Zukunftsperspektiven

Wie rettet man die Jazz-Festivals vor ihrem Untergang?

Die Zukunft der "Jazz-Festivals" in Österreich und Deutschland ist ungewiss. Das Publikum vergreist. Die Musik zieht sich entweder zurück in ihren Elfenbeinturm oder löst sich aufgrund ihrer neuen Beliebigkeit in Pop-Kontexte und falsch verstandene Unterhaltungsmusik auf.

Wagt man einen Vergleich zwischen der Jazzwoche in Burghausen und einigen österreichischen Jazz-Festivals, dann fällt vor allem auf, dass Österreich über eine rege Festival-Landschaft verfügt, was experimentellere “Jazz-Festivals” betrifft. Diese beschäftigen sich überwiegend mit den „freieren“ und „avantgardistischeren“ Spielformen.

Zeitgleich zur „Jazzwoche Burghausen“ fand etwa das Festival „ArtActs“ in St. Johann in Tirol statt. Hier dockt man, sehr grob gesagt, an „freien Jazz“ sowie an alle damit in Verbindung stehenden avantgardistischen Tendenzen der „freien“ und „improvisierten“ Musik an, die das möglicherweise belastende Label des „Jazz“ bereits abgelegt hat.

Unter dieser freien Improvisation verschwimmen etwaige Genre-Grenzen hin zur sogenannten „Neuen Musik“. Es ist zumeist Musik, die sich so viele Freiheiten nimmt und so sehr mit konventionellen Strukturen und Erwartungshaltungen bricht, dass sie bei einem großen Teil der Hörerinnen und Hörer auf Unverständnis stößt.

Wie auch immer man diese Tatsache bewertet, eines wird bei diesem Festival gut sichtbar: Durch die Grundlagen des Experimentes und durch das Primat der freien Improvisation wurden stillschweigend über die Zeit ästhetische und künstlerische Dogmen geschaffen, die sich darin äußern, dass das „Konventionelle“ und „Bruchlose“ oder gar das Melodiöse und Zugänglich in diesem Kontext kaum Platz findet.

So sehr man diese Musik auch für ihre Abenteuerlust mögen kann: Es ist Musik für Kenner und Eingeweihte, die sich sektiererisch jedes Jahr immer wieder treffen um mit Gleichgesinnten Musik zu hören, die dem Durchschnitts-Hörer als strukturloserer Lärm oder gar Kakophonie erscheint. Das schweißt zusammen, bildet Szenen, bestätigt Hörgewohnheiten und taugt darüber hinaus auch gar nicht schlecht zur Distinktion.

Man verzeihe mir diese Vereinfachung. Aber diese Diagnose gilt für mindestens drei weitere Festivals in Österreich, die auf die Namen „Unlimited“, „Kaleidophon“ und, mit Abstrichen, auf „Jazzfestival Saalfelden“ hören.

Wer sich in den Dogmen der Nicht-Dogmatischen-Musik einrichtet schafft wieder Gefängnisse, wo eigentlich Offenheit sein sollte.

Verlässt man diesen paradoxerweise mit dogmatischen Zügen ausgestatteten Zirkel stößt man unweigerlich auf Festivals in Österreich, die einen anderen Weg gehen. Diese werden von den Mitgliedern des Zirkels der „freien Musik“, die sich fast alle persönlich kennen und sich auf Festivals im deutschsprachigen Raum immer wieder treffen, mit Verachtung oder zumindest Missachtung gestraft. Da wären unter anderem das Festival „Outreach“ in Schwaz zu nennen – oder auch an das „Jazz Fest Wien“ zu denken.

Vor allem letzteres ist verpönt. In diesem Jahr wird auf diesem Festival unter anderem auch Cyndi Lauper spielen. Natürlich neben allerlei Acts, die doch deutlich mehr mit Jazz zu tun haben. Darunter auch eine Band, die im englischsprachigen Raum für einen deutlichen „Coolness-Schub“ verantwortlich ist, was den Jazz betrifft: Snarky Puppy.

Das „Outreach“ wiederum nennt sich hin und wieder „Jazz-Festival“, manchmal aber auch einfach „Music-Festival“. Alles ist Musik. Man muss gar nicht Jazz dazu sagen. Das ist zwar ein löblicher und an sich richtiger Ansatz, dieser verschleiert aber zwangsläufig die Grundlagen des Jazz als improvisierte und wandelbare Musik.

Jazz mag mithin das offenste aller „Systeme“ sein. Doch genau diese Offenheit und diese Grenzenlosigkeit sind es Wert verteidigt zu werden. Indem ich den „Jazz“ nur mehr „Musik“ nenne, gehe ich die Gefahr der Beliebigkeit und der Schwammigkeit ein. Diesen Vorwurf könnte man nicht nur „Outreach“, sondern auch dem „Jazz Fest Wien“ machen, das den Namen „Jazz“ ebenfalls nicht grundlegend für die Programmierung braucht. Sowohl Snarky Puppy als auch Bobby McFerrin als auch Beth Hart würde ohne diesen Kontext ebenso funktionieren.

Die Frage ist somit einfach und provokant zu formulieren: Wie schafft es der Jazz sich zu öffnen, ohne seine grundsätzlich wichtigen ästhetischen Grundlagen zu verlieren und sich in Pop-Kontexte und Beliebigkeit aufzulösen? Wie schaffen es Festivals, sich von den Dogmen des Nicht-Dogmatischen zu lösen und „freie Musik“ mit „kommerzielleren“ Spielarten zu versöhnen. Wie lässt sich somit das volle Spektrum ausschöpfen und die volle Tradition des „Jazz“ anzapfen?

Ich habe keine letztgültige Antwort. Ich sehe nur zwei Tendenzen: Auf der einen Seite verflacht der Jazz, biedert sich an, wird seicht und macht sich als Zuschreibung und als Ästhetik obsolet. Auf der anderen Seite wird er strikt elitär und richtet sich an die Eingeweihten und Wissenden.

Das Problem ist nur: Diese Eingeweihten und Wissenden altern, es gibt so gut wie keinen Nachwuchs. So kann man natürlich zweifellos warten, bis die Rezipienten solche Festivals zu alt werden um quer durch Europa zu reisen und bis dahin auf eine sehr kleine, aber durchaus feine ZWieielgruppe setzen, die ihren Jazz am liebsten frei improvisiert und abenteuerlustig haben möchte.

Man kann als Festivalmacher aber natürlich auch darauf setzen, auf diese experimentellen Spielarten überhaupt zu verzichten. Der Verlust wäre meiner Meinung aber enorm und beklagenswert.

Eine Option wäre ein Festival, das Durchlässigkeiten produziert und Verbindungen zwischen Spielarten herstellt. Ein einschließendes Festival, das aus dem Vollen schöpft und Hörerinnen und Hörer generell einlädt, sich mit den vollen Möglichkeit einer Musikrichtung zu beschäftigen, die man immer noch als „Jazz“ bezeichnen könnte. Ganz einfach, weil mit diesem Begriff Traditionen und eine ellenlange und fruchtbare Musikgeschichte einhergeht.

Jazz ist nicht Pop. Jazz muss aber möglicherweise fragen, warum er nicht mehr populär ist und wie er sich wieder in populäre Diskurse einschleusen könnte. Eine Antwort auf diese Dichotomie zwischen Experimentell und Kommerziell werden Festivalmacher und Veranstalter geben müssen. Sofern sie nicht ihr eigenes Süppchen weiterkochen und darauf warten, bis sich der Jazz endgültig in viele kleine Sub-Genres für kleine Hörer-Minderheiten aufgespalten hat und sich zunehmend für die breitere Masse überflüssig gemacht hat.

Es muss ganz einfach mehr geben als die zwei daraus ableitbaren Optionen. Die Zukunft darf nicht entweder den Untergang oder die künstlerische Irrelevanz bedeuten. Es wäre an der Zeit, die richtigen Fragen zu stellen und Antworten zu finden. Vor allem von Seiten der Festival-Macher und Veranstalter.

Titelbild: Felix Kozubek