Festival "Inntöne"

Ein Dorf wählt Norbert Hofer – und ein Musikfestival leistet Widerstand

Mitten im Nirgendwo findet das Festival "Inntöne" in Diersbach bei Schärding in Oberösterreich statt. Während in der Gemeinde mit überwältigender Mehrheit Norbert Hofer beim ersten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt wurde, pflegt Paul Zauner auf seinem Buchmannhof die Utopie einer offenen, vielfältigen und kunstsinnigen Gesellschaft.

Die politische Situation und das “Heilsversprechen”


Die Ergebnisse sind erschütternd. Zumal aus der eigenen Perspektive, wenn man sich zur “Kultur-Schickeria” und zum erlauchten Kreis der Intellektuellen zählt, die Norbert Hofer im aktuellen Wahlkampf beschwört und in Kontrast zu den ganz normalen Menschen bringen möchte.

Stolze 44 % wählten in Diersbach bei Schärding im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl den freiheitlichen Kandidaten Norbert Hofer. Mit 13 % konnte die Hoffnung aller Künstlerinnen und Künstler, Van der Bellen, nur wenig punkten. Just in diesem Dorf veranstaltet der Posaunist Paul Zauner sein Festival „Inntöne“.

Bereits der Weg zum Festival ist von Hindernissen gesäumt. Neben Straßen und Wegen, die dem starken Regen wenig gewachsen sind, zählen dazu vor allem Wahlplakate. Links beschwört Van der Bellen die Heimat. Rechts von ihm inszeniert sich Norbert Hofer, deus ex machina, als die “Stimme der Vernunft”.

Wenige hundert Meter weiter weist ein Schild mit der Aufschrift „Jazz“ auf den richtigen Weg zu dem Festival „Inntöne“ hin. In diesem Zusammenhang klingt das fast wie ein Versprechen auf eine andere, bessere Heimat. Die Hölle, die lauert da draußen. Auf dem Bauernhof, da ist sie noch heil. Da wird eine andere Heimat beschworen. Heimat anders, quasi . Heimat, wie sie auch noch sein könnte. Abseits von Parteipolitik, Lagerdenken und einer immens aufgeheizten Stimmung, in der die Denk- und Sprechverbote von beiden Lagern nur so fröhliche Urständ feiern.


Jazz und die Heimat


Nun weiß man, dass der Initiator und Impresario der „Inntöne“, Paul Zauner, an die heilende Kraft von Jazz glaubt. Egal ob bei Menschen oder bei seinen Schweinen. Ob indes der Jazz auch helfen kann diese tiefe politische Krise zu überwinden, sei dahingestellt. Eher gleicht der Buchmannhof, irgendwo im Nirgendwo gelegen, einem kleinen gallischen Dorf, in dem die Utopie von Multi-Kulturalität, Internationalität und absoluter Offenheit zelebriert wird und verwirklicht wurde.

Kann uns der Jazz vor einem Bundespräsidenten Norbert Hofer bewahren? (Bild: Mirja-Leena Zauner)

Kann uns der Jazz vor einem Bundespräsidenten Norbert Hofer bewahren? (Bild: Mirja-Leena Zauner)

Draußen droht mit einem blauen Bundespräsidenten eine ganz gegenteilige Entwicklung, die tendenziell hin zur Abschottung, zum Rückzug auf Nationendenken und dem Beharren auf der eigenen Identität führt. Wir sind wir. Die Anderen interessieren uns wenig.

Bei dem Festival „Inntöne“ hingegen wird auf konzeptionell und künstlerisch eindrucksvollem Niveau verhandelt, dass diese Identitäten nicht feststehend sind und auch nicht im Singular gedacht werden können. Paul Zauner holt sich Jahr für Jahr drei Tage lang die Welt auf seinen Hof und bietet dieser seine Heimat an, dass sie bespielt, verändert und weitergedacht werden möge.

Kontrastiert man das „Außen“ und die temporär verwirklichte Utopie am Buchmannshof, dann lässt sich das Festival „Inntöne“ quasi diskursiv lesen. Es lässt sich unter dem Begriff der „Heimat“ und den damit verbundenen Ein- und Ausschlüsse interpretieren. Ist Heimat normalerweise ein exkludierender Begriff, versucht er sich hier für drei Tage in der kompromisslosen Integration von Identitäten, Musikstilen und ästhetischen Konzepten.


Die Konzerte bei „Inntöne“ und deren (mögliche) Wirksamkeit


Der Eröffnungs-Act Kenny Werner macht bei seinem Solo-Piano-Konzert bereits klar, dass es nicht den einen richtigen Weg oder das eine als einziges angewandte musikalische Verfahren gibt, das in den nächsten Tagen immer wieder durchdekliniert werden wird. Er huldigt dem Großmeister Keith Jarrett, spielt ein ironisiertes und tieftrauriges Weihnachtslied und versucht sich gar im Genre Honky Tonk.

Das darauf folgende Rosenberg Trio hat hingegen primär ihr fast überlebensgroßes Vorbild Django Reinhardt im Blick. Höchst virtuos bewegt sich das niederländische Trio durch dessen Kompositionen und schmeckt das Programm fein mit Eigenkompositionen ab, die Vergangenheit und mögliche Zukunft dieser Spielart geschickt skizzieren.

Mit Andreas Schaerer, Peter Rom und Martin Eberle folgt am Samstag eines der beiden Highlights des Festivals. Ein Highlight schon allein deshalb, weil dem Trio das Kunststück gelingt, den Jazz auf eine Meta-Ebene zu hieven und damit zu fragen, was Jazz überhaupt ist und dabei höchst zugänglich und spielfreudig zu bleiben. Dadurch verflüssigen sich etwaige über die Jahrzehnte gefestigten Klischees und eingeschliffene Spielweisen in Windeseile.

Ein Stück besteht zum Beispiel nur aus Schlüssen, die man von Jazz-Standards eben so kennt. In anderen Stücken hingegen ist man sich unsicher, ob das noch „scatten“ ist oder nicht doch schon mehr dem inszenierten Wahnsinn eines Mike Patton in seinen schrägeren Projekten nahe kommt. Überhaupt legen diese drei Musiker den „Jazz“ als Spielweise so weit aus, dass sie weniger im Genre-Sinn Jazz spielen, als vielmehr dessen Haltung benutzen, um durch sämtliche Ideen, Möglichkeiten und Spielweisen der bunten Welt der Musik zu hasten.

Mit dem Trio „SO III“ , unter der Leitung der Geigerin und Sängerin Suvi Oskala, bewegen sich die „Inntöne“ gar ein wenig weit von der Idee weg, ein Jazzfestival sein zu wollen. Mehr als ein Hauch von finnischer Folklore weht durch den Bauernhof, bei manchen Passagen wäre es nicht unpassend, Björk oder Sängerinnen wie Stina Nordenstam als Inspiration zu vermuten. Der verhuschten Stimme werden kraftvolle, bedeutungsschwere Visuals zur Seite gestellt, die den sphärischen, leicht esoterischen Gesamteindruck noch verstärken.

Dem grandiosen brasilianischen Gitarrenmeister Márcio Faraco folgt ein überaus gelungenes Tribut an Harry Pepl. Und damit wohl das einzige Konzert, das sich auf einem Festival für frei improvisierte Musik gut gemacht hätte. Als Ausgleich darf dann der Schlagzeug-Altmeister Al Foster ran und mit Ruthie Foster hat Paul Zauner bei seinem Festival gar eine wunderbare Blues-Sängerin mit dabei, auf die sich alle einigen können.

Bemerkenswert war dann am Sonntag, dass es vor allem die „reinen“ Jazz-Bands sind, die zwar musikalisch durch ihre Brillanz überzeugen, im Gesamtkontext aber eher deplatziert wirken. Weder der, musikalisch herausragende, Azar Lawrence noch das aus Gerd Dudek, Ali Haurand und Daniel Humair bestehende Trio wussten (mich) zu begeistern.

Eine kleine Sensation und musikalische Offenbarung hingegen war die weit gereiste und auf verschiedenen Kontinenten aufgewachsene Brasilianerin Dom La Nena (vgl. Titelbild). Eigentlich aus der klassischen Musik kommend, widmet sie sich seit einigen Jahren der „kleinen“, einfachen und zugänglicheren Form des Pop- und Folk-Songs. Sie empfindet dabei die damit einhergehende Form und Struktur nicht als Limitierung, sondern als Befreiung.

Man darf darüber spekulieren, ob diese feinen, manchmal unschuldig wirkenden Songs eine Art Heimat für die eigentlich heimatlose Dom La Nena geworden sind. Die Songs sind überschaubar, eingängig, klug konstruiert und zugänglich, dabei aber nie unterkomplex oder gar simpel und banal. Sie singt dazu beseelt, sanft und mit einem immensen Charisma. Die Folge: Begeisterungsstürme und eine lange Schlange beim CD-Verkauf.


Fazit


Was bleibt nach den drei intensiven Festivaltagen? Zweifellos die Erkenntnis, dass Paul Zauner zusammen mit seiner Frau Mirja-Lena Zauner ein wunderbares, ausdifferenziertes und vielfältiges Festival auf die Beine gestellt hat, das auch „jazzfremden“ Menschen die Freude an dieser Musik vermitteln kann, zumal Jazz hier nicht als Reinheitsgebot, sondern als Anleitung zur Spielfreude und zur Vermessung der künstlerischen Möglichkeitsräume benutzt und fort gesponnen wird.

Es bleibt aber auch der etwas schale Nachgeschmack, dass eine konkrete Positionierung in Bezug auf die im Moment grassierende Heimat- und Identitätsfrage nicht passiert ist. Vielleicht steht die Musik beim Festival „Inntöne“ für sich. Möglicherweise wären aber mehr Musikerinnen und Musiker interessant gewesen, welche die Themen Heimat, Herkunft, Heimatlosigkeit und die Utopie einer möglichen freieren, offeneren Heimat thematisieren oder musikalisch verwirklicht zur Diskussion stellen.

Das „Inntöne“-Festival und der Buchmannshof bleiben damit letztlich das bereits genannte kleine „gallische Dorf”, das anders denkt und höchstwahrscheinlich auch anders wählt als fast die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner in Diersbach. Das ist natürlich schön zu sehen und durchaus begrüßenswert. Womöglich wäre es aber interessant zu sehen, wie sich die Auswirkung dieses Festival und dessen (politische) Strahlkraft noch erhöhen ließe. Meiner Meinung nach hätte das Motto „Heimat, anders“ lauten können. Damit wäre die beglückende und hoffnungsgebende Wirkung der wirklich außergewöhnlichen Musik und MusikerInnen an diesen drei Tagen jedenfalls treffend beschrieben gewesen.

Muss ein Musikfestival wirklich offenen Widerstand leisten? Natürlich nicht. Aber es muss in der Lage sein seine Vision einer freien, kunstsinnigen Heimat klar zu kommunizieren und damit Wirksamkeit zu erzeugen. Das wäre meine Hoffnung für die Zukunft.


Zum Reinhören und Reinschauen


Titelbild: Robert Feichtenschlager