Konzertkritik FM-Riese Wattens

Bilderbuch: Die große Pop-Geste als glamouröse Hülle

Wenn die Band Bilderbuch ruft, dann kommen Scharen von Fans. Und wollen Pop und einen sexy Sänger. Was passiert aber, wenn man diese Band mit der eher fragilen und subtilen Musik von Schmieds Puls am gleichen Abend aufs Line-Up setzt? Richtig: Zumindest eine Band davon geht unter.

Man muss es sich vorstellen. Ein Konzert, bei dem man mit dem penetranten Geruch von Popcorn begrüßt wird. Selbstverständlich alles gebrandet. Markenbildung und Kohärenz sind schließlich alles. Das Logo von FM-Riese  zieht sich durch. Von den T-Shirts der Mitarbeiter des Abends bis hin zu dem Popcorn, das klarerweise in formschönen und ästhetisch ansprechenden FM-Riese-Tüten verpackt ist.

„Pop Here. Pop Now“ – so lautete immerhin das Motto! Was läge somit näher als Popcorn, das man dem Publikum vor dem Konzert kredenzt? Dass sich dann womöglich ein ganzer Putztrupp am nächsten Tag mit Bierlacken und darin liegenden Popcorn herumschlagen muss: Geschenkt. Schließlich geht es darum, dass dem Publikum klar gemacht wird, wo es ist und worum es geht. POP! FM-RIESE! Das muss eindeutig Vorrang haben.

Bilderbuch: Die Pop-Götter aus Wien? (Bild: Christoph Poll)

Bilderbuch: Die Pop-Götter aus Wien? (Bild: Christoph Poll)

Begrüßt wurden die Zuschauer dieses Abends, überwiegend bestehend aus Bilderbuch-Fans, neben Popcorn auch von einem überdimensionierten Stand mit Bilderbuch-Merchandise. „Feinste Seide“ wurde angeboten. Daneben durfte auch noch ein paar Platten, CDs und Stofftaschen der “Vorband” „Schmieds Puls“ herumliegen. Ein Gnadenakt sozusagen. Schön, wenn eine unbedeutende Band wie Schmieds Puls ein wenig vom Glanz der zurzeit schwer angesagten Band Bilderbuch abbekommen darf.

Im Konzertsaal zeigte sich dasselbe Bild: Bilderbuch hatte geklotzt, nicht gekleckert. Technik und Bühnenausstattung vom Feinsten. Pop im Hier und Jetzt wollte, zumindest im Fall von Bilderbuch, bestens und glamourös in Szene gesetzt werden. Etwas verloren hingegen lagen auf der Bühne der Kontrabass und die Gitarre von Schmieds Puls. Ganz rechts war außerdem ein bescheidenes Schlagzeug der Band aufgebaut.

Charismatische Frontfrau der Band "Schmieds Puls": Mira Lu Kovacs (Bild: Maximilian Meergraf)

Charismatische Frontfrau der Band “Schmieds Puls”: Mira Lu Kovacs (Bild: Maximilian Meergraf)

Vielleicht war es mit dem Popcorn am Eingang schon grundgelegt. In diesem Jahr ging es um Unterhaltung. Um Entertainment. Um Stimmung und um Party. POP eben. Dieser Pop, zu dem man am besten tanzt und ausgelassen feiert. Dieser Pop, der einen Sänger als Frontmann präferiert, für den sich ganze Heerscharen von Mädchen und jungen Frauen in der Toiletten hübsch machen. Schließlich sind sie nur hinter seinem Hintern her.

Schmieds Puls boten nichts davon. Sie hatten eine zwar durchaus attraktive, aber (zu) schüchterne Frontfrau zu bieten. Definitiv keine Person, bei der Männer in den ersten Reihen scharenweise in Ohnmacht fallen. Statt Entertainment, Licht-Show und der großen Geste boten Schmieds Puls etwas, das im zeitgenössischen Pop gar nicht mehr so häufig zu finden ist: Gute Songs. Reduziert und auf den Punkt gebracht.

Vermutlich war das aber gar kein Pop, denn die Sängerin und Gitarristin Mira Lu Kovacs streute auch den einen oder anderen „jazzig“ anmutenden Akkord ein. Powerchords und Dur-Akkorde, welche die Bilderbuch-Show beherrschen sollten, gingen irgendwie anders. Als das Schlagzeug auch noch dezent vertrackte Rhythmen spielte wurde klar: Zu dieser Musik lässt sich weder gut Biertrinken noch Popcorn-Essen. Folglich wurde das Publikum immer lauter und schaffte es nicht, in etwa 40 Minuten zuzuhören oder bei Desinteresse den Raum zu verlassen. Die Folge war eine zunehmend frustrierte Frontfrau, die ihre fragilen und hochmusikalischen Song-Gebilde im Tratschen der Masse untergehen sehen musste.

Ganz anders dann bei den folgenden Bilderbuch. Die Lautstärke war intensiviert, die Leerstellen und leisen Passagen in der Musik auf ein Minimum reduziert.

Bisher tat ich mir schwer damit, die Entwicklung von Bilderbuch von einer eher nichtssagenden Indie-Pop-Band zu den neuen österreichischen Pop-Göttern nachzuvollziehen.

Tatsächlich ist „Schick Schock“ nämlich eine zumindest im Österreich-Kontext herausragende Pop-Platte, die eine gewisse “Sexiness” in den sich streng im Dilettantismus und Understatement gefallenden Indie-Pop brachte. Eine Leistung, die man honorieren musste. Mit „Maschin“ brachte die Band außerdem in diesem Zusammenhang einen Gassenhauer hervor, der in die (österreichische) Musikgeschichte eingehen wird.

Live wurde es aber nur allzu schnell sicht- und vor allem hörbar: Die Musik von Bilderbuch hat gar nicht den Sprung gemacht, den man annehmen könnte und auf den ersten Blick vermutet. Fällt die Produktion des Albums weg und sieht man die Band leibhaftig auf der Bühne agieren, so wird vielmehr die Kontinuität der Kompositionen von Bilderbuch deutlich. Vieles ist nur oberflächliche Veränderung.

Nimmt man Beats, Sounds-Effekte, Samples und Stimm-Verfremdungen aus den Tracks, dann bleibt eine Musik zurück, die im Kern den Anfängen der Band noch immer sehr ähnlich ist. Womöglich zwar mit mehr Show, mehr Inszenierung, mehr affektierter Sexiness des Sängers. Aber letzten Endes musikalisch nicht weit über den Anfängen der Band stehend.

Das ist solide Pop-Musik, die auch gerne mal Prince zitiert und durch die Falco-Brille verfremdet wird. Letzen Endes aber nichts, das weit über den deutschsprachigen Raum hinaus Resonanz finden wird. Nicht nur wegen der Sprache, sondern auch wegen mangelnder musikalischer Innovationskraft. Mit anderen Worten gesagt: Die große Pop-Geste dient hier als schöne, glamouröse Hülle für mangelnde musikalische Substanz.

Dass die tatsächlich mit durchgehender musikalischer Substanz auftrumpfenden Schmieds Puls vom Publikum weitestgehend ignoriert wurden ist bedauerlich und eigentlich unverständlich. Denn Schmieds Puls haben das Zeug dazu, weit über die deutschsprachigen Grenzen hinaus eine Rolle zu spielen.

Aber was soll´s. Noch vor dem Gassenhauer „Maschin“ begab ich mich, etwas gelangweilt von dem mangelnden Variantenreichtum von Bilderbuch, nach draußen und nahm mir noch eine Tüte Popcorn mit. Vielleicht hatte ich ja Pop nicht verstanden und sollte weg von der Pop-Traditions-Linie Björk, Joni Mitchell oder Portishead und hin zu Oberfläche, Glamour, gepaart mit musikalischer Tristesse. Da half nur abwarten, nachdenken und dazu noch ein paar Popcorn essen.

Titelbild: Niko Ostermann