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Autorenbuch Dieter Schlesak Tunneleffekt 13 – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Dieter Schlesak

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13


Inzwischen hat sich sogar die Physik des Themas angenommen, so löst etwa der Amerikaner Frank Tipler in seiner "Physik der Unsterblichkeit" mathematisch ein, was er in der Einleitung behauptet: "Ich werde eine physikalische Begründung der Eschatologie - der Erforschung der letzten Zukunft - vorlegen; dabei gehe ich von der physikalischen Annahme aus, daß das Universum imstande sein muß, Leben unbegrenzt aufrechtzuerhalten ... Ich habe einmal ein Nazi-Konzentrationslager besucht; dieses Erlebnis bestärkte mich in der Überzeugung, daß es nichts Häßlicheres gibt, als Vernichtung." Und er geht auf Heisenberg zurück, der davon ausging, daß die Wahrheit "schön ist, ja, zur letzten Aussage gehört.“ "Es ist wahrscheinlicher, daß ein schönes Postulat wahr ist, als daß ein häßliches Postulat wahr ist" (Tipler).

Und kämen die Besucher und käme ein Mensch gar
mit dem Lichtbart und stotterte er wie in der Poesie
unpräzise das Schöne
nur auf diesem Blatt oder Schrift an der Grenze
als bekäme sie
neue Synthesis
als Kopf- und Herzoffenbarung:

Wenn etwas stimmt, sag: DAS IST SCHÖN!
Es kommt nicht mehr nur
im Herzen/ im Kopf hier an: sondern flugbereit
als die Kraft der Toten ...

Nichts ist getrennt, auch nicht die Physik von der Poetik oder diesem Augenblick, den ich gerade erlebe, von mir oder von Tiplers Denken, gar von einem Regenschirm und meinem Computer, wie schon der Surrealismus wußte; auch heute geht eine notwendige Metapoesie vom Ungeteilten,  Einen (dem Universum als Ganzem) aus, aus dem niemand fallen kann. Wie es übrigens noch Ingeborg Bachmann und Paul Celan oder Günter Eich wußten. (Heute geht - auch in der Lyrik, wie ein Gespenst -  ein falscher Glaube an die Scheinwelt des Empirischen um!). Meiner Überzeugung nach aber, ist es notwendig, daß "HERRN COGITO" „der Kopf  raucht" - ja:

(...) als er im  Durchbruch endlich wieder
den Himmel sah,
da zählte er die Sterne seiner neuen Blitze. Und
als alles darin verbrannte, erkannte er,
wie er durchsichtig wurde und sich durchschaute.

Die heute so weitreichende Empirie verbrannte er im Hirn/ wie
in einer Müllverbrennungsanlage.

So rauchte tatsächlich sein Kopf
mit Erfolg.  Und da diese Logik sich selbst aufdenkt,
und vergißt und den Kopf zerbricht, kann die Liebe
heraussteigen: vor allen Dingen. (Herrn Cogito rauchte der Kopf).


Bei Günter Eich finden wir dieses schöne Bekenntnis:  "Wir wissen, daß es Farben gibt, die wir nicht sehen, daß es Töne gibt, die wir nicht hören. Unsere Sinne sind fragwürdig: und ich muß annehmen, daß auch das Gehirn fragwürdig ist. Nach meiner Vermutung liegt das Unbehagen an der Wirklichkeit in dem, was man Zeit nennt. Daß der Augenblick, wo ich dies sage, sogleich der Vergangenheit angehört, finde ich absurd. Ich bin nicht fähig, die Wirklichkeit so, wie sie sich uns präsentiert, als Wirklichkeit hinzunehmen."

Jene ältere deutsche Lyrik war näher am harten Kern unseres Wissens, als die diffuse Gegenwartspoesie des Alltags heute, sie ging noch von der Ahnung aus, daß die Zukunft erst wirklich und wahr ist (auch reicher, angereicherter, wissender: ein "Meridian"!); nur der Tod (und die Entropie-Gesetze) scheinen uns einen Strich durch diese Rechnung zu machen; es ist der Augenschein der "Wirklichkeit", dem doch auch die Poeten heute  so sehr vertrauen!

Doch: "... ich versuche, noch etwas zu schreiben, was anderswo hinzielt. Ich meine das Gedicht."  Und: "Wir übersetzen, ohne den Urtext zu haben... In jeder gelungenen Zeile höre ich den Stock des Blinden klopfen, der anzeigt: Ich bin auf festem Boden." (Günter Eich).

Der Augenblick, das ständig  Neu-Ankommende ist das Wirkliche, von dem wir aber nichts wissen können, keiner ist je in der nächsten Sekunde gewesen, und man sehe, wie schon die Grammatik den Wahnsinn verrät; sprachlos das Perfekt (in der nächsten Sekunde auch in Zukunft „gewesen“), anstatt des Futurs?  Es gibt nichts Konkreteres, Beunruhigenderes, als dieses Realste der Zeit. Und es ist auch die "Bedingung der Möglichkeit" von Erfahrung. Gar nicht selbstverständlich ist es, was uns andauern geschieht, und es ist nicht von Menschen gemacht.

Alexander Kluge und Peter Weiss gehen als Filmer mit Sequenzen um. Bieten Querschnitte, keine  erzählten Längsschnitte. Momente. Oft Schreckmomente, wie Weiss in seiner "Ästhetik des Widerstandes" Géricaults "Fluß der Medusa".  Ein Hadesbild der Überlebenden, die wir ja sind, ein Hadesbild,  das die        Todestiefe im Moment des Schreckens spiegelt, ein Schrei des Untergehenden wird im Moment des Todes sichtbar, es wird ihm klar, daß alles falsch war, quer zum historischen Prozeß. Es ist der unendliche, andauernde Moment des Entsetzens, der alle diese Momente der bisherigen Geschichte zusammenfasst. Zeit anhält, wie das Summen in einem Todesmoment.

DIE SEQUENZ, der scharfe Filmschnitt sozusagen ist auch das Prinzip des Denkbildes und Fragments, und wie im Gedicht die Beweislosigkeit, wie ein Traum, der keiner Begründung bedarf. Kurze schnelle Querschnitte, wo alles unwichtige fortfällt, und wo die Sequenz wie im Traum, wie im Film abgesetzt wird, vereinzelt da steht wie eine Pause, wie ein Abgrund der Sekunden...  Auf diese Weise wird der Stillstand, das Anhalten der Zeit mehrfach geübt, bis Zeit dann auch  wirklich stehenbleibt.

Durch die sich überstürzenden Ereignisse, die das vorherige Geschehen "alt" machen wie Wegwerfgeschichten, löschen, meine ich in einen Alptraum geraten zu sein.

Aber immer deutlicher wird es, sogar der Wissenschaft, den Physikern, daß eben doch die sogenannte  Negentropie (die die vernichtende Zeit überschreitet!) ein umfassenderes Denkmodell abgibt, als die Alltagsevidenz und ihre schwarze Schwester der Vernichtung, die gelehrt von der "Irreversibilität" der Zeit spricht (oder fabelt!) und vor allem in der "Hure der Geschichte" (Cioran) und im Schein des Alltags wirkt!

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