Frei.Wild und Indie

Liebe Indie-Hörer: Hört auf Frei.Wild zu hassen!

Frei.Wild zu hassen ist wirklich nicht schwer. Musikalisch dumpf und textlich primitiv bietet die Band Angriffsflächen ohne Ende. Vor allem aber gewährleistet der Hass auf Frei.Wild für die vereinigte Indie-Hörerschaft eines: Distinktion und Absicherung der eigenen moralischen und intellektuellen Überlegenheit.

Vor kurzem bin ich auf ein Phänomen aufmerksam geworden. Besser gesagt bin ich regelrecht darauf gestoßen. Ungewollt. Ein kurzer Besuch in Kufstein und schon war Frei.Wild im Gespräch. Schließlich spielte diese Band an diesem Tag auf der Festung Kufstein. Seit Jahren hatte ich diese Band zwar nicht gehasst, aber sie spielte keine Rolle in meiner musikalischen Sozialisation. Dass es diese Band schafft, an zwei Tagen nacheinander die Festung „auszuverkaufen“ ist aber schon erstaunlich. Leute reisen aus Leipzig an um ihre Lieblings-Band zu sehen. Kufstein verwandelt sich plötzlich in eine Stadt, in der man an allen Ecken und Enden Frei.Wild Fans und Frei.Wild T-Shirts sehen kann.

Dabei ist es eigentlich schwer Frei.Wild zu ignorieren. Vor allem die deutsche Presse überschlägt sich ja regelrecht mit Hiobsbotschaften. Die Band sei rechts, rechtsradikal oder bestünde gar aus Neo-Nazis. Die Texte seien gewaltverherrlichend oder zumindest würden sie nicht klar genug Position gegen Gewalt beziehen.

Politisch links stehende Bands sagen regelmäßig Fernseh-Auftritte ab, wenn Frei.Wild ebenfalls auf der gleichen Bühne stehen. Es gilt als politisch korrekt und moralisch richtig Frei.Wild aus dem Weg zu gehen und in jedem zweiten Satz über die Band durchklingen zu lassen, dass diese Band nun wirklich nicht in Ordnung gehe.

Zum Glück erkennt man Neo-Nazis gleich an ihrer Kleidung.

Zum Glück erkennt man Neo-Nazis gleich an ihrer Kleidung.

Ganz üble Jungs seien das, die sich zwar als unpolitisch bezeichnen, aber allein das sei ja schon verdächtig. Eigentlich hätte die Band ja mit übler Deutschtümelei zu tun während man selbst auf der politisch richtigen Seite stehe. Während Frei.Wild eines ihrer umjubelten Konzerte gäbe, hätte man selbst an der einen oder anderen wichtigen Demonstration für die gute Sache teilgenommen und hätte Unterschriften für bessere Menschenrechte in wo auch immer gesammelt.

Frei.Wild? Die Band für Vollidioten!

Keine Frage: Frei.Wild hat sich den vereinten Zorn der sich als intellektuell und moralisch überlegen gebenden Indie-Szene zugezogen. Frei.Wild ist ja allein schon mal deshalb verdächtig, weil sie aus der Provinz kommen. Ist eigentlich jemals irgendetwas Gutes aus Provinz gekommen? Eigentlich sind Frei.Wild ja dumpfe Bauern aus einer Kleinstadt, die aus irgendeinem Grund ihr kleines Land verteidigen wollen. Eine Uni haben diese Jungs ja noch nie von innen gesehen. Kein Wunder also, dass die Reflexions-Ebene vollständig fehlt. Die wissen ja gar nicht was sie tun. Reden kann man mit denen ja ohnehin nicht, die würden einen ja gar nicht verstehen.

Besser also man schreibt ein Lied, in der die Band als die „Band der Vollidioten“ bezeichnet wird. Ganz geschickt macht man das natürlich, denn das Lied nimmt Bezug auf ein Lied von Frei.Wild. Quasi Zitat, quasi Meta-Ebene, quasi intellektueller als Frei.Wild und deren dumpfes Lied.

Ein paar Indie-Menschen gefallen sich in diesem Lied darin, vor größtenteils urbaner und intellektueller Kulisse über die Band her zu ziehen. Die Grundaussage: Ja, natürlich sei diese Band rechts oder gar rechtsradikal. Sie wüsste es nur selbst nicht, weil eben die Bildung fehle. Und ja natürlich hätte man selbst den besseren Musikgeschmack und sei außerdem besser gekleidet. Und letztlich meine man, dass nicht nur die Band aus Vollidioten bestünde sondern jeder Hörer ein ebensolcher Vollidiot sei.

Der Sänger wollte eigentlich seine Hand zum Hitler-Gruß heben. Im Hintergrund: Neo-Nazis und Vollidioten.

Der Sänger wollte eigentlich seine Hand zum Hitler-Gruß heben. Im Hintergrund: Neo-Nazis und Vollidioten.

Außerdem stünden im eigenen Wohnzimmer definitiv mehr Bücher als in den Wohnungen von Frei.Wild, die ja ohnehin eher im Keller lebten und dort still und heimlich Liedgut aus dem Dritten Reich zum Besten gäben.

Zum Glück lebt die vereinigte Indie-Hörerschaft wahlweise in Vorlesungssälen oder in WGs. Dort wird dann diskutiert, auf welche Demo man heute wieder gehen müsse und wie ungerecht die Welt sei und dass man dabei einfach nicht zusehen könne. Statt Frei.Wild wird dazu natürlich korrekterweise und dem eigenen Bildungsstand entsprechend Tocotronic gehört.

Zweifellos: Die intellektuelle Indie-Brille sieht die Dinge so wie sie wirklich sind. Von wegen Ungerechtigkeit. Von wegen Menschenrechte. Wichtig ist dabei natürlich, dass der Soundtrack zur eigenen politischen Haltung stimmt. Das schweißt schließlich zusammen. Indem Musik gehört wird, die möglichst viele Zitate benutzt und natürlich unendlich selbstreferentiell ist wird gewährleistet, dass man unter sich bleibt. Frei.Wild Hörer sind sofort ertappt und erkannt, weil sie nicht wissen, dass Tocotronic gerade Oscar Wilde zitieren und aus diesem Zitat auch gleich ein eigenes ästhetisches Programm ableiten und dieses schon mal auf musikalischer Ebene vorführen.

Frei.Wild kann uns gestohlen bleiben. Die passen nicht zu uns und unserem Lebensstil. Während diese Fans in ihren Kleinstädten und Dörfern sich zu billigem Bier laut grölend besaufen um danach Asylwerber zu verprügeln sind wir schon wieder auf der Straße und demonstrieren für eine gerechtere Welt. Wir trinken kein Industrie-Bier, sondern neuerdings kommt uns nur mehr Craft-Bier ins Haus. Im Hintergrund läuft gerade ein altes Lied von Blumfeld. Unser System kennt nämlich keine Grenzen, während Frei.Wild eine Band für beschränkten Volldeppen ist, die noch nicht einmal wissen, wie man Michel Foucault schreibt.

Wir haben also Glück gehabt: Wir haben eine gute Ausbildung, wissen was Diskursanalyse ist und haben auch noch den richtigen Musikgeschmack. Eigentlich bedauern wir ja die Frei.Wild Fans. Eigentlich wären sie zu bedauern, wenn sie nicht auch im Verdacht wären, böse Neo-Nazis zu sein.

Zum Glück gibt es Frei.Wild. Sonst würde unsere intellektuelle Überlegenheit nicht so strahlend zum Vorschein kommen. Dass wir mit unserer Haltung gegenüber Frei.Wild auch gleich mal viele tausend Menschen ins rechtsradikale Eck stellen ist uns dabei egal. Es ginge schließlich ums Ganze. Wer mit dem richtigen Soundtrack im Hintergrund die Welt verbessern will kann darauf keine Rücksicht nehmen.

Mein Appell, liebe Indie-HörerInnen: Hört auf Frei.Wild zu hassen! Widerlicher als die Band Frei.Wild und deren Musik ist nämlich nur eines: Das Zur-Schau-Stellen eurer vermeintlichen moralischen und intellektuellen Überlegenheit.

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