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Tentakeltraum
Dirk van den Booms Tentakeltraum ist nach Tentakelschatten der zweite Band seiner Military SF Trilogie im Atlantis- Verlag. Wie im ersten Band schreibt Martin Kay auf dem Backcover, das Weber und Ringo ihren Spass hatten und jetzt van den Boom an der Reihe ist. Damit zielt Martin Kay um im militärischen Jargon zu bleiben, deutlich an dem Ziel vorbei und richtet eher Schaden in den eigenen Reihen an. Denn während Ringo und Weber mit einer erzkonservativen Verbissenheit und dem zweifelhaften egoistischen Patriotismus, welcher zur Zeit die USA durchströmt, ihre militärisch unwahrscheinlichen und handlungstechnisch selten anspruchsvoll konzipierten Romane stricken, hat Dirk van den Boom mit seiner natürlich nicht unbedingt ernst zu nehmenden Trilogie seinen Spaß. Schon der Beginn des zweiten Romans unterstreicht Dirk van den Booms Zielrichtung: das werden die Tentakel im Licht des Vollmondes mit einem erigierten Penis verglichen, der leichte Vibrationen zu der Spannung der Situation beiträgt. Es ist natürlich kein Wunder, dass ausgerechnet einer der wenigen weiblichen Figuren den Tentakelpenis zur Eruption bzw. zur Explosion bringt. Da Marechal a.D. Rahel Toma noch nie besondere Verwendung für männliche Geschlechtsorgane gehabt hat, bemüht sie sich besonders sorgfältig zu zielen und den feindlichen Soldaten mit einem gezielten Schuss außer Gefecht zu setzen. Dieser feuchte Traum eines Militärfreaks leitet eine von teilweise drei Handlungsebenen ein, auf denen Dirk van den Boom den zweiten Teil seiner Serie vorantreibt. Ganz bewusst umschifft er die Klischees der meisten Mittelromane, in dem er den Leser weniger auf den letzten Band seiner Serie vorbereitet, sondern sich in erster Linie während des Geschehens darauf konzentriert, dem Leser möglichst weitere Informationen über die im Grunde verzweifelte Situation im Kampf gegen die Tentakel zu geben, den Patriotismus der an allen Fronten zurückgeschlagenen Menschen aber aufrecht zu erhalten. Rahel führt auf einer der von den Tentakelwesen besetzten Welten eine Handvoll Kindersoldaten mit sehr gut geplanten Nadelstichen gegen die übermächtigen Feinde. Sie will mit ihrer Truppe nur ein kleines Ärgernis sein, um keine größeren und für ihre Truppe vernichtenden Reaktionen zu provozieren. Als sie auf weitere versprengte Soldaten trifft, planen sie, in einen der von Tentakel errichteten Tempel einzudringen, um mehr über die Fremden zu erfahren und sie danach bei weiteren Aktionen empfindlicher zu treffen. Auf einer weiteren Handlungsebene schickt die Menschheit einen alten Raumer mit einer exquisiten Besatzung wie dem Genie Dr. deBurenberg los, um im Feindesland Erkundigen einzuziehen. Wie auch in seinem ersten Band breitet Dirk van den Boom diese Prämisse sehr ausführlich vor dem Leser aus, die Mission wird bis ins Kleinste immer ein Zeichen für das umgehende Scheitern der ursprünglichen Ansätze geplant. Kaum ist das Raumschiff allerdings am Ziel, wird es von einem Tentakelschiff angefunkt. Die fiesen außerirdischen Invasoren bieten Verhandlungen an. Natürlich ist die militärische Führung der Expedition überfordert und das Genie Dr. deBurenberg fallen aufgrund seiner kontinuierlichen Forschungen einige Erkenntnisse über die Fremden in den Schoss, welche die bisher Strategie auf den Kopf stellen. Im Verlaufe des Romans wird Dirk van den Boom diese Handlungsebene mit dem Widerstandskampf Rahel Tomas verbinden. Bis dahin gehört sie allerdings zu den besten Passagen des Buches. Die Erkenntnis, dass die Invasoren weder über überlichtschnelle Antriebe verfügen, noch ihre Angriffe so spontan starten können, wie es die Menschheit bislang gedacht hat, dreht zumindest auf dem Papier und trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Fremden das taktische Heft. Wenn sich am Ende Dr. deBurenberg in die Tentakelträume einhackt und mehr über die Wesen erfährt, überspannt der Autor allerdings zu den Bogen zu Lasten der Glaubwürdigkeit. Eine wichtige Erkenntnis pro Band hätte ausgereicht. Auch wird Dr. deBurenbergs Vorgehensweise mehr und mehr zu einem Klischee als zu einer Parodie der allwissenden Wissenschaftler, die in MacGuyver Manier mit einem handgeschriebenen Computerprogramm und einer einfachen Fernsehantenne wichtige Informationen aus den vertraulichen Botschaften der Feinde herauslesen können. Im Vergleich zum ersten Band hat deBurenberg einige wichtige Szenen, aber Dirk van den Boom hätte mehr aus der Figur machen können. Der exzentrische Wissenschaftler weißt die Richtung, wird dann aber von anderen, nicht so interessant charakterisierten Protagonisten in den Hintergrund gedrängt. Zu den eher schwächeren Passagen gehören die Abschnitte, die auf den Tentakelwelten spielen. Bislang hat Dirk van den Boom die Tentakel als fiese Außerirdische ohne Emotionen geschildert. Geradlinig haben sie im ersten Band immerhin die Hälfte der menschlichen Sphäre besetzt. Gerade das nihilistische Ende Tentakelschattens hat in dieser Hinsicht überzeugt. Das Dirk van den Boom jetzt den Fremden Persönlichkeit gibt, negiert einige gute Szenen aus dem Auftaktband. Da kann sich der Autor drehen und wenden wie er will, seine Tentakel wirken nicht mehr so Furcht einflössend oder bedrohlich nach Tentakeltraum. Ob diese Szenenwechsel wirklich notwendig gewesen sind oder es effektiver gewesen wäre, sich ausschließlich aus der menschlichen Perspektive den Fremden zu nähern, wird wahrscheinlich erst der nächste und vielleicht abschließende Band der Reihe beantworten. Allein das Einhacken in die Tentakelträume am Ende des vorliegenden Buches hätte als Einblick in die fremden Psychen ausgereicht. Plottechnisch wird der Leser zwar darauf vorbereitet, dass die Wesen keine fairen Verhandlungen planen, aber die Hintergründe erfährt der Leser wieder auf der Rahels Handlungsebene. Die Idee einer menschlichen Vorzeigesiedlung, um die Verhandlungsgruppe zu täuschen, ist dagegen von Dirk van den Boom wieder gut extrapoliert worden. Sie kommt im Vergleich zum Gesamtroman sogar zu kurz und einige weitere Fallen hätten dem Buch in diesem Teil sehr gut getan. Das Ende ist nicht wie der erste Text der Serie ein von einer nihilistischen Stimmung durchzogener Kracher, sondern ganz zielstrebig und bewusst steuert der Autor auf eine Reihe offener Fragen in enger Kombination mit weiteren, elementaren Informationen zu. Eher impliziert hat er den im ersten Band überrannten Menschen eine Reihe von Möglichkeiten zugespielt, gegen die Tentakel durch bestehen zu können. Dirk van den Boom unterliegt nicht der Versuchung, einen Deus ex Machina Plot in seinen Roman aufzunehmen. Zwar droht in diese süße Versuchung an einigen Stellen zu überrennen, aber im letzten Augenblick steuert er an verschiedenen, vorher beschriebenen Stellen sein Schiff wieder in sichere Gewässer.
Der Leser begegnet einer Reihe vertrauter Figuren, welche Dirk van den Boom allerdings nicht mehr weiterentwickelt. Es ist unbedingt notwendig, den ersten Band der Serie zu lesen, um ihre Reaktionen und Handlungsweisen zu verstehen. Der Autor vertraut dem deutlich vielschichtigeren Plot, seine Figuren quasi dank der Anzahl von sehr unterschiedlichen Ereignissen mitzureißen. Die Politikerin wird teilweise als Karikatur bis zum Klischee der ehrgeizigen Egomannin dargestellt, aber auch hier fehlt wie auch schon bei Dr. deBurenberg der entscheidende Kick.
Unabhängig von diesen Schwächen funktioniert Tentakeltraum als Weltraumkracher, wie der Autor selbst sagt, erstaunlich gut. Mit dem richtigen selbstironischen Ton leider hält Dirk van den Boom diesen nicht den ganzen Roman durch und schnellen Wechseln zwischen den Handlungsebenen beginnt der Text rasant und lässt weder den Protagonisten noch dem Leser ausreichend Raum zum Atmen. In der Mitte des Plots fügt Dirk van den Boom seinem Garn einige wichtige und teilweise wirklich überzeugend originelle Ideen hinzu. Sicherlich kommt einem erfahrenen Leser das eine oder andere Element der Geschichte aus anderen Pulpmagazintexten bekannt vor, aber die Masse der Einfälle, welche Dirk van den Boom hier zusammenführt, überzeugen. Gegen Ende des Buches versucht der Autor den Leser auf die folgenden Bände, das folgende Buch vorzubereiten. Im Vergleich zur dunklen Endschlacht des ersten Romans eher ein ruhiges, ein wenig enttäuschendes Zwischenende. Stilistisch angenehm geschrieben verzichtet Dirk van den Boom auf den pathetisch- patriotischen Hurrastil einer Reihe amerikanischer Autor. Auch wenn die Waffenfetischisten sich an einigen Beschreibungen ergötzen können, dienen die modernen Tötungswerkzeuge nicht als Penisverlängerung oder Charakterersatz, sondern haben einzig und alleine den Zweck, den unterschiedlichen Protagonisten auf feindlichem Gebiet gegen einen nicht immer gänzlich erstzunehmenden Feind siehe die Auftaktsequenz ein Überleben zu sichern. Auch in Punkto Politik konzentriert sich der Autor auf die korrupten Politiker mit teilweise doch arg vorhandenen Persönlichkeitsstörungen allerdings in eine funktionierende Regierungssphäre eingebettet. Die Kommentare zur militärischen Aufrüstung bzw. Verwahrlosung der Truppen halten sich in den Grenzen verträglicher Military SF, die Propaganda- Exzesse eines erzkonservativen bis rechtsradikalen John Ringo finden in Dirk van den Booms Buch keinen Boden. Das Fehlen dieser Elemente macht den Roman wie auch seinen Vorgängerband zu einer unterhaltsamen Lektüre in diesem Subgenre. Das Dirk van den Boom den Text nicht gänzlich ernst nimmt, zeigen auch seine Verweise auf zumindest einen Fandomler. Handlungstechnisch ambitionierter und reichhaltiger in Bezug auf die Schauplätze ist der mit spürbar weniger Ironie durchdrungene Roman Tentakeltraum eine gelungene Fortsetzung der Trilogie, die Dirk van den Boom mit Tentakelschatten begonnen hat.
09. Jun. 2008 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

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Träume
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Dirk van den Boom - TENTAKELTRAUM
Science Fiction - Rezensent: Thomas Harbach |
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