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Der ewig dunkle Traum
Faszinierend vielseitig - das ist der erste Eindruck dieser morbiden Anthologie, in der die Herausgeber Alisha Bionda und Michael Borlik sechzehn Horrorgeschichten bekannter Genreautoren versammelt haben.
Unglaublich spannend - das ist der zweite Eindruck, den der erste Band der neuen Serie "Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik" aus dem BLITZ-Verlag hinterlässt.
Doch halt - haben Sie das gehört? Dieses Kratzen und Knirschen? Dieser schleifende Laut auf dem Boden? Das Wispern in den dunklen Zweigen? Und waren da nicht Tropfen von Blut auf dem Teppich? Dann sollten Sie dieses Buch vielleicht nicht nach Einbruch der Dunkelheit lesen, denn einige der Geschichten, wie "Das Höllenwunder" von Mark Freier (von dem übrigens auch das sehr passend gestaltete Cover stammt) oder Barbara Büchners "Die Nahrung der Toten" sind wirklich nichts für schwache Nerven.
Der Band startet mit der zunächst eher konventionell anmutenden Story "Ein besonderer Geschmack" von Markus Heitz. Die Geschichte eines Dämonenpärchens auf Rachefeldzug, das aus ureigensten Motiven auch mal das Werk des Herrn tut und sich dabei einer ganz besonders "explosiven Mischung" bedient, entwickelt allerdings beim genaueren Hinsehen einen feinen unterschwelligen Witz.
Eddie Angerhubers "Das Nachtbuch" erzählt von einem seltsamen Folianten, dem einzigen Trost einer in ewiger Nacht Gefangenen. Am Ende der Geschichte ist nichts so, wie es am Anfang schien ... mehr soll hier nicht verraten werden.
Überhaupt scheinen seltsame Bücher in der Anthologie eine besondere Rolle zu spielen, schließlich verdankt die Serie einem solchen auch ihren Titel, nämlich der "Schattenchronik", aus Wolfgang Hohlbeins "Schattenchronik - der ewig dunkle Traum".
Der Meister der Fantasy verwebt in der Geschichte der jungen Dilara, deren Leben kurz vor ihrer Verlobung völlig aus den Fugen gerät, geschickt Gegenwart, Erinnerungen und Visionen der Zukunft, während Dilara in den Seiten des mysteriösen, alten Buches blättert. In Gedanken durchlebt sie noch einmal die vorhergegangene Nacht, an die sie nur bruchstückhafte Erinnerungen hat und in deren Verlauf ihr Verlobter auf grauenvolle Weise zu Tode kam. Oder ist auch das nur eine der verstörenden Visionen, die mit der Schattenchronik zu tun haben und Realität und Wahnsinn ineinander fließen lassen? Gibt es Antediluvian, den uralten Vampir aus dem Buch wirklich? Was will er von ihr und wer ist die Frau aus dem Buch, die ihr so frappierend ähnelt?
Der Leser kann Dilara ihre Verwirrung gut nachempfinden, denn so wie es ihr beim Durchblättern der Schattenchronik geht, fühlt man sich als Leser dieser Anthologie gelegentlich auch.
Aber auch für diejenigen, die es weniger blutig mögen, ist gesorgt. Boris Kochs "Heiligabend bei Manfred" ist mit knapp zwei Seiten ein echter Quickie und beleuchtet auf heiter witzige Weise die Frage, ob Vampire eigentlich Weihnachten feiern.
Die Geschichte der Herausgeberin Alisha Bionda fällt ebenfalls aus dem Rahmen. Sie erzählt mit überraschenden Perspektivwechseln von einer obsessiven Liebesbeziehung, der nur auf den ersten Blick etwas Vampirisches anhaftet und die den Leser recht nachdenklich zurück lässt.
Auch in Frank Haubolds "Stadt am Fluss" wird kein Blut vergossen, der Leser fühlt sich trotzdem bei der Fahrt des heimkehrenden Ich-Erzählers durch seine offenbar (fast) verlassene Heimatstadt auf beklemmende Weise an "Die Mächte des Wahnsinns" erinnert. Das Gegenteil einer Coming-of-Age Geschichte und dazu gut geschrieben.
Soliden Horror bieten die Geschichten von Armin Rößler über einen Grusel-Vergnügungspark, in dem einiges realer ist, als man denken sollte und Dominik Irtenkauf und Javier Hurtados "Trauerflug aus dem Süden" in dem ein in spanischer Sprache gewisperter Hauch eine ganz besondere Rolle spielt.
Michael Borlik, der andere Teil des Herausgeber-Duos geht in "Engel der Nacht" der Frage nach, wie ein Vampir versucht, seine sterbliche Angebetete zu erobern und wie diese darauf reagiert - Romantik auf Vampirart, garantiert nicht unblutig!
Zwei weitere Geschichten verquicken das Vampirthema mit ägyptischer Mythologie, nämlich die Geschichten von Linda Budinger, die den Leser mit der köstlichen Idee ( hoffentlich!?) einer "Auswickelparty" überrascht, bei welcher einem vertrockneten englischen Lord seine Faszination für Mumien zum Verhängnis wird.
Marc-Alastor E.E. schafft das wirkliche Kunststück, die Vorgänge bei der Vorbereitung einer Mumie aus Sicht der Mumie selbst zu schildern - sehr gelungen! Eine Geschichte, nach der man gleich im Lexikon nachschlagen würde, wie das noch mal war, mit der Mumifizierung - wenn man sich nicht gerade zu sehr gruseln würde, versteht sich.
Zwei wirkliche Highlights hält der Band für den Leser noch zum Schluss bereit.
Markus K. Korbs "Die Brut" erinnert von der Grundidee her an Stephen Kings "The Boogeyman", variiert das Thema aber sehr schön auf eine Weise, die eher an Poe oder gar Lovecraft denken lässt.
Christel Schejas "Der Verfluchte von Tainsborogh Manor" beschwört gekonnt die Atmosphäre jener Gothic Novels herauf, die ihre Heldin so gerne liest und erzählt auf diese Weise eine eher romantische Vampirgeschichte.
Der Band wird durch verschiedene Essays zum Thema abgerundet.
Erwähnenswert ist noch, dass alle Stories mit exclusiven, inhaltlich passenden Ilustrationen des Wolfsburger Künstlers Pat Hachfeld versehen sind - sehr ungewöhnlich für dieses Format und für den Leser noch ein zusätzliches "Sahnehäubchen".
Ach ja: Das Preis-Leistungsverhältnis überzeugt ebenfalls: 387 Seiten praller Horror und mehrere Stunden wohlig, gruseliges Lesevergnügen plus Hintergrund-Informationen für 9,95 Euro - was will man mehr?
10. Sep. 2006 - Stefani Hübner-Raddatz
Der Rezensent
Stefani Hübner-Raddatz

Total: 4 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen
Stefani Hübner-Raddatz
schlug schon früh eine kriminelle Laufbahn ein: Als Strafrichterin stellte sie fest, dass reale Verbrechen selten so unterhaltsam sind, wie in der Literatur.
Seitdem mordet sie selbst mit spitzer Feder und hat verschiedene Kurzkrimis veröffentlicht.
Sie lebt mit ihrer Familie, den Kat...
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Träume
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