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Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine Was wird aus der EM?

21.04.2012 ·  Der Europäische Fußballverband gerät wegen Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine vor der Europameisterschaft unter Druck. Im Mittelpunkt der Kritik steht der Umgang mit der früheren Regierungschefin Julija Timoschenko.

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© dpa Die inhaftierte frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko wird in Kiew zu einer Gerichtsverhandlung gebracht (Archivbild, Juni 2011)

Zwei Monate vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine wächst der politische Druck auf den Europäischen Fußball-Verband (Uefa) und seinen Präsidenten Michel Platini. Es geht um die von der EU und der Bundesregierung beklagten Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland Ukraine, insbesondere um den Umgang mit der früheren Regierungschefin Julija Timoschenko.

„Herr Platini hat sich bislang einen schlanken Fuß gemacht, wenn es um die politischen Missstände in der Ukraine ging. Stattdessen sollte er die ganze Macht der Uefa einsetzen, um darauf hinzuwirken, dass die schwerkranke Frau Timoschenko noch vor der EM aus der Haft entlassen wird“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auch der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach, verwies auf die Verantwortung der Uefa.

„Die Uefa ist keine politische Institution“

„Selbstverständlich verfolgen auch wir beim DFB die Situation in den Ländern, in denen wir zu Gast sind“, sagte Niersbach der F.A.S. „Ich denke, dass hier die Uefa als Veranstalter der Euro 2012 und somit Vertragspartner der Regierung der Ukraine erster Ansprechpartner sein muss. Unabhängig davon setzen wir uns im Rahmen der Möglichkeiten, die ein Sportverband besitzt, für eine strikte Beachtung der Menschenrechte und Meinungsfreiheit, den Schutz von Minderheiten und die Unabhängigkeit der Justiz ein“, äußerte Niersbach weiter. Er bestätigte, dass sich der DFB in dieser Frage mit Löning und dem Auswärtigen Amt abstimme.

Uefa-Präsident Platini wies die Vorhaltungen zurück. „Die Uefa ist keine politische Institution und wird nie eine sein. Dafür ist eine EM immer ein großes europäisches Festival, das Kontakte, den Austausch und Diskussionen auf allen Ebenen fördert.“ Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung will die Uefa Mitgliedsverbände, deren Teams bei der EM mitspielen, dazu anhalten, diese Haltung zu übernehmen.

Mehrere deutsche Politiker zeigten sich gegenüber der F.A.S. besorgt darüber, dass der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch die EM nutzen werde, um seine Isolation in der EU zu durchbrechen. „Den Handelnden in DFB und Uefa muss klar sein, dass Herrn Janukowitsch keine Bühne gegeben werden darf. Er darf aus diesem Ereignis keine Legitimation schöpfen für die Unterdrückung der Opposition“, sagte der CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok. „Wenn deutsche Politiker zu Spielen in der Ukraine fahren, sollten sie um eine Besuchserlaubnis bei Frau Timoschenko und den anderen Oppositionspolitikern im Gefängnis bitten“, forderte Brok.

Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann sprach sich gegen einen Boykott der EM aus, weil der weniger das Regime treffen würde als die Sportler und Fans. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Kanzlerin neben Herrn Janukowitsch auf der Tribüne sitzt, solange kein faires Verfahren gegen Frau Timoschenko gewährleistet ist“, sagte Wellmann. Der menschenrechtspolitische Sprecher und Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sagte, Frau Merkel solle Frau Timoschenko im Gefängnis besuchen, bevor sie ins Stadion gehe. „Ich erwarte lautstarke Kritik von den Sportlern, den Funktionären und von unserer Regierung. Die einzige Chance besteht darin, die Probleme des Landes in den Mittelpunkt zu rücken und dem Regime einen Image-Erfolg zu verweigern“, fuhr Beck fort.

Timoschenko wieder im Gefängnis

Die zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilte JulijaTimoschenko war am Freitagabend in ein Krankenhaus nahe ihrem Gefängnis in Charkiw verlegt und von dort am Sonntag wieder ins Gefängnis zurück gebracht worden. Sie habe die Behandlung ihres Rückenleidens verweigert, da sie einheimischen Ärzten misstraue, hieß es. Deutsche Ärzte waren zu dem Schluss gekommen, in Charkiw sei eine Behandlung unmöglich. Eine Ausreise nach Deutschland, für die sich die Bundesregierung eingesetzt hatte, lehnten die ukrainischen Behörden ab.

In Charkiw findet das Gruppenspiel Deutschland gegen Holland statt. Nach Informationen der Sonntagszeitung hat sich kein einziges Mitglied der Bundesregierung als Zuschauer für dieses Spiel angemeldet. Hingegen liegen für die Begegnung zwischen Deutschland und Portugal in Lemberg, einer Hochburg der Opposition, schon fünf Anmeldungen vor. „Die Bundesregierung ist sich der politischen Brisanz bewusst und wird verantwortlich damit umgehen“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte Löning.

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Von Heike Schmoll

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