Interview Josef Hader
„Es war sehr schön, wieder ein Anfänger zu sein”

Text und Interview: Tina Mott
Hader sells! Sein Regiedebüt Wilde Maus wurde bereits mit grosser Spannung erwartet, doch seit der Film für den Wettbewerb der 67. Berlinale nominiert wurde, tobt eine wahre Medienschlacht. Es gibt wohl kaum ein deutschsprachiges Format in Print, Fernsehen oder Internet, das sich nicht noch schnell ein paar Quotes von ihm holen wollte. Um dieser allgemeinen Hektik und Gier nach Sensationen etwas entgegen zu setzen, traf sich unsere Redakteurin Tina Mott mit Josef Hader in einer ruhigen Vormittagsstunde in Innsbruck, um mit ihm ein ausführliches und fokussiertes Werkstattgespräch über seine Arbeit zu führen.
AFEU: Für Ihr Debüt als Regisseur verfassten Sie auch das Buch und übernahmen noch dazu die Hauptrolle. Warum tun Sie sich das an?
Josef Hader: Ich hatte das Gefühl, dass ich wieder eine neue Herausforderung angehen möchte. Am Anfang bestand diese nur darin, ein Drehbuch ganz allein zu schreiben, ohne Co-Autoren. Bisher habe ich immer mit anderen zusammengearbeitet, die mich mitrissen, oder mir auch ein bisschen Druck machten. Dadurch funktionierte das dann meistens besser als allein. Während des Schreibens stieg dann langsam der Gedanke auf, dass ich eigentlich gern selbst Regie führen würde. Ich war aber der Meinung, kaum eine Filmfirma finden zu können, die damit einverstanden wäre. Weil ich als Regisseur ganz neu war und zudem auch die Hauptrolle spielen wollte. Ich dachte, es sei ein zu großes Risiko, das niemand eingehen möchte. Dabei stehen ja ein paar Millionen Euro auf dem Spiel, die entweder in den Sand gesetzt werden oder eben gut investiert sind. Obwohl ich eigentlich ein Mensch bin, der sich immer die schlimmsten Szenarien ausmalt, hatte ich selbst die Vorstellung, es wäre zu schaffen.
AFEU: Mit welchen Argumenten konnten Sie dann doch eine Produktionsfirma von Ihrem Projekt überzeugen?
Hader: Zur ersten Besprechung bei der Wega Film ging ich mit dem Trotz, im Zweifelsfall zu sagen: „Die Hauptrolle kann ruhig jemand anders spielen, aber ich möchte auf jeden Fall die Regie führen. Hauptrollen habe ich eh schon genug gespielt.” Nun saß da Michael Katz, der quasi alle deutschsprachigen Filme von Haneke produziert hat, und meinte einfach: „Josef, du musst die Regie machen, klar.” Da wusste ich, dass ich genau den Richtigen vor mir sitzen hatte, weil er so voller Überzeugung und auch Vertrauen zu mir sagte: „Das wird.”
Mit dieser Produktionsfirma hatte ich noch überhaupt keine Erfahrung, doch ich sah mir immer ihre Filme an. Ich dachte: „Das ist eine sehr feine Firma, die sehr feine Filme macht.” Und dieser Eindruck hat sich dann auch bewahrheitet. Natürlich gab es während des Prozesses manchmal Schwierigkeiten oder auch kurzfristige Änderungen der Intentionen. Doch Michael Katz und die Wega Film standen wie ein Fels in der Brandung hinter mir und hielten mir den Rücken frei. Es ist jetzt so, dass ich abhängig und süchtig bin nach dieser Firma und mit keinem anderen Produzenten mehr zusammenarbeiten möchte. Da kann einem Schlimmeres passieren. Das ist wohl unter allen Süchten die Gesündeste. (lacht)
Obwohl ich eigentlich ein Mensch bin, der sich immer die schlimmsten Szenarien ausmalt, hatte ich selbst die Vorstellung, es wäre zu schaffen.
AFEU: Kann man sich auf eine so komplexe Aufgabe überhaupt vorbereiten?
Hader: Ich dachte mir: „Das Einzige, das ich investieren kann, ist Zeit.” Also habe ich mir Freiräume geschaufelt, damit ich in Ruhe schreiben konnte. Über zwei Jahre lang habe ich immer wieder neue Versionen verfasst und mich immer mehr dem angenähert, was ich erzählen wollte. Dadurch fand ich mit der Zeit auch die Balance zwischen dem Komischen und dem Nicht-so-Komischen. Wenn man viele Male neu draufschaut, bekommt man ein Gefühl, wie der Film von den Temperaturen her sein soll. Wie lustig er sein soll, wie groß die Probleme sein sollen, die nicht vom Lustigen weggewischt werden. Ich wollte einen Film machen über Menschen und alles, was sich reibt zwischen Menschen, in einer fünfzigprozentigen Mischung aus Komik und Tragik.
Durch meine Erfahrung als Drehbuchautor und Schauspieler wusste ich, welche Szenen für einen Regisseur anspruchsvoll sind. Es klingt jetzt komisch, aber es ist sehr leicht zu drehen, wie jemand nackt durch den Schnee rennt. Es ist aber technisch total schwierig, eine Gruppe von sechs Leuten zu filmen, die im Kreis sitzen und miteinander reden. Da müssen zum Beispiel die Achsen stimmen, damit sich der Zuschauer auskennt und kein seltsames Gefühl bekommt. Also war es für mein Drehbuch wichtig, mit überschaubaren Settings zu arbeiten. Darum habe ich mich bemüht, viele Zweier- und Dreier-Szenen so zu komponieren, dass ein möglichst lebendiger, rhythmischer Film dabei herauskommt.
Ich wollte keine Filmmusik, die jede Szene unterstützt. Ich wollte die Szenen pur haben in ihren Atmosphären; dazwischen eine vehemente klassische Musik, aber nur an ganz bestimmten Stellen.
Also habe ich versucht, das Drehbuch so zu schreiben, dass die Schauplätze eine große Abwechslung bieten. Nicht nur im Bild, sondern auch im Ton. Viele Ideen, die jetzt auch inhaltliche Ideen sind, wie der Prater, waren zuerst eigentlich formale Ideen.
Das Schreiben ist für mich so, als würde man einen dürren Baum in den Wind hängen und es fliegen langsam, ganz von selbst viele Blätter darauf und picken fest.
AFEU: Was entwickelten Sie zuerst? Die Geschichte, die Charaktere oder wuchs alles miteinander?
Hader: Das Schreiben ist für mich so, als würde man einen dürren Baum in den Wind hängen und es fliegen langsam, ganz von selbst viele Blätter darauf und picken fest. Am Anfang gibt es zwar so etwas wie ein Gerüst oder einen Bauplan, aber man weiß einfach noch gar nicht so viel. Die erste Fassung war schon recht anders als der Film jetzt, eher tragisch. Sehr tragisch. Ich würde fast sagen, ein klassischer österreichischer Arthouse-Film. Also sehr, sehr tragisch. (lacht) Da dachte ich mir: „Das macht dir jetzt auch keinen Spass.” Die Gewichtungen waren noch nicht richtig verteilt. Die Grundidee bestand immer schon darin, dass jemand arbeitslos wird und sich wehrt. Aber da wusste ich noch nicht, wie weit er gehen wird. Nach zwei, drei Fassungen, ist dann das eingetreten, was mir schon öfter passiert ist, nämlich, dass mich die Freude am Stoff verlässt. Das ist mir schon mit ein paar Drehbüchern so gegangen, die ich dann später für andere Filme verwurstet habe. In diesen Phasen gibt es so viele Dinge, die mir nicht mehr gefallen, dass ich gar nicht mehr weiterarbeiten will. Also habe ich einen Strich gezogen, mir überlegt, was ich mitnehmen möchte und daraus eine neue Geschichte gemacht. Und plötzlich war vieles leichter. Mein Problem ist immer, dass ich am Anfang zu viele Stränge und Figuren habe. Es wuchert so aus und dann muss ich wieder etwas wegzwicken. Das gilt für ganze Handlungsstränge oder auch für banale Details. Ich habe zum Beispiel gleich am Anfang hingeschrieben: „Ich will einen Asiaten, der mit einem Wok ein Auto zerhaut.”
AFEU: Das Drehbuch gewann also durch wiederholtes Überarbeiten an Tiefe?
Hader: Durch dieses ruhige Schreiben mit Zeitabständen wurde mir immer bewusster, was ich eigentlich erzählen wollte, und ich war leichter fähig, die verschiedenen Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen. Es war so eine Art Pulloverstricken, bei dem man einen Teil wieder auftrennt, weil man sich denkt: „Ui, da ist ein ganz toller Faden, den möchte ich unbedingt drinnen haben.” Und diesen Faden muss man dann wieder vorne hineinweben. Es gibt verschiedene Arten, einen Plot zu entwickeln. Entweder man ist total impulsiv und genial, dann fetzt man eine Geschichte so hin. Das kann sehr gut sein. Es gibt Kollegen, die mit leichter Hand ein Drehbuch schreiben. Aber so konnte ich nie arbeiten. Ich habe immer viele Fassungen gebraucht. In der Zusammenarbeit mit David Schalko bemerkte ich, dass wir total unterschiedliche Schreibtypen sind. Er kann eine Szene einfach so hinschreiben und ich denke mir: „Wahnsinn.” Auf der anderen Seite war es aber auch so, dass ich ganz lange an etwas geschrieben und herumgetüftelt habe, dann ist der David gekommen und hat einfach so mal irgendwie drübergebessert. Da war ich schrecklich angefressen und dachte mir: „Um Gottes willen, ich arbeite so lang daran. Sieht er das nicht?” Es war aber eine sehr schöne Zusammenarbeit, weil wir beide gemerkt haben, was wir aneinander haben.
Ich bin halt der Typ, der lieber lange an etwas herumschreibt. Und dann muss man es auch wirklich konsequent machen. Da sollte man so lange an diesem Pullover herumstricken, bis die berechnenden Muster in der Textur verschwimmen. Diese Muster, bei denen man sich denkt: „Ah, jetzt will der Autor das von mir.” So erhält man auf eine andere Art wieder eine Unmittelbarkeit.
Man kann auch ganz komplizierte Sachverhalte sehr einfach darstellen, wenn man genug Hirnarbeit investiert. Ich habe immer das Gefühl, dass dieses Vorurteil herrscht: Nur dann, wenn es kompliziert klingt, ist es wirklich hochgeistig. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist eher so: Wenn man noch zwei Tage überlegt, dann bekommt man es noch einfacher hin und es ist trotzdem feiner. Das ist wie bei einem guten Lehrer, der sich genau überlegt, wie er unterrichtet und etwas vermittelt, damit es jeder versteht. Ich wollte ja ursprünglich Lehrer werden. (lacht)