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Die Moorgeister
LITERRA EMPFIEHLT „O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn,
Und die Ranke häkelt am Strauche.“
„Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff
Es gibt Bücher, die begleiten uns ein Leben lang. Während man viele im Laufe eines Leselebens wieder aus dem Gedächtnis streicht, bleiben andere für immer präsent. Nicht unbedingt jedes Handlungsdetail, aber mit Sicherheit die Atmosphäre des Buches, seine Magie. Oft erinnern wir uns auch an bestimmte Orte, an denen wir dieses besondere Buch gelesen haben, oder verknüpfen Gerüche, Geräusche und Melodien mit dem Gelesenen. Und nicht selten sind dies Bücher aus unserer Kindheit oder Jugend, die ihre Faszination bis ins hohe Alter hinein bewahren.
Von einem dieser Bücher möchte ich dieses Mal berichten, denn es gehört zu den eindrucksvollsten und schönsten Geschichten, die ich in meiner Kindheit lesen durfte.
Es handelt sich dabei um Angela Sommer-Bodenburgs wundervolles Kinder- und Jugendbuch „Die Moorgeister“.
Als sich Timo in seinen Sommerferien entsetzlich langweilt schicken ihn seine Eltern zu Tante Mimi nach Moorkaten. Anfangs ist Timo von dieser Idee wenig begeistert und der unheimliche Fremde, der ihm während der Zugfahrt die Geschichte vom Händler der verkauften Träume erzählt, trägt nicht gerade dazu bei, seine Vorfreude zu steigern. Der Schrecken fährt Timo in die Glieder, als ein Mann ihn abholt, dessen Erscheinung haargenau auf den beschriebenen Händler der verkauften Träume zutrifft. Doch es ist lediglich Tante Mimis Nachbar, der bloß Eier verkauft. Tante Mimi empfängt den schüchternen Timo mit offenen Armen und schon bald stellt sich auch die gleichaltrige Lydia von Nebenan bei ihm vor, die dem Stadtkind Timo zunächst jedoch sehr reserviert und kühl gegenübertritt. Etwas befremdlich wirken auf Timo auch die Erzählungen von Lydia und Tante Mimi über die Geister, die im Moor und angeblich sogar hinter dem heimischen Herd hausen sollen. Umso überraschter ist Timo natürlich, als sich ihm Tante Mimis Herdgeist kurz darauf persönlich vorstellt. Das ist insofern außergewöhnlich, da sich die Geister nur ganz besonderen Menschen zeigen. Tante Mimi beispielsweise hat ihren Herdgeist selbst noch nie zu Gesicht bekommen, im Gegensatz zu der rothaarigen Lydia, die hier häufig zu Besuch ist. Auch Timo hat feuerrotes Haar, wegen dem er in der Schule oft gehänselt wird, doch Tante Mimi glaubt, dass dies ein untrügliches Zeichen für seine Andersartigkeit ist. Trotzdem ist Timo ziemlich mulmig zumute als Lydia ihn zu einem Spaziergang ins Moor einlädt. Ein falscher Schritt kann das Verderben bedeuten und nur Lydia kennt den sicheren Pfad bis zum schwarzen Geistersee …
Eines steht fest, diese Sommerferien wird Timo nie vergessen und ich persönlich bedauere es bis heute, dass Angela Sommer-Bodenburg nie eine Fortsetzung des Romans geschrieben hat, der gerade einmal 150 Seiten Umfang hat, eine große Schrift aufweist und mit vielen, wunderschönen Illustrationen von Reinhard Michl ausgestattet ist. Zusammengenommen dürfte der Text kaum Heftromanlänge erreichen, und doch ist es der Autorin auf diesen wenigen Seiten gelungen eine Geschichte von außergewöhnlicher Intensität und Atmosphäre zu schaffen, die mich bis heute nicht losgelassen hat. Begegnet sind mir „Die Moorgeister“ erstmals in meiner Grundschulzeit in unserer fahrenden Leihbücherei, die unser Dorf einmal wöchentlich besuchte. Das Buch stammte aus dem Wunderlich-Verlag und war ein großformatiges, schön gestaltetes Hardcover (24,5 x 17 cm). Die bereits erwähnten Illustrationen waren komplett in Farbe gehalten. Schon beim ersten Mal Lesen nahm mich die Stimmung der Geschichte gefangen und Annette von Droste-Hülshoffs wunderbares Gedicht „Der Knabe im Moor“ avancierte bereits in jungen Jahren zu meinen lyrischen Favoriten. Jahre später, erwarb ich die Erzählung als Taschenbuch-Ausgabe von Rowohlt (rororo) mit dem obligatorischen Rotfuchs-Comic-Strip unter dem Klappentext. Der Umschlag hat im Laufe der Zeit gelitten, trotzdem hält er das Buch immer noch gut zusammen und es ist auch heute noch ein Genuss die Geschichte zu lesen, obwohl dafür nicht mehr als ein Nachmittag notwendig ist. Zu meiner Freude habe ich auch die Hardcover-Ausgabe des Wunderlich-Verlages auf einem Flohmarkt günstig erstehen können, so dass die Kindheitserinnerung perfekt ist. Natürlich hat Angela Sommer-Bodenburg auch kleine moralische und pädagogische Appelle mit einfließen lassen. Die Botschaft von Toleranz und Akzeptanz ist nicht ganz so offensichtlich wie der Aufruf zum Schutz der Moore, die durch jahrelangen Torf-Abbau stark gelitten haben. Darüber hinaus aber wird die Fantasie des jungen Lesers angeregt, gefördert und das Interesse an der Natur geweckt. Bei mir hat es damals wie heute prima funktioniert und ich würde mir wünschen, dass es auch heute noch viele Eltern gibt, die dieses Buch ihren Kindern schenken, und diese eine ähnliche Freude beim Lesen empfinden werden wie ich vor fast einem Vierteljahrhundert. So ist der Band fast schon ein zeitloser Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur, der leider immer noch im Schatten des kleinen Vampirs steht, dem die Autorin ihren internationalen Erfolg zu verdanken hat.
Hardcover-Ausgabe
LITERRA EMPFIEHLT Beitrag vom 17. Feb. 2013
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