Demokratie unter Strom
Am 21. Mai entscheidet das Volk über das Energiegesetz (EnG). Annahme oder Verwerfung stehen hier nicht zur Diskussion. Es interessiert nur, ob die bundesrätlichen Erläuterungen und der Gesetzesentwurf für Energieverbraucher ohne Expertenwissen verständlich sind, um in Kenntnis der Konsequenzen den Stimmzettel auszufüllen. In diesem Sinne lasen wir Erläuterungen und Gesetz unvoreingenommen und mit der Einsicht in die Notwendigkeit, die Umwelt zu schonen und Energie zu sparen.
Die Kosten stehen in den Sternen
Unser Augenmerk galt den gesetzgeberischen Zielen und ihrer überprüfbaren Erreichbarkeit, der Griffigkeit der Massnahmen und den Kosten.
Um mit Letzteren zu beginnen: Ihr wahrer Umfang steht in den Sternen. Die Gegner des EnG behaupten, dieses koste „in den nächsten gut 30 Jahren rund 200 Milliarden Franken“, was für „einen Haushalt mit vier Personen“ eine jährliche Mehrbelastung von „3‘200 Franken“ bedeute.
Einer detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Behauptungen weichen die Erläuterungen aus. Der Bundesrat nennt Teilkosten und schreibt unter anderem, die Erhöhung des Netzzuschlags belaste einen vierköpfigen Haushalt jährlich mit rund 40 Franken.
Eine Schätzung der Gesamtkosten fehlt, auch eine Aufschlüsselung der Brutto- und Netto-Belastungen für den Bund und die Kantone sowie für die Produzenten, Lieferanten und die Verbraucher.
Idealvorstellungen statt Ziele
Das EnG „soll zu einer ausreichenden, breit gefächerten, sicheren, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung beitragen“. Es bezweckt zudem „die sparsame und effiziente Energienutzung“ und „den Übergang hin zu einer Energieversorgung, die stärker auf der Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere einheimischer erneuerbarer Energien, gründet“.
Das sind strategische Absichten oder Idealvorstellungen, deren Verwirklichung mit „soll“, „beitragen", „stärker“ und „insbesondere“ genau so relativiert werden wie mit den Allerwelts-Adjektiven „wirtschaftlich" oder „effizient“. Handfest ist das Bauverbot für neue Kernkraftwerke.
Das Gesetz verankert Richtwerte „für den Ausbau der Elektrizität aus erneuerbaren Energien“. Wie weit diese Werte realistisch sind, wird sich weisen müssen. Darum bestimmt das EnG einschränkend, der Bundesrat könne „gesamthaft oder für einzelne Technologien weitere Zwischenrichtwerte festlegen“.
Gerade bei einer auf lange Frist konzipierten Vorlage hütet sich der Gesetzgeber vernünftigerweise vor einer peniblen Quantifizierung der Ziele. Er wählt allgemeine Formulierungen. Sie erlauben es allerdings – je nach Optik – vom Paradies zu schwärmen, den Teufel an die Wand zu malen oder Befürchtungen zu zerstreuen.
Zuckerbrot und Peitsche
Gestützt aufs EnG listen die Erläuterungen die „wichtigsten Massnahmen“ zur Zielerreichung auf. Es sind fünfzehn: von den „Richtwerten“ über „intelligente Messgeräte“ und den „Netzzuschlag“ bis zu „Investitionsbeiträgen“ und zur „Förderung des Eigenverbrauchs“.
Für die Zielführung ist der optimistisch präsentierte Katalog keine Garantie. Subventionen im Wechsel mit Energie-Verteuerung sind wie Zuckerbrot und Peitsche: Sie können, müssen aber nicht wirken. Das Verhalten der Wirtschaft und der Konsumenten ist schwer berechenbar.
Lesestoff in Hülle und Fülle
Wer die Ziele und Massnahmen der Einfachheit halber im Schlagzeilen-Format zur Kenntnis nimmt, den mag die Vorlage mit der Senkung des Energieverbrauchs, der Erhöhung der Energieeffizienz, der Förderung der erneuerbaren Energie und dem Verbot neuer Kernkraftwerke rasch überzeugen.
Für die differenzierte und fundierte Meinungsbildung ist indessen das Studium der Vorlage als Ganzes unumgänglich. Der Arbeitsaufwand ist erheblich. Zu bewältigen sind die dreizehnseitigen Erläuterungen, die 77 Artikel des EnG, die aus ihm resultierenden Aufhebungen und Änderungen sieben anderer Erlasse und die im EnG enthaltenen Bezüge zu bestehenden Gesetzen. Zur Vertiefung kann noch das opulente „Abstimmungsdossier“ des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK gelesen werden.
Arg strapazierte Demokratie
Die Frage drängt sich auf, ob die Vorlage nach Umfang und Komplexität die Grenzen der Zumutbarkeit auch für verantwortungsbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger überschreitet.
Jedenfalls ist die Versuchung gross, sich für die Meinungsbildung an den Schlagworten der Parteien und Verbände zu orientieren oder entweder Bundesrat und Parlament mit einem Ja blind zu vertrauen oder verärgert ein Nein in die Urne zu werfen. Die Erinnerung an die Unternehmersteuerreform III wird wach. Das EnG charakterisiert sich durch eine Mischung aus strategischen Visionen und bürokratischer Regulierungsdichte. Die Energiezukunft entrückt in den Nebel.
Die Stirne legt sich in Falten
Was Experten wahrscheinlich mühelos verstehen, bereitet Laien etwelches Kopfzerbrechen, z. B. Artikel 36 Absatz 2 EnG:
„Das BFE legt jährlich die Mittel fest, die für die Betreiber von Photovoltaikanlagen eingesetzt werden, die am Einspeisevergütungssystem teilnehmen (Photovoltaik-Kontingent). Es strebt dabei einen kontinuierlichen Zubau an und trägt der Kosten- entwicklung bei der Photovoltaik einerseits und bei den übrigen Technologien andererseits Rechnung. Es berücksichtigt überdies die Belastung der Elektrizitätsnetze sowie die Speichermöglichkeiten.“
Auch Artikel 39 Absatz 2 ist eine der vielen Knacknüsse:
„Endverbraucherinnen und Endverbraucher, deren Elektrizitätskosten mindestens 5, aber weniger als 10 Prozent der Bruttowertschöpfung ausmachen, erhalten den bezahlten Netzzuschlag teilweise zurückerstattet; der Betrag richtet sich dabei nach dem Verhältnis zwischen Elektrizitätskosten und Bruttowertschöpfung.“
Fachchinesisch
Zuhauf finden sich Beschreibungen komplizierter Sachverhalte mit Schachtelsätzen und Verweisen auf andere Gesetze. Auch bei einzelnen Begriffen faltet sich die Stirne der mündigen Bürgerinnen und Bürger, etwa bei „Referenzanlagenprinzip“, „forschungsnah“, „energieverbrauchsrelevante Eigenschaften“, „Geothermie-Garantien“ oder „Einspeisevergütungssystem“.
Immerhin verspricht das EnG in Artikel 47 Absatz 1 den Begriffsstutzigen Daueraufklärung, bestimmt auch über den feinen Unterschied zwischen „Information“ und „Beratung“ und die Leichtigkeit, die beiden Aufgaben zwischen Bund und Kantonen freundeidgenössisch zu koordinieren:
„Der Bund und die Kantone informieren und beraten die Öffentlichkeit und die Behörden über die Sicherstellung einer wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung, über die Möglichkeiten einer sparsamen und effizienten Energienutzung sowie über die Nutzung erneuerbarer Energien. Sie koordinieren ihre Tätigkeiten. Dem Bund obliegt vorwiegend die Information, den Kantonen hauptsächlich die Beratung.“
Dass die „Energienutzung“ ausdrücklich „sparsam und effizient“ sein muss, die „Nutzung erneuerbarer Energie“ hingegen nicht, dürfte eher redaktionelle Flüchtigkeit sein denn politischer Wille.
Durchgefallen
Die eingangs gestellte Prüfungsfrage, ob die bundesrätlichen Erläuterungen und der Gesetzesentwurf für Energieverbraucher ohne Expertenwissen verständlich sind, um in Kenntnis der Konsequenzen den Stimmzettel auszufüllen“, ist lapidar mit Nein zu beantworten.
unbedingt lesen!
Am 24. Januar 2017 – einem Tag mit wenig Wind und wenig Sonne – steuerten die rund 26‘000 Windkraftanlagen und die 1,2 Millionen Solaranlagen in Deutschland während der Verbrauchsspitze nur gut 2 Prozent zum Strommix bei. Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke deckten die meiste Zeit des Tages etwa 90 Prozent des Verbrauchs. Quelle: Die Welt, 6.2.2017
Das EnG setzt auf einen Strommix, um die Versorgungssicherheit in den Jahrzehnten vor uns weiter zu gewährleisten.
Die Verhältnisse von Deutschland sind nur bedingt mit der Schweiz vergleichbar. Die Schweiz hat glücklicherweise einen enormen Anteil der durch Wasserkraft erzeugten Energie. Und Solarstrom kann genutzt werden, um die Pumpspeicherwerke wieder zu füllen. Solar und Windenergie können auf diese Weise gespeichert werden.
Energiegesetz NEIN, aber eine schrittweise, verkraftbare Umsetzung der Energiepolitik
Wenn jemand Vorbild sein kann in der Welt bezüglich Klimapolitik, so ist es die reiche Schweiz. Aber eine Strategie bis ins Jahr 2050 schreibt man nicht ins Gesetz. Im dynamischen Energiemarkt muss sie periodisch an die technischen Rahmenbedingungen und die wirtschaftliche Tragbarkeit angepasst werden. Inwieweit kann der Flatterstrom aus Wind- und Sonnenenergie kurz- und langfristig gespeichert werden? Wollen wir unsere schönen Landschaften mit wenig ergiebigen Windkraftwerken zerstören? Wie beeinflusst die Höhe der Energiepreise die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Schweiz? Wir sollten den Energieimport an der Grenze mit einer Abgabe belasten, um inländisch erzeugte Energie konkurrenzfähig zu machen. Wir sind ja noch nicht in der EU!
Die Energiepolitik der Schweiz soll wie bisher schrittweise, in verkraftbaren Etappen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Wenn wir mit Abgaben auf importierter Tiefpreisenergie genügend Finanzmittel erwirtschaften könnten, um Energiesparmassnahmen, Energiespeicher und den Zubau von Anlagen der erneuerbaren Energie (Wasser, Sonne, Biogas, Geothermie) zu unterstützen, könnte die Zusatzbelastung der Haushalte und der Unternehmungen in Grenzen gehalten werden.
"Für die differenzierte und fundierte Meinungsbildung ist indessen das Studium der Vorlage als Ganzes unumgänglich." Dies trifft grundsätzlich auf jede Vorlage zu. Manchmal scheinen die Vorlagen einfacher, aber auch da müsste man sich tiefer darauf einlassen, wenn man sich die von Herrn Bänninger geforderte differenzierte und fundierte Meinung selber bilden will. Das mach ich in einzelnen Fällen durchaus. Meistens aber verlasse ich mich dabei auf Parteien, Verbände und andere interessierte Kreise, deren Werte und Ziele ich kenne oder zu kennen glaube. Wollte ich mir zu jeder Vorlage eine fundierte eigene Position erarbeiten, würde ich kaum etwas anderes machen als Gesetzes- und Verfassungsvorlagen zu studieren.
Wenn Herr Bänninger bei dieser - zugegebenermassen komplizierten Vorlage - die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten sieht, soll er gleich für die Abschaffung der direkten Demokratie plädieren.
In einem Punkt möchte ich Herrn Bänninger unterstützen: Bei der Redaktion der Erläuterungen und teilweise auch der Gesetzes- und Verfassungstexte selber könnte noch viel einfacher und besser verständlich formuliert werden.
Guten Abend, lieber Alex Bänniger - das Gesetz ist doch ganz klar: Rückbau der A-Werke (Milliarden), die lecken aber noch nicht so arg wie diejenigen in andern Ländern oder Kontinenten. Aber das nette Versucherli in Basel (Uni) ist ja bereits weg, das Paul-Scherrer Institut ist, so glaube ich, noch am Rückbau - und wo ist das grösste wissen: im ABC-Labor, Spiez. Herzlich, UM
Wir haben heute das Jahr 2017 und das EnG zielt auf das Jahr 2050. Wer bei diesem Zeithorizont genaue Angaben über Kosten und konkrete Ergebnisse erwartet, erwartet etwas Unmögliches, resp. wer vorgibt, genaue Zahlen zu kennen, ist schlicht gesagt, ein Bhaupti. Wesentlich im EnG ist, eine gangbare, vernünftige Strategie zu beschreiten, von den AKW's wegzukommen (Fukushima), erneuerbare Energie (Sonne, Wasser, Wind, Bio) zu nutzen und nicht weiterhin Milliarden an ausländische Oelkonzerne zu zahlen. Dieses Geld kann in der Schweiz sinnvoller investiert werden. Das Droh-Märchen der angeblich unsicheren Stromversorgung braucht man nicht wirklich zu glauben. Bereits jetzt herrscht in Europa, trotz April- und Regenwetter ein massives Überangebot an Strom. Und dass auch durch die Sonne gewonnene Elektrizität gespeichert werden kann, davon scheinen die Gegner dieses mass- und sinnvollen Gesetzes noch nichts gehört zu haben. Zudem ist es auch möglich, mit dieser Sonnenenergie Pump- Speicherwerke zu betreiben, was eine Trumpfkarte der Schweizerischen Energieversorgung ist.
Mit dem neuen Gesetz bekommen wir mit Sicherheit mehr Subventionen, mehr Bürokratie, mehr Verschandelung, teurere Energie - aber keine sichere Stromversorgung. Und dem Klima wird leider auch nicht geholfen.
Wenn dieses Gesetz angenommen wird, kauft man(n) bildlich gesprochen "die Katz im Sack" niemand weiss wie sie aussieht, wie sie sich entwickelt, alt oder jung! Der Bundesrat kann jederzeit neue Vorschriften erlassen, noch mehr Administration, noch mehr Bundesbeamte, Kontrolleure etc. Jedermann und jede Firma reduziert doch im eigenen Interess den Verbrauch von Energie um die Kosten tief zu halten. Das EnG ist ein Gesetz wie die abgelehnte Unternehmensteuer Reform III. JEKAMI und die Zeche bezahlt der normale Bürger mit höheren Steuern. Die versprochenen Subventionen und Beiträge kommen ja nicht aus dem Nichts sondern wird jedem Einzelnen aus der Tasche gestohlen. Verbote für sind kein Anreiz Energie zu sparen. Entwicklung für neue weniger Energie brauchende Anlagen, Motoren, Geräte etc, bringt mehr Reduktion für's Energie sparen.
Oha, Herr Dudli: Die Steuern werden Ihnen "aus der Tasche gestohlen"? Die Gemeinde, der Kanton und die ganze Eidgenossenschaft wären also Diebe? Ja warum bleiben Sie denn in einer solchen Räuberhöhle namens Schweiz hocken? Warum haben Sie nicht längst die Koffern gepackt und haben sich in Sicherheit gebracht – in Monaco zum Beispiel, oder in Florida? Niklaus Ramseyer
Komplexe Gesetzestexte "populistisch" wg. "im Volk unverständlich" auf die Schippe zu nehmen ,ist ein altes Spielchen: Es macht auch hier Spass. Es ist aber auch etwas billig. Doch der Vergleich mit der UST III ist gut. Auch da war der Text komplex. Die Leute sind jedoch nicht dumm: Sie haben rasch begriffen, dass es um Steuergeschenke für jene geht, die eh schon zuviel (und teils erst noch leistungsfrei) bekommen. Und schon da hat sich die SVP in ihren eigenen An- und Widersprüchen verheddert: Sie weibelte für eine Vorlage, die uns eigentlich von Brüssel aufgedrängt worden war. So auch jetzt wieder: Im Allgemeinen trommelt sie pausenlos für mehr Unabhängigkeit und Sebstbestimmung unseres Landes. Wenn es dann aber handfest und konkret wird, wie jetzt mit der Energie-Vorlage ist die Blocher-Partei entweder nirgends mehr – oder dagegen. Dies ist diesmal besonders ekklatant: Es geht darum, ob wir Öl-Scheichs und ausländischen Energiespekulanten weiterhin jährlich 10 Milliarden Franken hinterher werfen oder dieses Geld bei uns investieren und damit Tausende Aufträge und Arbeitsplätze im Inland generieren. Dass da nicht zumindest die AUNS voll dafür ist, versteht niemand... Und wenn man schon die Horror-Kosten von 3200 Fr. pro Familie und Jahr erwähnt, müsste man dann auch sagen, dass diese Zahl nicht nur um ein vielfaches übertrieben, sondern nachweislich völlig falsch ist (es sind Abgaben drin, die das Parlament längst wieder gestrichen hat!). Generell gilt auch hier: Komplizierter Text hin oder her, verstehen die Stimmbürger genau worum es geht: Die AKWs sind eh passé. Also braucht es eine Neuorientierung – und diese geht am besten in Richtung weniger Abhängigkeit von fossilen und von importierten Energieträger und hin zur Energie mit "Swiss Garantie". Ist das denn so kompliziert? Niklaus Ramseyer, BERN