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Startseite > Rezensionen > Eric Hantsch > Düstere Phantastik > Die darbenden Schatten

Die darbenden Schatten

DIE DARBENDEN SCHATTEN

Eddie M. Angerhuber
Roman / Düstere Phantastikgeschichten

Atlantis Verlag

Taschenbuch, 350 Seiten
ISBN: 978-394125878-5

Jul. 2011, 15.90 EUR
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Zum Inhalt:

Sommergewitter
Es ist Sommer. Die beiden Freundinnen Margot und Melanie spielen am Waldrand, während über ihnen die heiße Sonne das Land dürrt. Ein nahendes Gewitter reist sie aus ihren seeligen Gedanken. Und während Regen fällt, Blitze niedergehen und Donner grollt, suchen die Mädchen Schutz unter einer Brücke. Dort sehen sie einen Mann, der ungerührt im Unwetter steht und sie von der Brüstung der Unterführung aus beobachtet, während er etwas seltsames mit seinen Händen tut. Voller Angst fliehen Margot und Melanie, doch der schreckliche Mann verfolgt sie wie ein Bluthund seine Beute!

Visionen von Eden
Die Welt ist dem Inferno anheim gefallen, ausgelöst durch menschlichen Größenwahn. Die Städte liegen in Trümmern und die verbliebene Menschheit ist zurück in die Urzeit gefallen. Fressen oder gefressen werden lautet die Devise. Geführt vom Protagonisten, reist man von einen Katastrophenplatz zum nächsten. Langsam erlebt man, wie sich die Menschen aus diesem Unheil herauszuarbeiten beginnen, doch das Erbe der Grausamkeit steht ihnen im Weg.

Empusa Muscae
Die Stadt von Susann wurde von einer verheerenden Naturkatastrophe getroffen. Wie eine lebenden Wüste zieht sich zwischen den Schluchten der Häuser Sanddüne um Sanddüne dahin. Die Wohnung von Susann ist der Abrissbirne zum Opfer gefallen, da sie vom Sand bald überspült worden wäre. Die nahen Tunnel der U-Bahn wurden ihr neues Zuhause, doch die Horden von Ratten und die stechenden, alles durchdringenden Feuchtigkeit trieben sie bald wieder hinaus. Gemeinsam mit ihrer Freundin Tao versucht sie deshalb, in die Höllen eines nahe gelegenen Bergwerks zu ziehen, in dem schon lange keine Erzhacke mehr das Gestein zum klingen brachte. Obgleich auch dort Nässe durch die Gänge zieht, besser als in den Schächten der U-Bahn scheint es allemal – wäre da nicht dieser seltsame Schimmelgeruch, der für Susann zum Vorboten eines Alptraumes wird.

Sphinx Ligustra
Mertes, der alte Freund des Doktor Caninus, scheint Selbstmord begangen zu haben. Nach wenigen Tagen erhält Caninus vom Rechtsanwalt des Verstorbenen eine Kiste, die drei präparierte Schmetterlinge, einige Themenbücher und das Tagebuch von Mertes, in das sich der Doktor bald zu versenken beginnt, enthält. Seltsame Einträge sind auf den Seiten zu finden, die klarlegen eine bestimmte Schmetterlingsart, genannte der Große Ligusterschwärmer, würde sich mit seinen Weibchen mittels Telepathie verständigen. Zum Ende des Buche schildert sein Schreiber, wie er ein geliebtes Wesen geborgen haben will, das er zu Kriegszeiten in der alten Molkerei der Stadt vergraben hatte – ein Mensch scheint es jedoch nicht zu sein.

Die verborgene Kammer
Auf ihrem Sterbebett erzählt eine alte Frau dem anwesenden Pfarrer von ihrer elternlosen Kindheit in einem Internat – einem lichtlosen Gemäuer, in dem die Kinder wie Gefangene gehalten und mit Zucht, Ordnung und der heiligen Schrift zu Menschen ohne eigenen Willen erzogen wurden. Sie berichtet aber auch von der Wahrheit, die sich hinter dieser sittlich-heuchlerischen Fassade verbarg; und wie sie mit Hilfe des Mädchens Alrun zur schrecklichen Erkenntnis darüber gelangte.

Projektionen
Ein unruhiger Tag treibt Herrn Meyerling hinaus aus seiner Wohnung, auf die Straßen der Stadt, hinein in ein Viertel, das bei vielen Bewohnern übel beleumundet ist. In der verkrauten Kirche, die wie ein Schatten über dem Viertel dräut und deren Hallen schon lange von keinen Gottesdienst mehr erfüllt wurden, begegnet Meyerling den unheimlichen Doktor Lejanaues, der ihm durch den Film eines Projektors in seine Welt stößt. Dort begegnet der Ahnungslose der blasen, traumversunkenen Gemahlin des Doktors und deren Gesellschafterin Yü, die Meyerling nach kurzer Zeit bitte, ihre Herrin vom Bann diabolische Doktors zu befreien.

Vergeltung
Des Abends in einer Bar, lernt Carol einen Mann von verlockender Anziehungskraft kennen; und noch bevor die Zeit der dunklen Stunden sich dem Ende neigen, erliegen beide der Lust. Ihre Verbindung hat seit dem Bestand. Für Carol könnte es eine himmlische Zeit sein, wäre da nicht ein nagender Zweifel; und würde ihr Liebhaber, der so viel älter ist als sie, sie nicht immer wie ein kleines Kind behandeln – herablassend, als sei sie ihm lästig. Oft pflegt er des Nachts auszugehen, ohne zu sagen wohin; nur das es spät werden würde und sie nicht auf ihn warte solle, was ein weiteres Zeichen für seine Ablehnung scheint. Carol wird von diesem Zustand der Unsicherheit langsam zerfressen – oder ist alles nur Einbildung?

House of Horror
Noch nicht lange bewohnt sie das alte Haus mit dem Mansardedach- und dem Geheimnis, das es birgt. Als sie einen alten Computer einschaltet und das darauf befindliche Spiel startet, setzt sich ein verborgenes Räderwerk in Gang. Die digitale Vergnüglichkeit scheint die Realität zu korrumpieren- oder doch mehr zu formatieren?

Madam Mosca
Nachdem der Buchhalter Emmerich die Erbschaft seiner verstorbenen Tante, in Form eines Miethauses, angetreten hat, lernt er dort eine der Mieterinnen genauer kennen: Die geheimnisvolle Madam Mosca! Als Musiklehrerin gibt sie in ihrer Wohnung talentierten Kindern Privatunterricht. Einer der begabtesten Schüler ist der blassegesichtige Kasimir, der Emmerich nicht ganz geheuer ist, wie auch Madam Mosca selbst. Beide scheinen eine geheime Verbindung zu pflegen, der etwas Dunkles anhaftet; und gleichsam von einer verborgenen, sexuellen Brünstigkeit erfüllt ist.

Die Enthüllungen des Raupenwolfes
Was ihr der Makler als Wohnung mit altmodisch- hinreißenden Flair beschrieben hat, entpuppt sich beim Einzug als Ansammlung verstaubter Räumen, die gründlich entrümpelt und renoviert werden müssen. Von der anstrengenden Arbeit sollte ihr Schlaf dunkel und tief sein; der Zustand, in dem ihr schutzloser Geist sinkt, offenbart ihr aber eine Vision, deren fragile Materie zum Teil in die Welt des Erwachsen hinüberwechselt. Ein Geheimnis nimmt seinen Lauf, das immer mehr ihre Alltag zu bestimmen beginnt – ein Geheimnis um die gespenstische Fotografien der Vormieterin ihrer Wohnung.

Das unverwundbare Abbild
Der Sommer liegt über der Stadt, brütende Hitze erfüllt die Wohnungen der Menschen und wabert wie ätherische Lava durch die Straßen und Gassen. In dieser Glut wird sie von Alträumen heimgesucht, die sie zurück in ihre Kindheit führen. Damals, vor mehr als drei Jahrzehnten, war sie mit ihrer Freundin Josefina die labyrinthartigen Wege des Gastarbeiterviertels abgeschritten, erforschte mit ihr dunkle Tunnel und vollzogen einen Schwesternschwur. Was für sie in kindlicher Einfallt begann, lässt ihr gegenwärtiges Leben plötzlich in Dimensionen des Grauens abgleiten, den Schwur zu einem Fluch werden, der nur noch mit Blut zu bannen ist.

Das Netz
Eigentlich ist Wilmar nur als Touristin nach Berlin gekommen. Die Arbeitskollegin, mit der sie sonst immer den Urlaub zu verbringen pflegt, ist wieder mit einem Mann zusammen. Eine gemeinsame Reise ist somit nicht möglich. Berlin im Jahr 1988 trägt neben der großstädtischen Maske auch das Gesicht der Teilung - die Mauer zieht sich durch die Häuserschluchten, wie eine Narbe. Eines Abends, in der verrauchten Kneipe „Stiege“, lernt sie Theo kennen: Einen höchst attraktiven Mann, südländischer Herkunft. Schon nach wenigen Tagen, in denen sie sich immer wieder treffen, erliegt Wilmar seinem dunkel-verträumten Charme, was eine Nacht höchster, erotischer Genüsse nach sich zieht – am nächsten Tag ist er jedoch fort! Die letzten Tage verbringt Wilmar in der Trauer und Sehnsucht. Sie versucht, sich von der Schmach abzulenken und streift ruhelose durch die Straße von Berlin, wobei sie durch Zufall auf Theo trifft, der im Begriff ist, nach Hause zu gehen. Heimlich folgt sie seinen Schritten, die auf den Dachboden des eines Gebäudes führen, das er bewohnt. Dort muss Wilmar eine Entdeckung machen, die ihr das Blut gefrieren lässt.

Das Produkt der Nacht
Um die freie, durch seine arbeitslosigkeit bedingte Zeit zu nutzten, streift er durch die Nachbarschaft seines Viertels, wo er ein Kino entdeckt. An jenem Tag flimmer etwas über die Leinwand, das seltsam und beängstigend anzusehen ist. Schließlich, als wäre das filmische Machwerk und die Realität eine sündhafte Vereinigung eingegangen, erscheint alles um ihn herum bedrückend und diffus.

Rindaldinis Hände
Durch den Beruf, den er früher ausübte, leidet Herr Krumm an starken Schmerzen in den Knien. Von seinem erst kürzlich zugezogenen Nachbarn wird ihm nahe gelegt, einen speziellen Arzt zu konsolidieren, der im Hafenviertel der Stadt praktizieren soll. Für den Leidenden, der sich nach langem Zögern zur Therapie bei jenem wundertätigen Mediziner entschließt, würde diese nicht nur das Verschwinden seiner Schmerzen bedeuten, sonder auch den Verlust seiner Persönlichkeit.

Die Drachentochter
Von ihrem Kaiser verstoßen, von Zorn und Schmach getrieben, verwandelt sich die schöne Yü-Fen in eine herzlose, boshafte Hexe. Alle Menschen, so sie in ihre Gewalt gelangen, sind dazu verurteilt, einen langsamen und grässlichen Tod zu sterben – vor allem junge Männer, die sie an ihren herzlosen Kaiser erinnern. Die Zeit vergeht in großen Sprüngen, während sich dunkle Legenden um die Gestalt der Hexe Yü-Fen zu ranken beginnen. Es begibt sich jedoch, dass drei Brüder in ihr Domizil eindringen und von ihr Gefangen gesetzt werden. Mit süßer Brutalität raubt sie ihnen das Leben und wirft ihre kümmerlichen Überreste fort. Die Schwester der drei, Lo-Foh geheißen, findet ihre Gebeine und schwört Rache.

Das Herz der Dunkelheit
Nachdem er seine Arbeit verloren hat, werden die Reisen durch die Stadt zu einer wichtigen Waffe gegen die Monotonie der Tage. Vor allem die Abendstunden in mitten der Straßenschluchten, verwinkelter Gassen und verschwommen-kontrastierten Beleuchtungen der schmutzigen Gebäude haben es ihm angetan. Die Tristes des Häusermeeres beginnt seine Seele zu vereinnahmen und sein innerstes Zentrum hebt zögerlich an, mit dem Herz der Dunkelheit im Gleichklang zu schlagen. Noch ist er diesem schwarzen Organ nicht ansichtig geworden, doch eines Tages zerbricht die fragile Hülle, von der immer gesagt wurde, sie sei die Realität.

Der Hierophant des Traumes
In der Wohnung, die er noch nicht allzu lange bezogen hat, findet er – versteckt in den Winkeln einem Geheimfaches – ein zerfurchtes Buch ohne Inhalt. Daraufhin plagen ihn des Nachts entsetzliche Alpträume, die ihn fühlen lassen, seine Persönlichkeit würde ausgelöscht. Als er am nächsten Tag wieder einen Blick in das Buch wirft, haben sich die ersten Seiten mit Text gefüllt. So geht es Nacht für Nacht, während sein Körper zusehens verfällt und die unheilige Foliant immer dicker wird.

Der Schädel
Die Legende von einer schwarzen, verhüllten Gestalt geistert schon seit Entstehung der Metropole durch ihre verfallenen Annalen. Wer diesem Schatten folgt, wird einem Geheimnis gegenwärtig, dessen Tragweite nicht zu ermessen ist. Eines Tages, einem fernen Ruf folgend, trifft er auf dieses Phantom, das ihm zu seinem Refugium führt. Doch keine Schätze gibt es dort zu heben, sondern eine vorhergesagtes Ereignis an der Stadt soll sich nun erfüllen. Dem Menschen, der es vorantreibt jedoch, leuchtet ewiger Frieden.

Die zweite Treppe
Die Stadt hat sich in einen düsteren Nachtschatten verwandelt. Alles ist im Wandel begriffen, bekannte Dinge tranformieren zu perfidenen Abklatsch einer sinnverwirrenden Realität, die von der Kraft einer kalten Appartur durchpulst und von der Lebensenergie der Menschen gespeist wird.

Die darbenden Schatten
Im Park erzählt er einer alten Frau, die sich zu ihm auf die Bank gesetzt hat, von den Visionen, die ihn Plagen. Visionen von einer verwüsteten Welt, in der nur noch ein Turm aufragend das lebensnotwendige Gefängnis für zwei der letzten Überlebenden darstellt. Von einem Menschen, der erkennen muss, wie es um sein trauriges, einsames Dasein bestellt ist; von zwei Schwestern, die letztendlich erkennen, welche Welt ihr wahres Zuhause ist, in dem sie einzige die wahre Geborgenheit finden können; von einer Zugreise, die in die Abgründe der menschlichen Seele führt; und von Schuld, die eine quälenden Last bedeutet.

Drüber geschaut:

In Sommergewitter ist unschwer die Verarbeitung der Pädophiliethematik erkennbar. Der Autorin gelingt durch unmissverständliche Andeutungen, verbunden mit den eindringlich geschilderten Gefühlsleben der Protagonisten und der Szenerie eines Gewitters ein intensives Bild des Schreckens zu erzeugen.

Visionen von Eden beschreibt eine Zukunftsvision, deren Wirklichkeitwerdung gar nicht so abwegig erscheint. Der Mensch ist nach der Zerstörung jeder Zivilisation auf tierniveau herabgesunken. Die Schrecken des Kampf ums Überleben dominieren den ersten Teil der Geschichte, während im zweiten Abschnitt erzählt wird, wie die Menschen versuchen, auf den Trümmern ihrer alten Existenz eine neue Zivilisation zu errichten. Ein sinnloses Unterfangen, denn noch immer lassen sie sich von ihren Trieben und Schlechtigkeit beherrschen. Gesellschaftskritik gekoppelt mit einer postapokalyptischen Szenerie verleihen Visionen von Eden eine furchterregenden Authentizität, der man sich nicht entziehen kann.

In Empusa Muscae wird die Suche nach einem sicheren Unterschlupf für die Protagonisten zu einer Entdeckungsreise des Schreckens. Durch die Abholzung der Wälder bedeckt nun gelöster Sand die Erde und zwingt viele Menschen aus ihren Häusern. Gemeinsam mit ihrer Freundin Tao sucht Susann in dieser verwehten Welt eine sichere Unterkunft in einem Bergwerk, doch ist die Luft dort erfüllt mit den Sporen eines besonderen Pilzes. Die Geschichte enthält nicht nur einen anklagende Kritik am Raubbau der Erde, sondern verbreitet eine intensive Weltuntergangsstimmung.

Als eines der besten Beispiel angerhuberscher Phantastik kann wohl Sphinx Ligustra gelten. Erzählt wir hier, teils in Tagebuchform, vom Schicksal des Herrn Mertes, der vor 50 Jahren, während der Bombardierung von Gerolstein, etwas vergraben hat, das er nun wieder an die Oberfläche fördern will. Hinzu kommt eine Geheimnis, das sich um die Entschlüsselung der Schmetterlingssprache dreht. Das unheilschwanger Fluidum von Sphinx Ligustra trifft den Leser mit ganzer Kraft. Leise, fast schon behäbig, kommt es in kryptischen Schilderungen daher, um am Ende zu furcherregender Wahrheit über den Tod des Protagonisten zu gerinnen. Die Kunst mit lautlos-schrecklichen Andeutungen zu arbeiten, beherrscht die Autorin meisterhaft!

Ein weiteres großes Thema, welches Eddie M. Angerhuber – wie hier in Die verborgenen Kammer – gekonnt zu variieren versteht, ist das Aufzeigen der wahren Existenz hinter dem Scheindasein, das den Menschen als Realität vorgelegt wird. Im Internat der Protagonistin herrscht ein züchtiger, strenger Ton, der mit biblischen Eifer betrieben wird, in Wirklichkeit jedoch, hockt hinter dieser brutalen Frömmigkeit der Teufel in Persona. Mit einem Ton tiefster Verzweiflung, in dem sich ein Hauch perverser Melancholie mischt, trifft die Autorin den finsteren Nerv des Lesers.

Etwas magisch-mystisches erfüllt Projektionen zu Anfang. Doch der düstere Klang, der die erzählerischen Wände erfüllt, lässt dieses Gefühl bald vergehen. Die Figur des Doktor Lejanaues entpuppt sich bald als Monster, während sich seine Frau und die Gesellschafterin Yü ebenfalls als dämonische Wesen entkleiden. Ein befürchteter Drift zur Fantasy wird aber gekonnt abgefangen, da die dunkle Natur der Protagonisten in den Vordergrund gerückt wird und das Timbre unheimlicher Phantastik durch Stil und Handlungsentwicklung aufrecht erhalten bleibt. Projektionen erscheint deshalb als düster dunkles Phantasie, mit einem Anklang Surrealismus versehen, und hohen Grusel- und Faszinationsfaktor.

Die Thematik von Vergeltung ist wohl bekannt und obzwar das Ende einen bitter-bösen und recht überraschend Nachhall besitzt, mutete der Text in seiner Gesamtheit eher beliebig an. Eine kurzweilig Geschichte, die gegenüber anderen Schriften der Autorin alllerdings eher blass wirkt.

House of Horror kommt in seinem Duktus als ruhiger, schwerfälliger Text daher; zeitweilig stellt man sich sogar die Frage, worauf die Autorin hinaus möchte. Die Aufklärung des Geschehens ist dafür umso bedeutungsvoller; wird der Protagonist doch mehr und mehr seiner Handlungsfreiheit beraubt. Das dabei entstehenden Gefühl der Bedrückt- und Hilflosigkeit gegenüber dem Fortgang, erfasst auch den Leser und schürt in ihm den unweigerlichen Verdacht, dass nicht nur das narrative Sein in der Geschichte, sonder auch das reale einem verborgenen Mechanismus unheimlichen Eigenlebens unterworfen ist, hat man den Fehler begangen, arglos eine ätherische Taste zu drücken.

Es mutet fast wie die klassische Szenerie einer Gruselgeschichte an: Ein Mann erbt das Haus von einem Verwandten, bezieht es und sieht sich plötzlich erschreckenden Erscheinungen gegenüber. Auf Madam Mosca trifft solch Kontext jedoch nur bedingt zu, denn die ominöse Figur der Madam Mosca und ihres Schülers Kasimir wirken durchaus wie lebendige Wesen und sprechen jeder Geistererscheinung Hohn. Ja, ihre Lebendigkeit scheint sogar überproportional, fast schon infernalisch – und mehr als düster.

Wie ein urbane Schauermähr breitet sich Die Enthüllungen des Raupenwolfes vor dem Leser aus, in der Wirklichkeit und Traum Stufe um Stufe zu verwischen beginnen. Ohne Schutz ist die Protagonistin diesem surrealen Kataklysmus ausgeliefert. Blinder Eifer, der jede menschliche Regung ausgelöscht hat, wird zum Mittel des Durchstoßen einer Tür, die in schwarze Klüfte führt. Die Intensität der Schreckendimension eines Lovecraft könnte man hier als Beispiel anführen: Beklemmend, nicht greifbar und verstörend; ohne jedoch die Form einer Pastiche anzunehmen, sondern individuell und auf dunkle Weise berauschend.

Träume plagen die Protagonistin in Das unverwundbare Abbild und führen sie zurück in ihre Kindheit voll heimlicher und köstlicher Schrecken. Eine Geschichte gefüllt mit exzessiver, archaischer Magie, verbracht in das Milieu städtischen Lebens und verbunden mit dem Aspekt der Schuld. Diese Mischung beschwört finstere Impressionen, die Kraft ihrer emotionalen Schwärze schnell den Geist des Lesers vereinnahmt und die bittere Resonanz von Gewalt und Ausgrenzung in seinen Hirnwindungen wallen lässt.

Das Netz ließt sich fast wie eine morbide Liebeserklärung an Berlin. Wilmar ist in diese Stadt gekommen, um hinter deren Fassade zu blicken. Nicht das falsche Glitzern liegt in ihrem Interesse, sondern der verborgene Kern, von dessen unheimlicher Kraft sie Stück für Stück umgeben wird und bald selbst einen Keim in sich trägt. Diese Aufdeckung zweier Gesichter ein und der selben Metropole entfalte eine beängstigende und gleichsam anziehende Wirkung auf den Leser. Selten haben phantastische Elemente und explizit beschriebene Sexualität so gut zusammengepasst.

Das Produkt der Nacht gereicht Thomas Ligotti, dem es auch gewidmet ist, zu Ehren und bedient sich dessen anachronistischer, dimensionsloser Erzählstruktur. Doch wo seine Erzählungen gefangen bleiben in ihrer eigenen Tiefe jenseits bekannter Strukturen, wechseln bei Eddie M. Angerhuber diese Manifestationen vom Traumzustand in die Welt der Wachen und somit in den direkten, gedanklichen Wirkungsbereich des Leser. Das Gefühl tiefer Beunruhigung ist die Folge daraus.

Ist das Leben nicht eine schmerzvolle Existenz? Wäre es nicht besser, dieses Leiden zu Gunsten eines anderen Dasein aufzugeben? Und ist das, was wir tagtäglich als unsere vertraute Umgebung erkennen und die menschlichen Geschöpfe, die uns so sehr ähneln, nicht bloß Fassade, hinter der etwas vollkommen Fremdes lauert? Unausweichlich wird sich der geneigte Leser nach der Lektüre von Rindaldinis Hände zweifelnd im Spiegel betrachten und versuchen, hinter das Antliz zu blicken, was sich vor ihm spiegelt.

Wie ein elegisches Märchen aus dem alten Japan mutet Die Drachentochter an. Eddie M. Angerhuber gelingt es, auch jenseits der Domäne des Unheimlich, Erzählungen mit eindringlicher Atmosphäre zu schaffen.

Die Beiträge Das Herz der Dunkelheit, Der Hierophant des Traumes, Der Schädel und Die zweite Treppe folgen in abständigen Variationen Motiven wie der Entfremdung gegenüber der eigenen Umwelt, das stückweise Voranschreiten der Auslöschung menschlicher Persönlichkeit, der Mechanisierung des Willens und Charakters durch ein vorherrschendes System der Gleichförmigkeit und gedanklicher Auslöschung. Der Autorin gelingt es auf unnachahmlicher Weise, diese Inhalte in Form von Metaphern im Kopf des Lesers zu manifestieren, wo sie sich parasitengleich festsetzten. Hinzu gesellst sich der Stil erschreckter Ernsthaftigkeit, als handle es sich um Tatsachenberichte.

Die darbenden Schatten beschließt diesen Band gleichen Namens und umfasst fünft Teil, die alle im Bewusstsein tiefster Leer enden. Dieser Erzählung entspringt eine Gefühl allumfassender Trostlosigkeit. Es ist, als blicke man auf die zerfetzen Reste des Seelenkleides eine geschundenen Wesens.

Ein Buch von Eddie M. Angerhuber zu lesen, bedeutet, sich in eine Welt der düstersten Färbungen zu begeben. In den meisten ihrer Beiträge ist es den Protagonisten nicht gegeben aktiv an der Handlung teilzunehmen. Hilflos sind sie den degenerativen Kräften ihres Umfeldes ausgesetzt, was für manchen Lesern ein gravierender Kritikpunkt sein könnte. Diese vermeintliche Schwäche scheint aber für die Wirkungsentfaltung ihrer der angerhuberschen Geschichten unumgänglich. Ihre Charakter wirken nicht von ungefähr anonym und geschlechtslos; verleitet dieser Leerraum den Rezipienten doch dazu, diese blanken Stellen mit seinem eigenen Ich zu füllen. Des weiteren ist ein untergründiger Ton leiser Zärtlichkeit zu spüren, der ahnen lässt, dass die namenlosen Figuren der Autorin wichtig sind, auch wenn sie im gleich Atemzug für ihren Untergang sorgt. Mit metaphernreicher Sprache und düster-melancholischen Stil weist Eddie M. Angheruber darauf hin, dass der Mensch Gefahr läuft seines immaneten Wesens, seines selbständigen, ureignen Charakter beraubt zu werden. Gier, Hass und Neid sind die Triebfedern, die zum Verlust des Innersten führen.
Die darbenden Schatten ist nicht nur ein Werk der Dunklen Phantastik, es ist gleichsam eine Klageschrift gegen soziale und moralische Verwerfungen; und eine unterschwellige Anleitung, wie man dem Schicksal der Seelenlosigkeit entgehen kann.
Es bleibt zu hoffen, dass nach diesem Band, der auf mehr als 300 Seiten einen Querschnitt des Schaffen der Autorin über die 90er Jahre bis heute vortrefflich dokumentiert, wieder zur Feder greifen wird, um auch in Zukunft den Leser an ihren Schreckensvisionen teilhaben zu lassen.

Fazit:

Ein Fest für Freunde der dunklen, subtilen Phantastik. Dieser Titel beweist einmal mehr, dass Eddie M. Angerhuber zu den wichtigsten Autoren der modernen Unheimlichen Phantastik des deutschsprachigen Raumes gezählt werden muss!

08. Jan. 2012 - Eric Hantsch

Der Rezensent

Eric Hantsch
Deutschland

* 29. Mai 1986
Website: http://dunkelgestirn.wordpress.com
Total: 11 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen

Eric Hantsch stellt sich vor:

Geboren wurde ich am 29.05.1986 in Dresden und lebe in Neustadt i. Sa., einem ländlichen Ort, unweit der Sächsischen Schweiz.
Die Begeisterung für phantastische Geschichten wurde schon frühzeitig in mir geweckt; angefangen mit den Märchen der Brüder Grimm und Wilhelm Hauff. Das erste,...

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