Lehramtsstudium Umstellung

Warum noch mehr ILS?

Seit diesem Wintersemester ist das Lehramtsstudium auf das Bachelor-Master - Curriculum umgestellt worden. Der Bachelor dauert nun acht Semester, der Master vier, somit dauert das Studium drei Semester länger. Ist diese Verlängerung berechtigt? Braucht es noch mehr pädagogische Anteile im Studium? Ein Briefwechsel zwischen einer Studentin und einem Senior Lecturer.

Liebe Marina,

Ja – das Lehramtsstudium wurde umgestellt. Es dauert nun deutlich länger, und künftig werden Studierende deutlich mehr Zeit am ILS verbringen. Das ILS ist ein Institut, von dem wir beide wissen: Es ist nicht das Lieblingsinstitut angehender Lehrer. Trotzdem glaube ich, dass die Umstellung insgesamt schon sinnvoll ist, und werde im Folgenden versuchen, dich davon zu überzeugen.

Ich bin für das neue Curriculum, weil es gar nicht genug pädagogische Inhalte im Studium geben kann, vorausgesetzt, man bereitet sie spannend auf. So wie ich dich verstanden habe, sprichst du dich nicht gegen diese pädagogischen Teile generell aus, sondern bist skeptisch, welche Inhalte konkret besprochen werden und wie diese umgesetzt sind. Darüber können wir diskutieren, aber manche deiner Kritikpunkte möchte ich im Folgenden entkräften bzw. einen Hinweis darauf geben, dass die ganze Sache nicht so leicht reformierbar ist, als du vielleicht meinst.
Nicht nur mit dem Blick an unsere Schulen, sondern auch mit Blick in meine Seminare wird ja schnell klar, warum ich für pädagogische Inhalte im Studium plädiere. Ich habe schon eine Menge Studierende gesehen, denen würde ich mein Kind (hätte ich eins) niemals anvertrauen wollen. In Seminaren kommen oft Wortmeldungen, das glaubst du nicht. Aber es gibt auch eine Menge sehr kluger Studierender und viele, die einfach von Haus aus schon gut unterrichten können. Bei denen entsteht womöglich der Eindruck, den du auch schilderst, nämlich: Man macht immer dasselbe. Aber das braucht es, weil bei manchen der Groschen eben erst spät fällt, und ich den Leuten die Zeit geben muss, die es braucht. Wenn wir sie zu früh in die Schulen schicken, haben wir geschädigte Kinder und krankgeschriebene bzw. frühpensionierte Lehrer. Da ist es mir lieber, ich gehe Leuten wie dir während deines Studiums ein bisschen auf die Nerven.

Reflexion – die Basis des Unterrichtens

Auch auf die Nerven gingen wir dir mit dem Reflektieren. Du schreibst: „Reflexion – man hat das Gefühl es handelt sich hierbei um das Lieblingswort aller Lehrenden“. Das stimmt nicht ganz, eins meiner Lieblingswörter ist beispielsweise „Bananenrepublik“. Das Wort Reflektieren gehört sicher nicht dazu, aber ich halte es für trotzdem wichtig, aus naheliegenden Gründen: Einerseits, weil es uns noch mehr als die Vermittlung von Wissen um die Vermittlung eines pädagogischen Ethos geht, wie Hartmut von Hentig das nennt. Also um Einstellungen zu Erziehung und zum Lehrberuf. Wie du weißt, liest man im Praxissemester das Buch „Was ist guter Unterricht“. Ein großes Fazit dieses Buches ist ja, dass die Antwort auf die Frage in der eigenen Perspektive besteht: Was willst du mit deinem Unterricht denn erreichen? Geht es dir um die Vermittlung von Wissen? Oder um Kompetenzen, um ein Können? Oder um Erziehung, wie im Volksschulunterricht? Soll dein Unterricht eher selbst gestalten oder soll er eher auf der Mitgestaltung von Schülern basieren? Wie du dich und deine Rolle siehst, wird dein Handeln anleiten. Also sprechen wir viel darüber, wie du dich siehst und warum aus deinem Erleben heraus bestimmte Sichtweisen entstanden sind.

Zweitens – und ich merke, dass Lehramtsstudierende hier oft eine merkwürdige Erwartungshaltung haben – weil euch das ILS ja keine fertige didaktische Bauanleitung für die Praxis geben kann. Im Studium heißt es nicht „Malen nach Zahlen“, weil wir kein Verständnis von Pädagogik haben, das auf einer einfachen Wenn-Dann-Logik basiert. Ihr sollt genau nicht das einfach wiederholen, was wir sagen, sondern lernen, wie eine pädagogische Situation zu beurteilen ist und für euch Prinzipien herausfinden, nach denen ihr in einer spezifischen Situation handeln möchtet. In unserem (oder zumindest meinem) Verständnis ist Pädagogik nicht normativ, es gibt weder allgemeinen gültige Erziehungsziele noch Handlungsprinzipien, und schon gar keine Unterrichtsmethoden, die „immer gehen“. Aber wie erkenne ich meine Handlungsprinzipien? Wie merke ich, welcher Unterrichtsstil zu meinen Überzeugungen und meiner Person passt? Eben.

Neue Möglichkeiten durch Umstellung

In der Umsetzung sollte Reflexion aber weder Kaffeeklatsch, Psychotherapie oder das Diskutieren des Privatlebens einer Studentin sein. Schon gar nicht wollen wir, dass ihr irgendetwas erfindet (nebenbei: wir wissen, dass das fast schon die Mehrheit tut, also wenn es schon sein muss, erfindet zumindest was witziges!) oder einfach das schreibt, was wir hören wollen. Wenn du meinst, dass du das mit deinem Lernjournal so gemacht hast, hast du den Sinn der Übung echt verfehlt. Andererseits geht es uns aber mehr darum, einen Prozess des Reflektierens zu initiieren, das haben wir vielleicht ja trotzdem geschafft. Und das ist schon eine wichtige Sache. Wie wichtig, siehst du in deinem nächsten ILS-Seminar selbst: Dreh deinen Kopf nach rechts und nach links und stell dir die Frage, wie oft manche deiner Mitstudierende wohl über sich nachdenken.

Ich habe ja selbst nicht Lehramt studiert, und als Erziehungswissenschaftler finde ich didaktische Probleme eher langweilig, aber wie man Reflexionen, Unterrichtstrainings, Methoden und andere pädagogische Fragestellungen nun gut aufbaut, dass es für niemanden langweilig wird und trotzdem keiner mit zu wenig Vorbereitung in die Schule geht: Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich kenne Leute, die hätten meiner geringen Meinung nach nicht einen einzigen Kurs bei uns besuchen müssen und wären an ihrem zweiten Schultag bessere Lehrer, als manche es mit zwanzig Jahren Berufserfahrung sind. Ich kenne aber auch andere Leute, die würde ich am Ende der Ausbildung niemals unterrichten lassen und stelle mir die Frage, mit welcher Ausbildung sie es je werden können. Aber ich kenne auch kein Testverfahren, das valide die eine Gruppe von der anderen trennt; ich kenne aber auch Studierende, die eine wirklich ausgezeichnete Entwicklung während ihres Studiums durchgemacht haben und würde einen solchen Test, wenn es ihn gäbe, aus diesem Grund auch nie einführen wollen. Aber sind diese Entwicklungen von alleine passiert?
Ich denke, das neue Lehramtsstudium schafft durch dieses Mehr an Präsenz mehr Gelegenheiten, dass wir Lehrende, aber auch Studierende untereinander solche Lernphasen initiieren können. Dazu sind leider all diese Dinge nötig, die dir nicht gefallen, und viele langweilen, die das nicht bräuchten. Ich gebe dir aber Recht, dass das neue Studium zum Anlass genommen werden sollte, das bestehende Workload-Problem, die Überfrachtung vieler LV’s, in Angriff zu nehmen. Aber durch ein Mehr an Stunden, könnte sich das bewerkstelligen lassen. Viele Lehrveranstaltungen – etwa auch das Modul wissenschaftliches Arbeiten – sind noch nicht genau geplant. Hier können wir deine Anmerkungen sicher aufnehmen.

“Ja und Amen” bringt uns auch nicht weiter

Noch ein P.S.: Kritik ist wichtig – aber so lange Kritik nicht in konkrete Handlungen münden, die eine ernsthafte Verbesserung herbeiführen könnten, ist Kritik nicht mehr als jammern. Für mich als Lehrender ist es schon immer wieder erstaunlich, dass (nur als Beispiel) immer der hohe Workload kritisiert wird, ich aber in der ersten Seminareinheit so viel Gleichmut und Unterwürfigkeit begegne, dass ich das Gefühl habe, ich könnte jede Aufgabe verlangen, alles, egal wie umfangreich, und wahrscheinlich würde sogar noch irgendjemand Danke sagen. Und das ist der Punkt, wo ich manchmal zynisch werde und mir denke, die wollen es wohl so. Ich kenne viele Lehrende, und ich zähle mich auch selbst dazu, die in Wahrheit nichts weniger mögen als Studierende, die immer Ja und Amen sagen. Diese Unterwürfigkeit ist meiner Meinung nach keine Charaktereigenschaft, die eine Universität bestärken (oder gar vermitteln) sollte. Sudern kann jeder – aber echte Verbesserungen erwirkt man so nicht, sondern durch Partizipation, Mitsprache und Engagement, durch Vorschläge und Forderungen, für die man schon einmal den Mund aufmachen muss. Aber keine Furcht davor – man kann dabei nur gewinnen!

P.P.S: Das gilt auch bezüglich der Lehrinhalte! „Heilige“ (auch Institutsheilige) gibt es in der Wissenschaft keine; eine Theorie, ein Modell bewahrheitet sich im Diskurs, und den könnt/sollt ihr auch mit eurer Lehrveranstaltungsleitung führen.
Wenn der „lesende Student“, wie Brecht das sagen würde, die fünf Dimensionen von guten Unterricht lesen würde, hätte er beispielsweise sicher einige Fragen: Zum Beispiel, wie man zu diesem Modell kommt; warum ausgerechnet fünf Dimensionen; warum genau diese theoretischen Referenzen (z.b. Bloom)? Wie man einzelne Dimensionen genau voneinander abgrenzen kann? Wie genau dieses Modell normativ sein kann, oder, warum bsp. ethische Dimensionen (z.B. Abgrenzung gegen Rechtsextremismus) in diesem Modell keine Rolle spielen? Und wie das Modell im wissenschaftlichen Diskurs rezipiert wird – wurde es weiterentwickelt, kritisiert oder gut aufgenommen?
Wissenschaft lebt von kritischen Fragen und vom Austausch. Was man aber nicht darf: Von vorhinein davon überzeugt sein, dass es Blödsinn sein muss, weil es aus Innsbruck kommt. Nicht alles, was wir machen, ist Blödsinn, ganz im Gegenteil. Der lesende Student lässt sich auch überzeugen, wenn die Argumente plausibel sind.

Michael Brandmayr ist seit 2012 am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung (ILS) angestellt und lehrt dort in der Orientierungseinheit (im neuen Curriculum heißt sie: Schule als Bildungsinstitution) sowie Grundlagen des Lehrens und Lernens.

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Titelbild: Wikipedia