Journalismus-Debatte

Willkommen im 21. Jahrhundert, Herr Petz

Hermann Petz, Vorsitzender der Moser Holding, spricht in seinem neuen Buch dem Online Journalismus die Qualität ab und stößt damit eine Diskussion an. Gibt es online wirklich keine Qualität? Wie werden die Medien der Zukunft aussehen? Sterben die Zeitungen gar aus? Gibt es Alternativen zu klassischen Medien wie der TT? Ich sage ja!

“Es gibt Qualitätsjournalismus nur mit bedrucktem Papier”, erklärt Moser Holding Vorsitzender Hermann Petz in seinem Buch, das er anlässlich des 70-jährigen Geburtstags der Tiroler Tageszeitung verfasst hat. In einem Interview mit Harald Fidler auf derstandard.at legt Hermann Petz noch einmal nach und versucht seine Ansichten zu erklären. Als ich seine Ausführungen zum ersten Mal gelesen habe, erging es mir wie dem Interviewer selbst, der eine Frage mit “Ich stehe auf der Leitung” einleitete. Beim zweiten Mal lesen, tat ich es äußerst ungläubig. Beim dritten Mal war ich fast ein wenig betroffen. Wenn die Äußerungen von Hermann Petz jene Inhalte wären, die es online zu lesen gibt, dann gibt es Qualitätsjournalismus wohl wirklich nur auf dem Papier.

Die Moser Holding ist einer der Medienkonzerne die Österreichs Medienlandschaft fest im Griff haben. Unterschiedlichste Produkte, allen voran das Flaggschiff “Tiroler Tageszeitung”, gehören zum Portfolio des Medienunternehmens. Man könnte glauben, dass der Vorsitzende eines solch erfolgreichen und großen Unternehmens, mit zukunftsfähigen Ansätzen an die Öffentlichkeit geht. Dass er ein Vordenker ist, der neue Produkte und journalistische Angebote im Auge behält, entwickelt oder zumindest entwickeln lässt. Stattdessen liest sich das Interview, als wäre es am Tag der Gründung der “Tiroler Tageszeitung” geführt worden – Ansichten wie vor 100 Jahren.

Der Vorsitzende der Moser Holding scheint sich beim Schreiben seines Buches irgendwo in der Geschichte verfangen zu haben. Anders kann ich mir seine Aussagen nicht erklären. Wer sich mit der Zukunft von Medien beschäftigt, die Diskussionen in der Medien-Szene verfolgt und die strategischen Entscheidungen der großen Verlagshäuser näher betrachtet, dem offenbart sich ein ganz anderes Bild. Erst unlängst erläuterte NZZ-CEO Veit Dengler in einem Vortrag am Management Center Innsbruck die Probleme mit denen die gesamte Branche zu kämpfen habe: Print-Zeitungen sterben aus. Die Leser von Print-Zeitungen sterben aus. Die Umsätze die im Print-Bereich zu holen sind, brechen ein. Gleichzeitig lassen sich im Online-Geschäft noch nicht die gewünschten finanziellen Gewinne erzielen, um dies ausgleichen zu können. Die Medien-Branche sei gefordert neue Lösungen und neue Produkte zu entwickeln. “Bei NZZ bringen wir pro Quartal ein neues Produkt auf den Markt. Wenn zwei erfolgreich sind, ist das eine gute Quote,” so Veit Dengler in seinem Vortrag.

Vergangenheit und Zukunft? Oder lässt sich das verbinden?

Vergangenheit und Zukunft? Oder lässt sich das verbinden?

Saatchi & Saatchi ist eine international agierende Werbeagentur mit Sitz in New York City. Ihr Chef Kevin Roberts gilt als einer der Vordenker der Werbe- und Medienbranche. In einem Interview mit der deutschen Wirtschaftswoche legt er sich deutlich fest: gedruckte Zeitungen haben keine Zukunft. Mit wenigen Ausnahmen, nutzt heute fast jeder Mensch täglich Bildschirme. Ob in der Arbeit oder privat. Dadurch hat sich nicht nur das Leseverhalten, sondern auch die Informationsbeschaffung deutlich verändert. Kevin Roberts veranschaulicht seine These mit einem einfachen Beispiel: “Das englische Wort für Zeitung, Newspaper, besteht aus den Begriffen News, also Nachrichten, und Paper, Papier. Papier ist nicht mehr wichtig. Die Nachrichten selbst sind entscheidend.”

Damit spricht Kevin Roberts einen Trend an, der so gut wie jedes große Medienhaus im deutschsprachigen Raum zum Wanken und damit zum Umdenken bringt. Soziale Netzwerke und Suchmaschinen liefern heute Informationen schneller, persönlicher und zielgruppenrelevanter, als es klassische Medien je könnten. Eine Tageszeitung ist heutzutage fast ein Text-Archiv auf hochwertigem Papier. Nur Wochenzeitungen und Monatsmagazinen gelingt es, durch ihren Erscheinundgsrhythmus begünstigt, umfangreichere und tiefere Recherchen zu begehen und so dem Leser die Welt ein wenig zu “sortieren”. Doch auch diese Formate kämpfen mit dem sich verändernden Leser-Verhalten.  In einer Redaktionssitzung 2011 bei “DIE ZEIT” erläuterte Chefredakteur Giovanni di Lorenzo die Ergebnisse der jährlich stattfindenden, deutschlandweiten Umfrage unter ZEIT-Lesern. Dabei blieb mir vor allem eine Aussage besonders im Kopf: Die Leser wachsen, vom Alter her, mit der Zeitung mit. Jedes Jahr werden auch die Leser im Schnitt um ein Jahr älter. Ein alarmierendes Signal für die gesamte Branche.

Bleibt die Frage offen was ist Qualitätsjournalismus überhaupt und wo wird dieser in Zukunft stattfinden? Hermann Petz beschreibt Qualitätsjournalismus anhand des Beispiels Tiroler Tageszeitung: “Ich sortiere dir, lieber Leser, das Weltgeschehen, das nationale Geschehen, Vermischtes, Lokales und Regionales, gebe dir täglich einen Überblick, berichte, erzähle, ordne ein und nütze dir. Und du kannst dich darauf verlassen, dass alles, was du liest, professionell recherchiert, selektiert und präsentiert wird ohne den Einfluss unerkannter Interessen Dritter.” Dass gerade regionale Zeitungen, die verständlicherweise auf regionale Werbetreibende setzen müssen, sehr oft großen Einflüssen sogenannter Dritter ausgeliefert sind, wird hier verschwiegen. Ebenso, dass so gut wie jede Zeitung in den letzen Jahren in den eigenen Redaktionen personell abbauen musste. Vor allem kleinere, regionale Medien-Anbieter, so auch die Tiroler Tageszeitung sind dadurch gezwungen, vermehrt auf Nachrichten von Presse-Agenturen, wie jene der APA zu bauen. Nach Qualitätsjournalismus im klassischen Sinn klingt das erstmal nicht.

Ich teile die Ansichten von Hermann Petz, dass Zeitungen eine wichtige Funktion haben. In meinen Augen ist eine funktionierende Medienlandschaft sogar eine der tragenden Säulen der Demokratie. Nicht umsonst unterliegen Journalisten, zumindest moralisch, einem Ethik-Kodex. Qualitätsjournalismus ist, für mich, in erster Linie die vollständige und umfassende Recherche und Berichterstattung über Geschehnisse. Darauf aufbauend wünsche ich mir Meinungstexte, Kommentare und Reportagen. Als Leser möchte ich nicht nur Meldungen präsentiert bekommen, die ich in den sozialen Netzwerken schon am Tag zuvor gesehen habe. Von einem Journalisten erwarte ich mir Inhalte die weiter gehen – ein umfassenderes Bild abliefern. Ich erwarte mir einen Schritt mehr, den Blick auf vermeintlich Nebensächliches, der sonst vergessen worden wäre, aber für die Bewertung der Situation entscheidend sein kann. Ich erwarte mir Meinung – die ich unterstützen, oder an der ich mich stoßen kann. Dass all das nur auf Papier möglich sein soll, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Hermann Petz bringt in seinem Interview zwei Beispiele für Online-Journallismus – “Buzzfeed” und “Vice”. Zwei Beispiele die polarisieren. Er vergisst dabei unzählige andere Medienprojekte die sich in den vergangenen Jahren gegründet haben, auf den Markt drängen und sich dem Qualitätsjournalismus verschrieben haben. “De Correspondent” aus Holland, “Krautreporter” aus Deutschland oder den österreichischen NZZ-Ableger “nzz.at”. Es gibt viele journalistische Online-Angebote die es sich verdient hätten hier erwähnt zu werden. Zum Beispiel die erst kürzlich mit dem, vom Grimme-Institut verliehenen, Web-Preis ausgezeichneten Projekte – wie das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv, mit seiner MH17-Reportage oder das Berliner Stadtmagazin Neuköllner.net oder Checkpoint, der Morgen-Newsletter von Tagesspiegel-Chef Lorenz Maroldt. Ich muss dem Moser Holding Vorsitzenden an dieser Stelle Unwissenheit über all diese Projekte unterstellen, ansonsten müsste man fast behaupten, er verschweigt sie absichtlich, um ein täuschendes Bild über die Realität in der Medienlandschaft wiederzugeben.

Über die Zukunft der Medienbranche wird noch viel diskutiert werden. Wer die ideale Lösung in der Schublade hat, den bitte ich sie nun herauszuholen – eine goldene Nase ist ihm/ihr jedenfalls sicher. Ich für meinen Teil hoffe, dass es nicht die großen Anbieter von Sozialen Netzwerken, oder Suchmaschinen sind, die die Lösungen bieten. Ich hoffe, dass es weiterhin Journalisten, echte Menschen sind, die die Zukunft des Journalismus prägen und daran glauben, dass auch auf neuen Informationskanälen Qualität eine wichtige Rolle spielt. Dass Qualitätsjournalismus eben nicht vom Aussterben bedroht ist. Und ich hoffe, dass es Menschen sind die einen langen Atem beweisen, Mut haben, Courage haben und sich trauen für diese Überzeugung zu kämpfen. Denn wenn ich mich nach dem vierten Mal lesen des Interviews von Hermann Petz nun in die Haut eines TT-Online-Redakteurs versetze, dann wäre ich von den Aussagen meines Chefs ganz schön entmutigt, oder motiviert …

Wir beim ALPENFEUILLETON sind jedenfalls motiviert. Wir sind motiviert zu beweisen, dass Kultur-Journalismus ohne öffentliche Förderungen auskommt. Wir sind motiviert zu beweisen, dass Kultur-Journalismus Meinung verträgt. Wir sind motiviert zu beweisen, dass man mit viel Überzeugung, Idealismus, Zeit, Arbeit und Mut es schaffen kann, auch online Inhalte mit Qualität zu präsentieren und diese zu finanzieren. Wir sind motiviert zu beweisen, dass es sich lohnt auch vermeintlichen Nebensächlichkeiten, Skurrilem und Charmantem eine Bühne zu geben. Und. Dass vor allem Tirol, Alternativen und Ergänzungen zu konzerngesteuerten Medien und Nachrichten braucht!

 Hermann Petz (53) ist Vorstandsvorsitzender der Moser Holding AG, dem größten Verlagshaus Tirols.