Auch Hochdeutsch ist unsere Muttersprache

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Auch Hochdeutsch ist unsere Muttersprache

Von Beat Allenbach, 09.03.2012

In einem Land, das seit Jahrhunderten verschiedene Kulturen vereint, ist die Sprachenfrage wichtig und verdient unsere Zuwendung. Doch deutschschweizerische Politiker und Medien ignorieren dieses Thema.

Der Nationalrat hat zu Beginn seiner Frühjahrssession Vorstösse des Genfer Grünen Antonio Hodgers diskussionslos mit erdrückenden Mehrheiten abgelehnt. Seine parlamentarischen Initiativen verlangten namentlich für Informations- und Diskussionssendungen von Radio und Fernsehen DRS vermehrt den Gebrauch der deutschen Sprache; weiter sollten Bundesräte, sofern sie sich in der Öffentlichkeit an eine grössere Menschengruppe wenden, sich auf deutsch äussern wie das vor 30 Jahren üblich gewesen sei.

Provinzialität als Programm

Kathy Riklin (CVP) als Sprecherin der zuständigen Kommission begründete die Ablehnung im Nationalrat u.a. mit folgenden Worten: „Für die Deutschschweizer ist Schweizerdeutsch die eigentliche Muttersprache und nicht Hochdeutsch.“ Das trifft nur teilweise zu, denn wir Deutschschweizer haben zwei Muttersprachen, die Mundart und das Hochdeutsch. Deutsch gehört schon deshalb dazu, weil es die Sprache des Lernens, der Schule, die Sprache der Zeitungen und Bücher ist.

Die deutsche Sprache öffnet uns zudem die Tür auf einem wichtigen Teil der Welt. Etwas unbedacht sagte Frau Riklin weiter: „Schweizerdeutsch ist für uns die Sprache des Herzens“. Präziser wäre wohl, die eigene Mundart sei die Sprache des Herzens, denn Schweizerdeutsch gibt es kaum, vielmehr besteht eine bunte Vielfalt von Mundarten. Wenn ein Oberwalliser, ein Obwaldner oder ein Basler in der Ostschweiz verstanden werden will, muss er seinen Dialekt abschleifen, ja malträtieren.

Die Tessiner als Vorbild

Die CVP-Nationalrätin hat zudem vergessen, dass gerade die Tessiner ihren Dialekt als Sprache des Herzens bezeichnen. Entsprechend ist der Dialekt für viele die Sprache in der Familie, im Freundeskreis, doch wenn sie einen Tessiner treffen, den sie nicht kennen, wird italienisch gesprochen. Viele Tessinerinnen und Tessiner lieben ihren Dialekt, doch gleichwohl haben sie ein unverkrampftes Verhältnis zum Italienischen. Dass die italienischen Nachbarn oft eine geschliffenere Sprache mit einem reicheren Wortschatz sprechen, bringt sie nicht aus der Fassung. Die Tessiner könnten uns also Vorbild sein.

Die parlamentarischen Initiative von Nationalrat Hodgers löste im Rat keine Diskussion aus. Zu jener Initiative, welche die Bundesräte betrifft, äusserte sich nicht einmal ein Kommissionssprecher: sie wurden abgeschmettert. Noch bedenklicher ist, dass Hodgers Anliegen auch in der Presse der Deutschschweiz kein Thema war, nicht einmal die NZZ erwähnte den Entscheid des Nationalrats, einzig NZZ online brachte einen Artikel zum Thema.

Die Arroganz der Deutschschweizr

Ganz anders ist die Situation im Tessin, wo man schon lange beunruhigt ist, dass die Mundart am Radio und am Fernsehen der deutschen Schweiz, aber auch in der Politik, sich immer stärker ausbreitet. Die Entscheide des Nationalrats lösten in der Tessiner Presse eine Vielzahl von Berichten, Kommentaren und Gastartikeln aus, und das Fernsehen der italienischen Schweiz widmete der Sprachenfrage eine Diskussion mit Teilnehmern aus den Sprachregionen. Viele Tessinerinnen und Tessiner fühlen sich durch die Vorherrschaft der Dialekte in der Deutschschweiz von den laufenden Geschehnissen und den entsprechenden Diskussionen ausgeschlossen. Es schmerzt viele, dass in der Deutschschweiz wenig Rücksicht auf Bedürfnisse und Wünsche der Tessiner genommen wird.

Antonio Hodgers ging es darum, das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den verschieden Sprachregionen zu stärken. Doch für dieses hochaktuelle Begehren haben besonders jene Parteien, die sich brüsten, die einzigen echten Schweizer zu sein oder doch aus Liebe zur Schweiz zu handeln, keinerlei Verständnis: sie stimmten nein, nein, nein. Da schimmert die Anmassung, ja Arroganz gewisser Deutschschweizer durch, die glauben sie seien die wahren Schweizer.

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@ U. Naegeli und Beat Allenbach Danke für Ihre Einschätzung, Herr Nägeli. Wir CVP-lerinnen und CVP-ler sind weltoffen und tolerant. In unserer Fraktion wird Standarddeutsch, Französisch und Italienisch gesprochen. Und auch die Romanischsprechenden fühlen sich bei uns wohl. Ich lade Sie und Herr Allenbach gerne zu uns ins Bundeshaus ein. Polemische Artikel, die den Kommissionssprecherinnen einfach das Wort "unbedacht" zuweisen, ohne die lange Debatte verfolgt zu haben, ärgern mich. Sie sind auch nicht sehr hilfreich für unsere Willensnation Schweiz, Suisse, Svizzera, Svizra, wo sich doch einige Nationalrätinnen und Nationalräte sehr für die kulturelle Vielfalt unseres Landes einsetzen. Ich zähle mich zu diesen. Kathy Riklin (der Name wurde jetzt ja korrigiert, merci).

Egregio signor Allenbach, ho la fortuna di lavorare quotidianamente con colleghi provenienti dai quattro angoli di questo nostro bel paese. Con gli anni mi sembra però di percepire un avvicinamento empatico con gli svizzero-tedeschi, al di là del fatto che sono sempre numerosi quelli che si ostinano a rivolgermi la parola nel loro vernacolo. Mentre percepisco un divario sempre maggiore con i romandi. Non credo che questo abbia a che fare con l'accrescimento delle mie competenze linguistiche. Se tra Svizzeri non ci capiamo o ci capiamo un po' meno rispetto a un tempo, forse la causa non è -purtroppo- soltanto una questione di dialetti. Comunque uno sforzo d'attenuazione di questa da lei definita arroganza, non potrebbe che aiutare a rafforzare la svizzeritudine. Ne abbiamo bisogno!

... ergänzend noch ein paar Frage an Herrn Naegeli: Wie erklärt denn diese Wissenschaft, dass sich die Holländer und die Plattdeutschen ohne Rückgriff auf eine Hochsprache verstehen? Ist Holländisch auch eine Sprachform des Deutschen? Wie kam es, dass die Schweiz (fast) dieselbe Standardsprache hat, wie die Norddeutschen, nicht aber die Holländer? Ist das wirklich eine natürlich Entwicklung oder vielmehr auch auf Politik zurück zu führen?

Lieber Herr Allenbach!

Danke für Ihren Artikel!

Ich glaube, aber es fehlen einige Aspekte darin. Jeder Sprachraum ist offenbar hinsichtlich der Haltung gegenüber Dialekten oder Idiomen sehr unterschiedlich.

Was Ihre Bemerkungen zum Tessin betrifft, glaube ich, sie sind etwas idealisierend: Bekannte aus Chiasso erzählen mir, bei ihnen sprächen nur noch Grosseltern den Dialekt, manche Junge - nicht nur Einwanderer! - verständen ihn gar nicht mehr. Demgegenüber beklagte sich eine andere Bekannte aus dem Südtessin über die Leute in Bellinzona, die sie immer im Dialekt ansprächen. In Gruppen sei es für sie dort unmöglich, am Gespräch teilzunehmen, denn die Leute würden immer in den Dialekt fallen. Dort ist es also nicht so anders als in Bern...

Auch in der Deutschschweiz haben die Ostschweizer (ursprünglich z. B. ich) weniger Mühe mit Standarddeutsch als z. B. eben die Berner. Das ist jedenfalls mein Eindruck.

In der Romandie, wo ich jetzt lebe, wurden die Patois dafür ganz gründlich ausgerottet. Dass ihnen kaum jemand eine Träne nachtrauert, ist weder gut noch schlecht, aber es ist auch nicht schlecht, dass die Deutschschweizer einen anderen Bezug zu ihren Dialekten haben.

Immerhin ist es im ganzen deutschen Sprachraum ausser in der Schweiz üblich, mit jedem so zu reden, wie einem die Zunge gewachsen ist. Ein Bayer wird sich kaum je bemühen, Standarddeutsch zu sprechen, nur weil er in Stuttgart ist. Im Gegenteil...! Nur wir Schweizer haben das Gefühl, wir müssten es den Leipzigern gleichtun, sobald wir über den Rhein gucken. Was natürlich immer eher peinlich rauskommt...

Demgegenüber gibt es im Standarddeutschen (das übrigens nicht "höher" ist als jedes andere Deutsch...) ebenfalls regionale Unterschiede. Und derer sollten sich die Deutschschweizer nicht schämen. Dort haben wir Aufholbedarf:

Haben wir einmal unser eigenes Standarddeutsch akzeptiert und das Minderwertigkeitsgefühl abgelegt, das uns beseelt, wenn wir mit einem Deutschen sprechen, ist der Moment gekommen, wo wir uns nicht mehr so krampfhaft an unsere Dialekte klammern müssen.

Sie haben noch mehr recht hinsichtlich der Bundesräte und der Medien. Da bin ich mit ihnen völlig einig, dass ich die übermässige Schweizerdeutschmode zu oft als billige Anbiederei empfinde.

Freundliche Grüsse! Urs Thalmann

Wissenschafltich gesehen ist das alles von A-Z kreuzfalsch: Deutsch ist eine einzige Sprache mit verschiedenen Sprachformen. Schweizerdeutsch gibt es nicht, wie der Artikel richtig bemerkt. Es gibt verschiedenste alemannische und hochalemannische Dialekte, die sich zum Teil stärker unterscheiden, als gewisse Dialekte in deutschen Bundesländer. Wie man das zu einer Dialektgruppe "Schweizerdeutsch" verbinden kann ist eigentlich ein Rätsel. Aber offenbar wollen viele Kreise in der deutschen Schweiz unser Land noch mehr isolieren, als wir es sonst schon sind, was mich von NR K. Riklin doch sehr erstaunt. Ich hatte die CVP für weltoffener gehalten...

Herr Allenbach Sie haben natürlich recht und ihr Artikel ist wichtig. Aber das Problem ist weniger dass die deutsche Sprache vernachlässigt wird, als dass wie als Politiker immer mehr kulturlose Schreihälse haben und zunehmend sind auch Frauen darunter. In der ganz normalen Gesellschaft (nicht etwa nur der gehobenen, zu der ich mich nicht zähle) spricht man deutsch, sobald ein nicht Deutschschweizer in der Runde ist, oder gar dem ungeschriebenen Höflichkeitsgebot folgend die Sprache der in der Runde anwesenden Sprachminderheit - sei das nun französisch oder italienisch. Nur das Romanische bleibt aussen vor, da es ausser den paar Romanen eh niemand sprechen kann. Zunehmend wird auch englisch verwendet, wenn nicht alle die Sprache des nicht Deutschschweizers sprechen können. Schön sicher, aber wie werden wir die Schreihälse los?

Guten Tag Herr Allenbach

Wenn sie mich zitieren, auch nur bruchstückweise und polemisch, dann sollten Sie mindestens meinen Namen korrekt schreiben. Ich musste die Meinung der Kommission wiedergeben. Auch dies erwähnen Sie nicht. Persönlich denke ich viel differenzierter Die Situation im Tessin kenne ich sehr gut, ich durfte auch in der Direktsendung 6o minuti lunedì scorso (italienisch sprechend) teilnehmen. Mit freundlichen Grüssen

Dr. Kathy Riklin, Nationalrätin, Kommissionssprecherin WBK

Diese Provinzielle Einstellung hilft eben den echten Schweizern, sich besser von den Fremden abzugrenzen, denn schon durch den Gebrauch der Schriftsprache (Hochdeutsch existiert eigentlich gar nicht, da eine Sprache nicht Hoch, Tief, oder gar Breit sein kann!) würden diese Menschen einen Schritt auf ihr Gegenüber machen, doch dann fallen sie sofort in ihrer Herde auf, weil da alle nur noch in ihrer eigenen Mundart und sogar mit ihren eigenen gesinnungsschwangeren Geheimwörtern blöken.

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