Sarkozys penetrantes Lob für das "deutsche Modell"

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Sarkozys penetrantes Lob für das "deutsche Modell"

Von Ulrich Meister, Paris - 30.01.2012

Nicolas Sarkozy, in einem permanenten Popularitätstief, hat eine Reihe von Reformen angekündigt. Eine Woche nachdem sein sozialistischer Herausforderer Hollande seine eigentliche Kampagne mit Verve lanciert hat, versuchte er damit wieder Anschluss in der öffentlichen Meinung zu gewinnen

Französischer Spott über den deutschhörigen Sarkozy. Karikatur im "Canard enchaîné" vom Mittwochz. Sarkozy, rechts, mit Bierhumpen
Französischer Spott über den deutschhörigen Sarkozy. Karikatur im "Canard enchaîné" vom Mittwochz. Sarkozy, rechts, mit Bierhumpen

Nicht weniger als sechs Fernsehstationen übertrugen am Sonntag aus dem Elysée ein Interview mit Präsident Sarkozy, in dem dieser drei Monate vor der Präsidentenwahl ein halbes Legislaturprogramm verkündete und damit versuchte, seine ungewisse Wiederwahl zu sichern. Er führte sich als "mutigen Präsidenten" ein, der sich der "Wahrheit" verpflichtet fühle und nicht ideologischen Dogmen.

Von den USA über Grossbritannien zu Deutschland

Trotz zahlreichen Ausfällen gegen seinen Widersacher Hollande, nannte er dessen Namen nie, wollte sich selbst aber noch nicht als Kandidat bekennen, obwohl Kanzlerin Merkel bereits erklären liess, dass sie Sarkozy an Wahlveranstaltungen persönlich unterstützen werde. Diese ungereimte Situation schafft in der Präsidentenpartei UMP grosse Unsicherheit. Man befürchtet, der Präsident habe den Zug vielleicht schon verpasst.

Im März 2010 hatte Sarkozy noch eine Pause in seinen als hektisch empfundenen Reformen versprochen. Jetzt legte er aber wieder los, als habe er eine Legislaturperiode vor sich. Er impliziert dabei, dass die übergreifende Finanzkrise mit den Staatsverschuldungen nun unter Kontrolle sei und man sich wieder auf die eigentliche Wirtschaftskrise konzentrieren könne, wobei er für französische Ohren penetrant das "deutsche Modell" anpries. Wollte er früher sich den USA annähern, die das nicht beachteten, dann enger an Grossbritannien anschliessen, woran nicht mehr zu denken ist, so ist seit Monaten Deutschland sein grosses Vorbild.

Aber die Vergleiche hinken, solange man in der Statistik verbleibt und das unterschiedliche politisch-soziokulturelle System - etwa den deutschen Föderalismus oder die Rolle der Gewerkschaften - nicht beachtet, das eine Annäherung oder Übernahme von Modellen fast unmöglich macht.

"Selbstmörderische" Steuererhöhung

Am umstrittensten ist die Ankündigung, den höchsten Satz der Mehrwertsteuer von 19,6 auf 21,2 Prozent zu erhöhen, zumal Sarkozy selbst ein Gegner von Steuererhöhungen war. Damit sollen, wie vom Arbeitgeberverband gefordert, die Sozialabgaben der Arbeitgeber, die damit die Familienausgleichskasse der Sécurité Sociale mitfinanzieren, drastisch gesenkt werden. Die wegen der hohen Arbeitskosten gefährdete Wettbewerbsfähigkeit der französichen Unternehmen soll damit gestärkt und Delokalisierungen unterbunden werden.

Sarkozy rief in Erinnerung, dass Frankreich wegen der Desindustrialiserung und Delokalisierungen in den letzten zehn Jahren rund eine halbe Million Arbeitsplätze verloren habe. Gleichzeitig belastet die Erhöhung aber die Kaufkraft aller Konsumenten, was sich umgekehrt negativ auf das Wachstum auswirken muss. Die Massname soll im Oktober in Kraft treten - vorausgesetzt Sarkozy gewinnt die Wahl, denn die Sozialisten sind gegen eine solche "unsoziale" Schröpfung.

Andere Kritiker bezweifeln, dass der Mehrsatz ausreicht, um das gewünschte Resultat zu erhalten. In der Präsidentenpartei halten einige eine solche Massnahme vor Wahlen vor allem für "selbstmörderisch".

Gegen die 35-Stunden-Woche

Mit einer zweiten Reform soll die von den Sozialisten 2002 eingeführte 35-Stunden-Woche aufgehoben werden, die von der Rechten manchmal zu einfach als einziges Übel der französischen Wirtschaftsschwäche denunziert wird. Künftig soll jedes einzelne Unternehmen mit seiner Belegschaft eine längere Arbeitszeit ohne Mehrbezahlung oder aber einen geringeren Lohn bei Arbeitsreduktion beschliessen können. Mit dieser neuen "Flexibilität" nach deutschem Muster sollen Engpässe ohne Entlassungen überwunden werden können. Die Lösung sollte wenn möglich einvernehmlich zwischen den Sozialpartnern beschlossen werden, aber die Gewerkschaften haben sich dagegen ausgesprochen. Die Regierung droht, die Massnahme selbst durchzusetzen.

Die weiteren Ideen des Präsidenten betreffen die einseitige Einführung einer Finanztransaktion-Steuer im August (die EU ist uneinig darüber), die Schaffung eines Investitionsbank für Kleinunternehmen (die es im Ansatz schon gibt) und schärfere Sanktionen für Betriebe, die keine Lehrlinge anstellen, obwohl sie dazu von Gesetzes wegen verpflichtet wären.

Zur Ankurbelung des Wohungsbaus und der Bauindustrie will Sarkozy schliesslich die Ausnutzungsziffer für alles Bauland um 30 Prozent erhöhen. Diese Idee gilt als wenig durchdacht, weil sie zunächst eine kontraproduktive Verteuerung des knappen Baulandes zur Folge haben könnte und nicht in erster Linie auf den sozialen Wohungsbau ausgerichtet ist.

Hollandes Herausforderung

Keine der geplanten Massnahmen bringen Sarkozy massiv Wählerstimmen ein. Das Gegenteil könnte der Fall sein, vor allem mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer, die als "Geschenk" an die Unternehmer aufgefasst wird. Aber Sarkozy will sich als Kandidat der kühnen Entscheidungen, als Retter aus der Krise darstellen im Gegensatz zu Hollande, dem es an Entscheidungskraft fehle und der ein Illusionist sei.

In den Umfragen wird diese Sicht aber nicht bestätigt, und Sarkozy muss sich noch ein anderes Wahlprogramm einfallen lassen, wenn er seinen Rückstand aufholen will. Hollande hat andere Probleme: er muss an den eigenen Wahlversprechen und am Wahlkatalog seiner Partei langsam und diskret Abstriche machen, um endlich auf den Wachstumsrückgang - am Rande einer Rezession - Rücksicht zu nehmen. Immerhin hat er die niedrigere Wachstumshervorsage für 2012 von 0,5 Prozent bereits akzeptiert, während man im Lager Sarkozy immer noch von unrealistischen Zielen ausgeht.

@Tristan H. Merkel braucht Frankreich als wichtigsten Partner für den Fiskalpakt und Hollande will da nicht mitspielen.

Obama als Demokrat gehört nicht ins selbe politische Lager wie Sarko, Merkel oder McCian, die alle rechsbürgerlich sind.

Zitat: «obwohl Kanzlerin Merkel bereits erklären liess, dass sie Sarkozy an Wahlveranstaltungen persönlich unterstützen werde.»

Gibt es dafür einen Beleg? Das hört sich sehr unwahrscheinlich an. Sicher, Merkel und Sarkozy kommen wohl gut zurecht und vermutlich sieht Merkel lieber 5 Jahre weiter Sarkozy als Hollande.

Aber ein regierender deutscher Bundeskanzler kann nicht aktiv Wahlkampf für einen frz. Präsidenten machen. Was wäre, wenn der andere Kandidat gewinnt, der nicht unterstützt wurde? In solchen Situationen muss Merkel neutral sein.

Sie hatte auch 2008 Obama nicht am Brandenburger Tor sprechen lassen, weil es zu einseitig Wahlkampfhilfe zulasten von McCain gewesen wäre.

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