Nicht vom Korn allein
Bildung ist mehr als ein Ensemble überprüfbarer und situativ anwendbarer Kompetenzen. Sie ist nicht nur Ausbildung im funktionalistischen Sinne, die notwendig und für alle wichtig ist. Das steht ausser Zweifel; niemand bestreitet es, schreibt der Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski. Und vieldeutig fügt er bei: Aber „wenn es mal still wird, muss man vermeiden, dass das Nichts aus einem emporsteigt.“ (1)
Die Begegnung mit sich selbst
Das Nichts: ein wuchtiges Wort. Safranksi nimmt es bewusst in den Mund. Niemandem soll es so ergehen wie jenem Berliner, der auf den Appell: „Mensch, geh in dir!“ frei heraus antwortet: „War ik schon, is och nischt los!“
Begegnung mit sich selbst, so Safranski, dürfe nicht zur Begegnung mit dem Nichts werden. Diesem Nichts widersteht man mit Vorräten, Notvorräten. Darum braucht es sie, diese Vorräte. Für Krankheiten, Krisen, Kriege. Doch im Zuge des Globalen und jederzeit Verfügbaren wurden viele Depots abgebaut, Lager geräumt, Magazine geleert. Wer hingegen für die alte Devise „Kluger Rat – Notvorrat“ plädierte, wurde im besten Fall milde belächelt, meist aber als antiquiert diffamiert oder als Pessimist etikettiert. Dabei ist der Slogan unerwartet aktuell. Die Hamsterkäufe zeigen es.
Auch immaterielle Vorräte
Neben den materiellen Ressourcen gibt es auch geistige, ideelle Vorräte. Darauf verweist Safranski und daran erinnert die Geschichte der kleinen grauen Maus Frederick von Leo Leonni. (2) Die Feldmaus Frederick lebt mit ihrer Familie in einer alten Steinmauer am Rande einer Wiese. Die Bauern sind weggezogen, Scheune und Kornspeicher stehen leer.
Der Winter naht. Die Mäuse arbeiten Tag und Nacht. Alle – bis auf Frederick. „Warum arbeitest du nicht?“, foppen sie ihn. „Ich arbeite doch“, sagt Frederick, „ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage.“ Und als die Mäusekollegen ihn so dasitzen sehen, spotten sie: „Und nun, Frederick, was machst du jetzt?“ „Ich sammle Farben“, sagt er nur, „denn der Winter ist grau.“ Und einmal sieht es so aus, als sei Frederick halb eingeschlafen. „Träumst du, Frederick?“, hänseln sie ihn vorwurfsvoll. „Aber nein!“, widerspricht er, „ich sammle Wörter. Es gibt viele lange Wintertage – und dann wissen wir nicht mehr, worüber wir sprechen sollen.“
Sonnenstrahlen, Farben, Wörter
Der Winter kommt; die fünf Mäuse ziehen sich in ihr Versteck zurück. Es ist dunkel und die Kälte verkriecht sich zwischen die Steine. Die Vorräte sind bald aufgeknabbert, an Nüsse und Körner können sie sich kaum noch erinnern. Mut und Zuversicht verflüchtigen sich. Keine Maus will sich mehr räuspern. Jede ist mit sich allein, sozusagen auf sich selbst zurückgeworfen.
Da erinnern sich die Mäuse, wie Frederick von Sonnenstrahlen, Wörtern, Farben fabuliert und fantasiert hat. „Frederick!“, rufen sie, „Was machen deine Vorräte?“ Da kommt Frederick und erzählt von seinen Träumen: Wie schön die Sonne ist! Die Farben! Die Musik!
Ideelle Ressourcen
Frederick plaudert von der Sonne; er berichtet von blauen Kornblumen und roten Mohnblumen im gelben Kornfeld und von grünen Blättern am Beerenbusch. Die gesammelten Sonnenstrahlen erwärmen das kalte Mäusenest; die hellen Farben nehmen dem Winter das dunkle Grau, und die farbigen Worte erheitern das Gemüt. Die Mäuse schöpfen wieder Mut; Zuversicht belebt sie. Einfache Bilder generieren Kraft.
Wir brauchen Fredericks
Von dieser bereichernden Kraft spricht auch Safranski, wenn er von Bildung erzählt und von Literatur und beifügt: Sie „ist also überhaupt das, was es einem erlaubt, es bei sich auszuhalten“. (3) Darum, so fährt er weiter, müssten die Leute das Gefühl haben, dass sie sich selber schadeten, wenn sie das Angebot ausschlügen. Ganz ähnlich heisst es über das kleine Mäuse-Bilderbuch: „Kunst und Kultur braucht man zum Leben, sonst kann man nicht überleben. Das ist Frederick.“
Frederik hat für den Winter Sonnenstrahlen, Farben und Wörter gesammelt, die Träume also und die Hoffnungen. Auch unsere Zeit braucht Fredericks. Viele Fredericks.
[1] Rüdiger Safranski: Klassiker! Ein Gespräch über Literatur und das Leben mit Michael Krüger und Martin Meyer. München: Carl Hanser Verlag, S. 89, 2019.
[2] Leo Leonni: Frederick. Weinheim & Basel: Beltz & Gelberg, (1967/2003).
[3] Safranski, a.a.O., S. 88.
Wo schon vorher innerlich nichts los war - Leere herrschte - wie soll nachher, wo Inneres vom Äusseren wieder dominiert wird, etwas wahrhaft Bleibendes zurückbleiben? Bestimmt nicht unser Inneres das Äussere? Gibt es keine innere Stimme, die uns in Stimmung ver-setzt?
Merke daher: Wahrer Reichtum kommt von Innen - ist Herz-Sache.
Ist ein Geschenk an alle, die es annehmen wollen - umsonst - in Gnade.
Ich habe die vergangenen Tage ebenfalls oft an dieses tolle Kinderbuch - eine meiner liebsten Kindergeschichten seinerzeit - gedacht.
Eine hübsche Erzählung voller Weisheit und Weitsicht, könnte man heute sagen.
Du schlaue kleine Maus!
Ohne grosse Warnung kommt es daher, das super massive schwarze Loch, jenes NICHTS.
Vom hohen Ross hinuntersteigen könnte interessant werden, Mädchen und Jungs! In die Ur-Tiefen des Hauses hinunterstechen, in den Keller! Oder in die Höhen des Verstaubten, in den Estrich um zu suchen. Da lägen vielleicht noch die alten Fotoausrüstungen der Eltern oder Grosseltern. Teleobjektive die sonst nirgends mehr hinpassen, man könnte sie umfunktionieren, Teleskope daraus machen. Anleitungen im Netz holen. Ja und dann? Abenteuer Sternegucken, hinausschauen in die Nacht und staunen. Billionen von Sternen die alle einen Namen tragen. Namen von Ahnen und Urahnen. Genau, sie haben verschiedene Farben, sie blitzen und leuchten, Saturn winkt mit Ringen und der Mond ist voller Krater und Gebirge. Ja und dann? Dann lässt es dich nicht mehr los, alles wird relativ und der Sinn für das Unendliche wächst, du bist Forscher/in geworden. gehörst plötzlich zum Wichtigsten was die Welt zu bieten hat. Wäre das nicht schön, ich sage euch, es tut massiv gut und probieren geht diesmal über studieren. Nur so eine Idee von mir! …cathari