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Zwielicht
Zwielicht
Ausgabe 1
April 2009
Kartoniert, 240 Seiten
- 13.00 EUR
Status:
Und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er mitten im Feld war, allein. Dass er nicht hier sein durfte, dass es ein Traum war oder etwas Ähnliches; etwas beunruhigend Ähnliches. Und plötzlich sah er eineSchneise und einen schwarzen Arm, der sich aus der Tiefe zu ihm empor reckte, aus schwarzem Stroh.
(Marcus Richter - MEER DER HALME)
Quasi als "Nebenprodukt" des Vincent Preis, der seit 2007 für die besten deutschen Horror-Geschichten verliehen wird, entstand das Magazin ZWIELICHT. Herausgeber ist Michael Schmidt der - auf eine Initiative im Horror-Forum.de - auch den Vincent Preis ins Leben gerufen hat. Ist Band 1 noch eher Anthologie als Magazin, sollen in den kommenden Ausgaben die Zahl der Berichte und Artikel zunehmen.
Michael Schmidt schreibt selbst in seinem Vorwort, dass ihn - beim Zusammentragen der Beiträge für den Vincent Preis - die schiere Anzahl (290 Kurzgeschichten im Jahre 2007 "und ich bin sicher, das waren noch lange nicht alle") überrascht hat. Offensichtlich bestehen also in nicht unerheblicher Anzahl Plattformen, auf denen sich die Horror-Kurzgeschichte deutscher Herkunft rege tummelt und man fragt sich zwangsläufig, ob eine weitere Anthologie(reihe) überhaupt notwendig ist. Nun, notwendig ist sie bestimmt nicht, doch wenn das Ergebnis so ausfällt wie ZWIELICHT, dann bitte noch mehr davon.
Der Herausgeber wollte "für diese gewaltige Menge an kreativer Energie" den Autoren "ein- bis zweimal pro Jahr eine Plattform bieten" und hat sich und seinen Schäfchen dabei im weiten Feld des Horrors offensichtlich keinerlei Beschränkungen auferlegt.
Und so vereint ZWIELICHT 1 mit seiner wilden Mischung verschiedener Stile einige sehr bemerkenswerte Beiträge.
Das Magazin startet mit Christian Weis IM ABGRUND, die die zunhemend befremdlicher werdenden Folgen eines Beinahezusammenstoßes beschreibt und aufzeigt, dass die Hülle der Zivilisation in einer Umgebung ohne Zeugen doch sehr dünn ist. Bernard Craws ERWACHEN geht ungewöhnliche Wege, was die Erzählperspektive angeht und überrascht mit einem unerwareteten Ende. Dies wird gleich darauf noch getoppt von Jakob Schmidts EINE ANDERE WILDNIS. So muss eine Horror-Kurzgeschichte sein. Das ist frischer Wind in einem verstaubt geglaubten Genre. Unerwartet durch die Umkehrung klassicher Motive und das Spiel mit den Erwartungen des Lesers. Um so konventioneller kommt Rainer Innreiters SIEBEN KATZENLEBEN daher, in dem sich eine Katze für den Tod ihrer Jungen rächt. Das schleichende Abdriften in die Surrealität beschreibt Achim Hildebrands MARGIT, in dem ein Navigationssystem vom technischen Selbstverständnis plötzlich zur einzigen Verbindung mit der schwindenden Zivilisation wird. Unbedingt "Twilight Zone"-geeignet. DIE WÖLFE VON NEBRASKA - Peter Nahtschlägers Schlag in die Magengrube - besticht neben fantasievollen Folterszenen dadurch, dass die Handlungen des Täter in dessen verdrehter Überzeugung durchaus eine (über)lebenswichtige Rechtfertigung besitzen. Ein Umstand, der diese wenigen Seiten von Legionen thematisch ähnlicher gearteter Filme meilenweit abhebt. Harter Stoff aber sehr gelungen. In David Grashoffs DER AUTOBAHN-HEILAND wird ein Angestellte einer Autobahnmeisterei wird auf einen seltsamen alten Mann aufmerksam, der plötzlich an Unfallorten auftaucht. Die Begegnung mit dem Alten wird sein Leben verändern. In Marcus Richters surrealem MEER DER HALME ist man ständig versucht, die unwirklichen Beobachtungen des Erzähler durch realistische Umstände zu erklären. Eine Frau steht hasserfüllt am Bett ihres sterbenden Mannes auf seinen Tod. Markus Niebios WARTEN klärt darüber auf, wie er ihren Hass auf sich gezogen hat. DAS UNTERSTE FUNDBÜRO ist eine skurrile Einrichtung, die sich N.T. Neumann ausgedacht hat und jeden Leser bei der nächtsten Großveranstaltung einen prüfenden Blick unter die Bankreihen werfen lassen wird. Erinnert DAS WEISSE GESICHT anfänglich noch an David Lynchs "Lost Highway", so wird die Geschichte in ihrem weiteren Verlauf zum surrealen Psychogramm eines Mannes, der davon besesen ist, dass ein fremdes Wesen seinen Körper übernommen hat. Walter Diocaiutis verstörend-erotischer Beitrag SEXY SADIE lässt den Leser - bei aller formalen Stärke - nach einem packenden Beginn am Ende leider etwas ratlos zurück. In Michael Schmidts VOLLDAMPF VORAUS entlädt sich alle Wut eines Eisenbahnheizers im Drang immer mehr Kohlen in den Brennofen zu schaufeln - und den harten Rhythmus der Maschine zu genießen - auf ihrem ungebremsten Weg in den Bahnhof. Unbedingt interessant ist Tobias Bachmanns Beitrag KALEIDOSKOP DER SEELE. Schon alleine, weil ausgerechnet dieser es leider nicht mehr in Bachmanns gleichnamige Sammlung geschafft hat. Die Lektüre kann man nun endlich in ZWIELICHT 1 nachholen. Hier geht es um die verschobene Wahrnehmung eines Amnesiepatianten, in dessen Kopf sich Schnipsel der Realität zu etwas neuem zusammensetzen. Auf faszinierende Weise schildert Tobias Bachmann die Geschichte aus Sicht des Patienten und lässt uns an dessen hilflosen Versuchen teilhaben, alles in eine sinnvolle Ordnung zu fügen. In der Abschlussgeschichte GÖTTERDÄMMERUNG lässt Torsten Scheib vor der Kulisse eines Götterkampfes auf Erden eine Frau nach ihrem entführten Kind suchen. Ein außergwöhnliches und wildes Experiment.
Im Anschluss an die Geschichten folgt ein Essay von Daniel Neugebauer über "M. R. James und die Gespenstergeschichte", in dem der Autor auf James Leben und die immer wiederkehrenden Motive in James Geschichten eingeht. Als Ausblick nennt Hr. Neugebauer sowohl einige jüngere Veröffentlichungen in James'scher Tradition wie auch einige deutsche Schriftsteller, die sich auf dem Gebiet der Gespenstergeschichte erfolgreich hervorgetan haben.
Abgeschlossen wird ZWIELICHT 1 von der Auflistung aller Kurzgeschichten, die für den Vincent-Preis 2008 aufgestellt waren, sowie den Vitae der im Buch enthaltenen Autoren.
MEINUNG:
Bei (etwas hellerem) Licht betrachtet ist ZWIELICHT nichts bahnbrechend Neues. Deutschsprachige Phantastik- und Horrormagazine, die Mischungen aus Kurzgeschichten, Artikeln und Grafiken bieten gab und gibt es nach wie vor. Z.B. Nocturno, Tumor, Twilightmag, Phantastisch, Xun, Horror, Welt der Geschichten, Omen. Die Frage nach der Notwendigkeit eines weiteren Magazins stellt sich mir nach der Lektüre dieses überzeugenden Auftaktbandes allerdings nicht mehr. ZWIELICHT 1 hat mich voll überzeugt und es stellt sich höchstens die Frage, wann ZWIELICHT 2 kommt. Herausgeber Michael Schmidt liefert hier eine überzeugende Mischung verschiedener Stile und Themen ab und beweist, dass selbst nach 290 Genre-Kurzgeschichten pro Jahr noch genug Ideen übrig sind um eine erstklassige Sammlung zusammenzustellen.
Definitiv sind hier selbst einige Anwärter auf den Vincent Preis als beste Kurzgeschichte 2009 enthalten. Meine persönlichen Favoriten dafür sind: EINE ANDERE WILDNIS und DIE WÖLFE VON NEBRASKA.
Der Band wird noch aufgeedelt durch passende Grafiken von Lothar Bauer. Das Titelbild von Susanne Jaja - auf dem einzelne Objekte nur zu erahnen sind - ist wohl eine äußerst gelungene grafische Umsetzung des Wortes Zwielicht.
11. Dez. 2009 - Elmar Huber
Der Rezensent
Elmar Huber

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(* 1972) kann sich noch dunkel an den "phantastischen Film" im Nachtprogramm des ZDFs erinnern, der damals (nicht zuletzt aufgrund des Zeichentrickvorspanns) schon eine gewisse Faszination ausübte.
Literarische Phantastik-Leseversuche folgten mit John Sinclair, Professor Zamorra und Stephen King. Auf der nachfolgenden Suche nach...
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