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Autorenbuch Dieter Schlesak Tunneleffekt 5 – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Dieter Schlesak

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5


Das Grundgefühl im Alter dieser Welt läßt sich vielleicht so beschreiben:  alles ist noch da   und doch schon längst vergangen. Einzig  dieses heute so typische  Bewußtsein im Alltag, da und zugleich nicht da zu sein, abwesend, und doch im Jetzt vorhanden, das dem Zeitstillstand bei  Schock- und Todeserlebnissen ähnelt, spiegelt die immer intensivere Auflösung der "festen Welt" in der wir wie Phantome leben.

Die "exzentrische Welt der Toten" (Hölderlin) bleibt so nah, als gäbe es heute einen ungeheuren Sog der Opfer, Millionen, die durch die Vernichtung unserer Welt ums Leben kamen und auch heute immer noch zu Hunderttausenden um-kommen!

Euer Bewußtsein ist wie ein Glühwürmchen, aufleuchtend, einen Augenblick bewußt also bei euch (auf der Erde), dann aber wieder bei euch absent und so für einen Augenblick eben hier (bei uns den Toten), ihr sterbt in jeder Sekunde und werdet dann wieder geboren, ohne daß ihr es wirklich merkt. Kurzes Blackout. Nichts, ein schmaler Spalt, ein momentaner "Tod". Und kein Zeitfluß mehr. Du scheinst jenen Blitz und Spalt manchmal zu bemerken, manchmal...  konzentriere dich auf jene Rückseite des Bewußtseins, sei ohne Angst abwesend, so kommst du hierher, trainierst den Todesprozeß, der dir dann einmal den Übergang erleichtert  -

Ich "stehe" in solchen Augenblicken betroffen an jener Grenze, wo der Zeitfluß aufhört zu fließen, betroffen und mit Angstgefühlen, da Zeit in mir stehengeblieben ist, und ich  habe dann große Schwierigkeiten, den äußeren Bildern zu folgen und wundere mich, daß sie doch noch da sind, diese Bilder; sie kommen wie in Traumfetzen und fiebrigen Intervallen als Augenbild an, und ich bin mir  plötzlich erstaunt bewußt, immer noch da zu sein. Das Bild ist fixiert in seiner statischen Vorstellung, doch die "Zeit", der den Schrecken überdeckende Außenfilm, ist ein Stück weitergerückt: und ich blinzele, strenge mich an nachzukommen, denke an möglichen Irrsinn, falls das taghelle Bewußtsein zu langsam sein oder vielleicht ganz aussetzten sollte...  eine leere Stelle, kein Ich mehr, alles so intim nah, aber ganz fremd und namenlos:

CHAUSSEE NACH  ROM/ Die Linden blühn die Pinien sind wie Schirme/ Die Augen Schatten blenden dich/ es irrt in dir/ Bewußtsein/ ein Chausseebaum/ An deiner Außenwelt entlang// Wie ein Geheimnis steht/ In dir doch etwas still/ Ein Kern als hättest du ihn/ Überfahren// Du bist darin/ Ein Unbekannter/ Und läßt es weiterrücken/ Er steht/ du bist mit ihm/ Das Kreuz// So bist du immer schon/ Zerstört und doch wenn du/ Es fühlen kannst/ Mit ihm/ gleich zeitig/ schon gerettet.

Parmenides dachte sich diese Spaltung der Sekunden in ihrem unaufhörlichen Vergehen als Mann und  Frau, die hintereinander herlaufen, sich nie finden können, als eine Entzweiung zwischen Tod und Leben. Und die Opfer könnten sagen: die Zukunft sind wir, unsere Welt und Lichtebene. Dauert die Absenz länger, könnt ihr sie nicht mehr als "Zeitfluß" überbrücken, und das ist der Tod, wenn euer Bewußtsein völlig abgekehrt ist von der materiellen Welt und nicht mehr Träger eines Erscheinungsbildes sein kann.   

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