Liebenswürdigkeit
Da mein letzter Bowie-Mondlink keine Beachtung fand, erst einmal hier ein neuer Bowieversuch:
https://www.youtube.com/watch?v=uqZSwmA_a-E
Womit wir bei dem Gegenwartsmärchen AHS-Freekshow wären. In meinen Gedichten konnte ich bisher keine verkümmerten Arme küssen, wunderschöne Stümpfe, doppelgesichtige liebenswerte Köpfe streicheln. Das Genre Märchen (Stefan, Fantasy?) will ich allerdings trotz Stefans Kritik daran auf meine Fahnen schreiben. Der Grundgedanke des verstümmelten, seiner Funktion enthobenen, dennoch und gerade darum schönen Körpers beschäftigt mich und bindet mich an die Tradition des kaputten Geräts. Die beschriebenen Käfer, die bösen (sic!) und die guten (sic!), die batteriebetriebenen (a - e - i - e -i - e - e) Toaster (in Martina Hefters "Ungeheuer" viel stärker noch "toaster in einer welt, die toastbrot nicht kennt"), der Weltraummüll, alle fehlprogrammierten Roboter und umherstreifende Wölfe im Palmenwald, ihnen allen ist in meinen Augen etwas gemein: eine immense Liebenswürdigkeit.
Wenn ein Rudel Wölfe im Gedicht auftaucht, liebe ich dieses Rudel, (Elke, hier, wo nicht "ich liebe" gesagt wird, vielleicht, doch auch dort bei "ich liebe nur dem mond", ich gebe dir letztendlich Recht - der Autor, der den Mond liebt, in letzter Instanz hast du vollkommen Recht.) Mücken, Trucks, Blumen selbstverständlich auch die Blumen, den Mond nicht zuletzt, Tundra, einen Fliederbaum, Vögel als den Körper durchbohrende Geschosse, Vögel als Geschosse, die nicht treffen.
Zu all diesen Dingen pflege ich ein schüchtern verliebtes Verhältnis. Ich will sie in ihren bildlichen, literarisch traditionellen, falschen, richtigen und bedeutungslosen Bedeutungen für mich ins Feld führen. (Das Arsenal meiner Schiefheiten bringt sich wieder in Stellung.) Selbst der "gefickte Motorstaub" ist für mich etwas unagressives, liebenswürdiges, es ist eben etwas, das dem Zerfallprozess des Motors als unnützes Abgas entspringt, der Grausamkeit des Wortes gefickt, hätte die Passivform der Wendung entgegenstehen sollen, das tut sie auch im Kleinen, zu klein, um Verständnis herauszufordern.
Ich bin sehr froh, Elke, über deine Lesart des Käfergedichts, die der meinen entspricht. Stefans andere Lesart entspricht ebenso der meinen. Nur ungern würde ich dieser Käferkolonie eine Lesart wegnehmen.
Mehr als zurecht kritisiert Stefan die inflationäre Märchenwerdung der Textrealität in diesen uns vorliegenden meinen Gedichten. Wer auf der Suche nach aphoristischen Aussagen über die Realität, Vereinfachungen der komplexen Wirklichkeiten sucht, der ist verloren, schlichtweg dumm. Wer "Wer-Aussagen" trifft, ist ebenso verloren.
Worauf ich hoffe, ist die Bildung eines mehrdimensionalen Individuums (Buch), das offen offen offen offen und verletzlich viele Alternativrealitäten (dazu gehört eben im besten Fall eine unerbittliche Klang- und Spracharbeit, andernorts eine einfache plumpe Sprache) anbietet, sie begehbar macht.
Dazu gehört sowohl das politische Sprechen, das der Unmöglichkeit nicht politisch zu sprechen entspringt, als auch die direkte politische Rede ("...europa. da kommt man um vor bergen.").
Die Vögel verwandeln sich seit Jahren in Geschosse, ohne uns zu treffen. Das ist es vielleicht.