein, so doch marginal angesichts all dessen, was Craw so realistisch und unsentimental darstellt, dass man ihm einfach Recht geben muss. Das Grauen, das er uns zeigt, läuft fast technisch ab, planbar, berechenbar, mit der Präzision eines Uhrwerks, unaufhaltsam kumulierend. Es ist modernes Grauen, und dieses Buch ist ein wirklich moderner Vampirroman. Auch in seinen Auswegen: Am Ende bleibt wenig mehr als der Rückzug, die private Utopie, ein vager Hoffnungsschimmer via Internet. Von so viel Konsequenz bin ich beeindruckt.
©? by Johannes-van-Aken-Verlag 2005, 410 S., _ 9,95, ISBN 3938244097
29. Okt. 2006 - Peter Schünemann
http://www.solar-x.de
Der Rezensent
Peter Schünemann
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Vampire
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