www.dichtung-digital.com/2001/11/30-Wettbewerb

Wettbewerb Literatur.digital 2001
Autoren und Beiträge

Hier einige Statements, herausgegriffen aus den Interviews mit den Beiträgern des Wettbewerb Literatur.digital 2001, die die Titel tragen können: Poetik, innere Bilder, Herausforderungen, Gefahren, Produktion, Rezeption, Zukunft.


Poetik

Nichts scheint mir wichtiger zu sein, als in der Phase der Konzeption die Frage zu klären, an wen wende ich mich, an Wahrnehmungsspezialisten oder an ein Publikum, das die Wahrnehmung digitaler Techniken zunächst lernen muss. Ich denke die Wahrnehmung digitaler Literatur muss erlernt werden, wie vor etwas mehr als hundert Jahren, das Wahrnehmen eines Film erlernt werden musste, die Technik des Schnitts. (Andreas Louis Seyerlein)

innere Bilder

Mit Kraftwerk haben wir immer schöne Filmchen zu den Stücken gemacht. Auch dies werde ich heute mit Yamo nicht mehr machen, weil dann, genauso wie beim Lesen, die ganze Phantasie vorweggenommen wird. Ich hab's von meiner Uroma gelernt, das Zuhören. Die konnte vielleicht vorlesen! Da ist was passiert in meinem Kopf, dass ich nachts oft nicht schlafen konnte, wenn die Bilder mich verfolgt haben. Eigene Bilder! So soll es sein. Bilder müssen selbst entstehen. Beim Musikhören, wie beim Lesen. (Wolfgang Flür)

Herausforderungen

Im notwendigen Teamwork von GestalterInnen und TechnikerInnen: Text, Grafik, Foto, Video, Sprache, Musik, Geräusche und Programmierung müssen zueinander finden, brauchen eine gemeinsame Regie und Dramaturgie. Filmmusik z.B. unterliegt eigenen Gesetzen. (Martin Auer)

Kunstvolles Kodieren um des entstandenen Kodes willen ist nicht mein Interesse. Ich suche nach Anlässen und Zusammenhängen, in denen es Sinn macht, sich einer neuen Textart zu bedienen. Dann wird Interaktion in die Gesamtheit eines digitalen Werkes einbezogen. Ich habe vielleicht am Schluss nur die Schwierigkeit, es noch "Literatur" zu nennen. Es ist ein Drahtseilakt, literarische Texte mit Interaktion zu verweben, ohne den Text an sich zu opfern - für mich immer die größte Herausforderung. (Stefan Maskiewicz)

Gefahren

Natürlich sind die vielfältigen Möglichkeiten faszinierend und bereichernd, allerdings bergen diese aber auch die Gefahr, sich im Medium zu verzetteln und Leere mit Interaktivität zu tarnen. Mitunter wird durch das Setzen vieler Links scheinbar Neues simuliert, oder es werden Inhalte transportiert, die in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen. (Dorit Linke)

Der Programmierer neigt oft dazu, die Grenzen des technisch Machbaren auszuloten und auch auszunutzen - Programme voller überflüssiger Zusatzfunktionen, die kein Mensch braucht, sind der beste Zeuge. Damit besteht leicht die Gefahr der Versuchung, digitale Kunstwerke mit technischen Spielereien zu überladen, zu einer Leistungsschau der Programmierfähigkeit herabzuwürdigen. Auch die Multimedialität birgt die Gefahr, den Leser zu stark zu lenken - präsentiert man parallel zum Text Bilder und Klänge, erreicht man schnell den Punkt, wo man den Leser der Möglichkeit eigener Assoziationen, des eigenen "Filmes im Kopf", beraubt. (Heiko Paulheim)

Die Chancen und auch die Gefahren bestehen in der rasanten Entwicklung der technischen Möglichkeiten. Wenn das Mithalten mit der Technik wichtiger wird als das Inhaltliche oder wenn die Technik nur benutzt, aber nicht mit ihr gearbeitet wird, dann bringt das die Internetliteratur nicht weiter. Flash ist ein gutes Beispiel. Die Bild- bzw. Filmgestaltung muss eine andere als illustrierende Funktion haben. (Odile Endres)

Produktion

Für mich speziell sind die beiden Prozesse (Verfassen eines Textes und Installation seiner digitalen Version) immer noch und weiterhin zwei verschiedene Dinge, die beinahe nichts miteinander gemein haben, beide jedoch vollkommen andere Herausforderungen bedeuten: Beim Schreiben einer Erzählung suchst du nach dem passenden Wort, beim Umsetzen am Rechner nach dem geeigneten Javascript. (Michael Kaiser)

Als wesentliche Voraussetzungen für ein gemeinsames, synergetisches Projekt (nicht im Verständnis einer lediglich additiven Kollaboration) erwiesen sich: eine gute Regie; ein ähnliches Gleichmaß der Differenzierung; kommunizierbare ästhetische Auffassungen, die in abgestimmte Durchführungen münden. Sind diese Voraussetzungen nicht vorhanden oder gibt es keinen Konsens, setzen elementare Probleme ein, die auch zu schwächeren ästhetischen Lösungen führen. […] Die Arbeitsteilung bzw. Abhängigkeit von Programmierern allerdings könnte problematisch werden, wenn diese nicht den Ehrgeiz haben, sich als erstklassige Handwerker einzusetzen, sondern sich als Künstler verstehen (Ursula Menzer)

Rezeption

Digitale Literatur darf nicht nur auf den Computerseiten der Zeitungen zu finden sein, sondern sollte ihren Platz im Feuilleton haben. Die Werke müssen als "Literatur" und nicht in erster Linie als "digital" wahrgenommen werden. (Melanie Schön)

Wichtig wäre, die Bedeutung hochklassiger, digitalisierter Literatur für Fördereinrichtungen, Stiftungen, Verlage, Vermittlungsinstanzen etc. zu verdeutlichen, bevor die Verramschung der Poesie das Medium Internet für dieses Genre diskreditiert. Vielleicht ist das Netz aber generell eher ein Medium, das zu Trash tendiert. Das wird sich zeigen. (Ursula Menzer)

Zukunft

Digitale Literatur hat eine spannende Zukunft vor sich. Da bin ich sicher. Nicht nur deshalb, weil Generationen heranwachsen, die, wenn überhaupt, Literatur weitgehend über das elektrische Medium des Computers wahrnehmen werden. Generationen vor allem, deren Wahrnehmung der Welt sehr stark von der Möglichkeit der Simulation geprägt sein wird - womit man spielen kann, ist interessant, was man verändern, zusammensetzen, manipulieren kann, ist spannend, wenn ich etwas selbst zusammenbauen kann und erforschen, ist das <mega-in>. Hier bietet sich eine Chance für interaktive Literatur, Literatur, die unterschiedliche mediale Konzepte zusammenführt. Hier ist aber auch die Gefahr verankert, dass eigentliche Geschichten, Stories, Inhalte, narrative Zusammenhänge, verschwinden oder so unbedeutend werden, dass die Definition des Objektes als <Literatur> zu hinterfragen wäre. Ich sehe die Gefahr, dass Sprache, sprachlicher Ausdruck hinter Bewegung, hinter bewegten Bildern vollständig verschwinden wird, dass also das Kino im World Wide Web zum Standart werden wird. (Andreas Louis Seyerlein)

Die digitale Literatur wird sich etablieren. Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden und der unbändige Gestaltungswille einer ganzen Generation, der sich bisher noch vornehmlich in bunten Webseiten austobt, wird beizeiten neue Betätigungsfelder suchen. (Julius Raabe)

Die Zukunft digitaler Kunst sehe ich nicht so sehr bei uns Webliteraten. Eher bei Adventure Games und Wirtschaftssimulationen. Ich glaube, dass die Kunst der Zukunft sich mit komplexen gesellschaftlichen Vorgängen befassen wird. Jedenfalls meine ich, dass sie das sollte. Ich wünsche mir zum Beispiel eine spannende, unterhaltsame Wirtschaftssimulation, die sich mit den durch die Globalisierung aufgeworfenen Fragen auseinandersetzt. Derartiges kann ein einzelner Digitalliterat mit dem bisschen Hypertext und Flash, das unsereins so beherscht, natürlich nicht leisten. Solche Projekte brauchen Teamarbeit und Produktionskapital ähnlich wie Filme. (Martin Auer)

Die Zukunft der digitalen Literatur allgemein sehe ich eher in der Nähe des digitalen, "interaktiven" Kinos oder bei Games oder Simulationen, auch wenn es mir widerstrebt, so etwas zuzugeben, da sich diese Formen von der Literatur doch sehr entfernen, und außerdem Produktionsbudgets erfordern, von denen gemeine LiteratInnen nur träumen können. Vielleicht lassen sich diese Tendenzen subversiv unterwandern, entgegensteuern, mit Netzliteratur, so wie Romane ja auch parallel zu Kinofilmen existieren können. (Nika Bertram)


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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