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Autorenbuch Hans-Jürgen Heise Einleitung – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Hans-Jürgen Heise

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Einleitung


Hans-Jürgen Heise, der am 6.Juli 2010 achtzig wird, hat, einem Urteil der FAZ zu Folge, „einen unverkennbaren Beitrag zur deutschen Nachkriegslyrik geleistet“. Dieses Statement ist keine singuläre Bewertung. Bereits auf die ersten Gedichtbände, die Anfang der 60er Jahre im Limes Verlag erschienen sind, haben Kritiker und ältere Kollegen (Hans Arp, Günter Eich, Karl Krolow, Hilde Domin) mit Zustimmung, ja Enthusiasmus reagiert. Heises Arbeiten folgten nicht den damaligen Trends, der Politdichtung und der „konkreten Poesie“. Ungeachtet dessen äußerte sich Krolow im Tagesspiegel: „Heise gehört zu den an den Fingern einer Hand zu zählenden Lyrikern, die bei steter Produktion ständiges Niveau bieten.“ Es gab einige wenige Gegenstimmen, denen Jürgen P. Wallmann 1994 konterte - in seiner Laudatio, die er anläßlich der Verleihung des Andreas-Gryphius-Preises hielt und in der er Gorbatschow paraphrasierte: "Auch wer zu früh kommt, den bestraft das Leben".

Sein Blick galt dem Realen und dabei auch dem Realen des Traums und der Vorstellung, durchaus in Kenntnis der modernen Weltliteratur, besonders der Poesie, über die er schon früh, als Siebzehnjähriger, erste Buchbesprechungen und später umfangreiche Studien schrieb, so daß der amerikanische Germanist Jerry Glenn in World Literature Today befinden konnte, dieser Schriftsteller sei „als Essayist ebenso vollendet wie als Dichter“.

Wie in Heises Lyrik steht auch im Zentrum seiner Theorie anthropologische Erkundungslust. Das erzeugte von Anfang an individuelle Umrisse in einem Kulturmilieu, das entweder rein gesellschaftskritisch oder werkimmanent bzw. strukturalistisch vorging. Heise, meinte die Universitas, habe „gegenüber dem wissenschaftlichen Aufsatz und dem literarischen Essay etwas Neues [geschaffen] ... eine Methode, die den behandelten Autor und seine Produktion in ihr Ambiente einbettet, es mit atmosphärischen Valeurs anreichert.“

Entwickelte sich dieser „Fühldenker“ in seinen reflektierenden Texten „fern allem Germanistenjargon“ (ORF, Wien), so ließ er sich als Lyriker ebenfalls nicht vom „Genossen Trend und von Mademoiselle Mode“ leiten. Heise, dem der frühe Tod seiner Mutter zum mutmaßlichen Antrieb seines Schreibens wurde, hörte und hört mehr auf psychische Regungen als auf fremdbestimmte Imperative – was ihn freilich nie gehindert hat, sich mit dem Wissen und den Wissenschaften unserer Zeit intensiv auseinanderzusetzen.


Der Autor, der dem kleinstädtisch-ländlichen Milieu des ehemaligen deutschen Ostens entstammt, hat frühzeitig ein besonderes Verhältnis zur Dichtung Federico García Lorcas entwickelt , des großen Andalusiers, der wegen seiner ruralen Herkunft von sich gesagt hat, er besitze etwas, was die Psychoanalytiker einen Agrarkomplex nennen.


Heise, geprägt noch von der intakten, geradezu elementaren Natur seiner Ursprungswelt, war ein Grüner – lange vor den Thesen des Club of Rome und der Entstehung der grünen Bewegung. Das belegt sein lyrisches Debütbändchen „Vorboten einer neuen Steppe“ von 1961 und bereitete ihm zuvor bereits Schwierigkeiten, als er im Nachkriegsberlin einer der jüngsten Feuilletonjournalisten war und bei der kommunistischen  Kulturbund-Zeitung Sonntag als jemand galt, der sich, wenn er Naturgedichte schrieb, vor den Aufgaben des Klassenkampfes drückte, ja sich gar in einer reaktionären Ecke verbarg.

Nach seiner Flucht nach Westberlin und Jahren der Vagabundage im Kreuzberger Arbeitslosenmilieu entwickelte Heise von Kiel aus sein eigentliches Werk. Schon in seiner Berliner Zeit hatte der Autor teilweise mit freien Versen gearbeitet, doch erst um 1960 ging er konsequent daran, die Form des reimlosen lakonischen Gedichts zu verfeinern, so daß die Neue Rundschau ihn als einen der Begründer neuen lyrischen Sprechens bezeichnet hat, während er anderweitig als einer der Ersten rangierte, die das „Großdeutsch“ abgeschafft haben.

Der Pommer Heise besitzt eine kompensatorische Affinität zum Mittelmeerischen. Das Sprachbild, das er über den Begriff stellt, nennt er eine "Vokabel des Gefühls“. Im Übrigen ist seine Ausdrucks- und Themenpalette breit, und so hat man ihn in Italien als „ostseeisch“, in Deutschland jedoch als mediterran charakterisiert. DIE ZEIT hat ihm einen „in deutscher Lyrik noch immer schönen fremden Reiz“ zugesprochen. Heise selbst spottet: „Ich bin Zeitgenosse / Doch mehr am Rande der Zeit“.

Das ist ein wenig unbegreiflich – angesichts der Komplexität und zivilisationskritischen Aktualität des Werks, das eine erstaunliche Kielspur von Reaktionen hinterlassen hat, ganze Leitzordner von Sekundärliteratur, die gewiß nicht das Ergebnis kulturbetrieblicher Anpassung sind und die man mittlerweile einsehen kann: im Deutschen Literaturarchiv Marbach, in dem sich Heises Vorlaß seit 2003 befindet.
 

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