Im Zeichenmeer ersaufen
In einem seiner seltenen Gespräche mit Außenstehenden vertraute der schon in die Jahre gekommene Arno Schmidt seinem Gegenüber – in diesem Falle war es Jan Philipp Reemtsma –, dass sein von ihm gepflegter, satzzeichengesättigter, durch die von ihm aufgestellte Etymtheorie gestützter Schreibstil in ein paar Jahrzehnten Standard sein würde. Nun kam sicherlich der eine oder die andere Autor*in ein ums andere Mal in die Versuchung, selber nach einer ausgedehnten Schmidt-Lektüre das Experimentierbein zu schwingen und mehr oder minder (in meinem Falle war es eher mehr) ordentlich auf die Fresse zu fallen.
Nun hilft der Verweis in Susanne Eules neuestem Band DER KØNIG.INNEN HASEN HŮTEN, die Verwendung der diakritischen Zeichen å, ø und ů sei die Konsequenz einer langjährigen transatlantischen Distanz zur Orthographie der deutschen Sprache ihren Gedichten genauso wenig wie der Verweis meinerseits, sie sei sicherlich besser damit beraten gewesen, ihrem ungemeinen Gespür fürs Bild und dessen Rhythmus zu folgen. Beides versandet hier zu einer Rechtfertigung. Denn dieser Band krankt förmlich an seiner Überfrachtung – an seinem Umfang, der Gewichtung der einzelnen Kapitel und Zyklen sowie dem Experiment, das keine klare Struktur erkennen lässt, auch wenn manch lyrisches Ich sich noch so erhaben gebärden mag.
Wieso sage ich das? Im Unterschied zu einem Schmidt, einer späten Mayröcker oder einem Jirgl gar lassen diese Gedichte allem voran eines vermissen, was aber für ein gelungenes Experiment – meiner Meinung nach – unerlässlich ist: Einheitlichkeit! Nicht umsonst stellen beispielsweise Schmidt oder Jirgl ausgedehnte Lektüreschlüssel ans Ende ihrer Bücher. Kein Satzzeichen ist da zu viel oder an einer falschen Stelle, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Der alleinige Verweis auf die diakritischen Zeichen bei Eules reicht nicht, da ihr Experimentierfeld viel breiter und unübersichtlicher ist. Bei Mayröcker etwa erschließt sich dieses Feld beim lesen – Muster lassen sich erkennen in einheitlichen Wiederholungen. In DER KØNIG.INNEN HASEN HŮTEN wird man als Leser*in der Überfrachtung ausgeliefert. Und bedauerlicher ist: Die Gedichte fallen dieser Überfrachtung anheim, obwohl sie in ihrer Thematik und sprachlichen Finesse (schaut man über das Zeichengeröll hinweg!) überaus relevant sind. Etwa das Gedicht la vache qui rit: Obwohl das Gedicht poetologisch wie diskursiv viel bietet, ersticktes unter der Last des beinahe erzwungenen Experiments, was sehr schade ist angesichts seiner Aktualität:
„r/zůckschrei.bung/tung des datums
høh.lenkultur s/gammelsurium
named f.raun[en]quote rabnsch.
western aus eignen reihen & jå
ger the way how to arrive there
has been lo[oc]ked at in a different
way ver.wäs.srung was heißt hier
milch s ist kuhhandl r.echt.liche pro
bleme møglichte nacht.eile fůr fir
men zu ho.herr bůrokratieaufwand
soft processed jeez ils me montrent
mon sexe das blut das singt“ (la vache qui rit)
Und doch kann man Susanne Eules nicht unterstellen, sie verstecke sich hinter dieser Schreibweise. Allenfalls erkläre ich für mich allein dieses Experiment für missglückt. Dennoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass Eules eine irrsinnig sinnliche und durchrhythmisierte Sprache an den Tag legt, die aber leider an sich selbst zerschellt. Und gerade deshalb gehen Zyklen wie le baigneur/la baigneuse oder einige Gedichte aus dem Zyklus power den eichhørnchen unter: Sie sind, was die Experimentierfreudigkeit anbelangt, viel zurückgenommener – dennoch werden sie unter dem scheinbar wahllos wütenden Rest begraben. Dabei könnte man meinen, die Autorin sei sich dieses Problems durchaus bewusst: Gespickt sind die Gedichte mit programmatischen Aussagen und Anspielungen. Da wird mal auf ein „medikamentøses zeichensystem“ angespielt, auf ein „treiben im zuber ohne richtung“ oder ein „hůlsenschild“. An diesen Krankheiten ändern auch die durchaus ansprechenden Zeichnungen und Versuche visueller Poesie im Band nichts. Die Autorin hat einfach zu viel in einen Band gepackt, der gute 100 Seiten weniger haben müsste, um sein volles Potenzial zu entfalten.
So verstehe ich auch folgendes das Gedicht, betørend rot, mehr als negatives Programm für diesen Band – unter dessen Zeichengezweig wahrlich großartiges ruht:
„mein tanzplateau
auf dem ich mich
mit solcher wucht
& freiheit bewegt
ůbers spiel hinaus
dem tod durch můs
sen entwunden
in einer sich wieder
holenden drehung
im abheben sozu
sagen was natůrlich
keiner versteht aber
tåte gåbe es meine
zertanzten schuhe
aus der musealkůche
durchaus verbůrgt
vom weltliteraten“ (betørend rot)
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Kommentare
nicht jeder tippfehler ist schon ein experiment
nicht jedes satzzeichen poesie. nicht jeder text ein gedicht.
...
inspiration ist unbeschreiblich
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