Kleingeist und Größenwahn

Der Fall Böhmermann: Warum Satire nicht alles wollen sollte

Es ist Donnerstag. Höchste Zeit für die wöchentliche Kolumne „Kleingeist und Größenwahn“. Dieses Mal nimmt Markus Stegmayr die „Affäre Böhmermann“ zum Anlass um über die Funktion und Aufgabe der Satire nachzudenken.

Allzu oft wurde in den letzten Monaten Kurt Tucholsky zu Rate gezogen und als Legitimation dafür verwendet, der Satire alle nur möglichen Freiheiten zuzugestehen. Im Berliner Tagblatt vom 27. Januar 1919 schrieb er: „Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten. […] Was darf die Satire? Alles.” Verkürzt wurde und wird Tucholsky damit zitiert, dass Satire alles dürfe.

Nun ist an dieser Freiheit der Satire auch tatsächlich nicht zu rütteln. Diese Freiheit ist aber an Bedingungen, Aufgaben und an Verantwortung geknüpft. Satire sollte zwar alles dürfen. Sie sollte aber auch wissen, was sie will und welche Funktion sie einnimmt.

Der Satiriker ist in der Rolle eines Intellektuellen, der Missstände thematisiert, sich an die Seite der Marginalisierten und Unterdrückten stellt und seine Stimme für sie erhebt. Der Satiriker ist ein Aufklärer, der mit den Mitteln der Satire Diskurse anstößt, unangenehme und unter den Teppich gekehrte Ereignisse und Erzählungen ans Licht der Öffentlichkeit zerrt.

Der gegenwärtig diskutierte „Fall Böhmermann“ zeigt ein Problem der aktuellen Satire sehr deutlich: Sie nimmt sich die Freiheit etwas zu tun und zu sagen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, warum sie es tut und was sie damit genau bezweckt. Es handelt sich dabei um eine Tautologie: Satire darf alles, weil Satire alles darf. Aber was will sie erreichen? Welche Funktion hat sie? Welche Rolle spielt sie in einem aufklärerischen und “wahrheitssuchenden” Diskurs?

Böhmermann klärt nicht auf, macht sich auf keine Wahrheitssuche, hat es nicht im Sinn, ein anderes Licht und eine andere Perspektive auf verfälschte Wahrnehmungen und Manipulationen zu werfen. Er beleidigt. Er pöbelt. Sein Spottgedicht auf Erdogan mag legitim sein. Es gibt kaum Gründe, den Verspotteten zu verteidigen. Es gibt aber zahlreiche Gründe, die Art und Weise des Spottes unter dem Gesichtspunkt von gelungener Satire zu kritisieren.

Die Apologeten von Böhmermann verteidigen letztlich die Freiheit, um die Freiheit zu verteidigen. Sie fragen sich aber nicht, worin diese Freiheit besteht. Besteht die Freiheit darin beleidigende Texte öffentlich verlesen zu dürfen? Alle und jeden beleidigen zu dürfen? Alles in jedem Kontext zu jeder Zeit sagen zu dürfen? Möglicherweise. Aber das ist zu wenig.

Hier wird die Freiheit der Satire instrumentalisiert um unvernünftige, substanzlose und künstlerisch mehr als fragwürdige Texte zu legitimieren. „Satire“ in dieser Ausprägung ist inhaltsleer und ihres eigentlichen Zweckes entkleidet. Bei dem Gedicht von Böhmermann wird keine aufklärerische, diskursive und erhellende Arbeit geleistet, nichts zur Verbesserung der Lage und der Veränderung der Perspektive beigetragen. Sehr viel eher forciert Böhmermann das ohnehin schon bestehende und erstarrte Feindbild Erdogan, wärmt unter dem Deckmantel der Satire Klischees auf und legitimiert plumpe und wenig ansprechende Beleidigungen mit der absoluten Freiheit von Satire.

Lohnt es wirklich diese Art von „Satire“ zu verteidigen, weil wir jedes Sprechen, das sich selbst das Mäntelchen der Satire umhängt, a priori verteidigen müssen? Klarerweise müssen wir Böhmermann schützen. Klarerweise soll er für seine Aussagen nicht bestraft werden. Wir müssen uns aber fragen, welche Satiriker und welche Intellektuellen wir haben wollen und welchen Stimmen wir medial und öffentlich Gewicht geben wollen.

Sind es Menschen mit aufklärerischer Absicht, die zu Recht die Freiheit der Satire für sich in Anspruch nehmen und alle damit in Verbindung stehenden Mittel benutzen um auf Missstände hinzuweisen und eine Veränderung herbeizuführen? Oder sind es doch eher Menschen, die sich mehr um mediale Aufmerksamkeit und um ihr eigenes Ego kümmern?

Diese Fragen werden wir uns stellen müssen. Besser früher als später. Damit wir endlich tatsächlich wissen, welche „Freiheit der Satire“ wir in Zukunft verteidigen wollen.

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