Lieber Frank, bevor ich auf Deine letzte Nachricht eingehe, muss ich noch einmal ganz zurück. Wenn Kuligk unmittelbar in einem der ersten Artikel sich zur Ähnlichkeit von Lyrikern und Kaninchenzüchtern äußert, kann er noch gar nicht wissen, wie die Welt sein wird und interpretiert sie probeweise nach seinem Allgemeinplatz, der eben ein Vor- Urteil ist.
Wenn Nora Bossong in der Rückwendung zum gleichen Ergebnis kommt, dann hat ihr Urteil den Anspruch, Welt zu beschreiben. Folglich braucht es Belege. Sie findet genau zwei, und eine weitere
Wortmeldung holt sie sich eigens ab. (Dass die dann gar nicht das sagt, wofür es stehen soll, ist eine andere Frage.) Wie viele Lyriker vom Bekanntheitsgrad mindestens eines Breyger wird es geben? Ich denke, es könnten einige Hundert sein. (Und hat es nicht auch erfreute Äußerungen zu Wagner gegeben?) Die Wahrheit ist also: Es gab kaum kritische Stimmen zu Wagner. (Das Schweigen kann verschiedene Gründe haben.) Viel weniger allzumal z.B., als zu den Debatten in Darmstadt, Du sprichst es an. Mit anderen Worten: Auch wenn Nora Bossong einen Kommentar schreibt, sollte ein Kommentar doch die Wirklichkeit richtig wiedergeben, die er einordnen und werten möchte und nicht die Wirklichkeit ignorieren und eine Unwahrheit nahelegen, nämlich hier, dass es wie typischer Weise sofort Kritik gäbe. Man sieht hier sehr schön, dass der allgemeine Verdacht genutzt wird, um sich die Ohren zuzuhalten bei abweichenden Meinungen . Überhaupt liegt die Prominenz des Neidverdachtes nicht daran, das Lyriker heute besonders neidisch sind, wofür Dein Text Erklärungsansätze bietet, als vielmehr daran, dass es diese Lücke zwischen den in der Lyrikberichterstattung verhandelten Argumenten und einem auf andere Argumente bauenden Kennerdiskurs gibt. Manche halten die Schlechtigkeit des Menschen für eine bessere Erklärung für diese Lücke als den Umstand, dass die Berichterstattung entweder unvollkommen oder mindestens streitbar ist. (Hier sieht man, wie der Kapitalismus einen schlechten Menschen erfordert und zur Not erst diskursiv erzeugt, um glaubwürdig zu sein.)
Ich frage mich, warum sich Leute wie Jan oder ich dafür rechtfertigen müssen, wenn wir die Verletzung der journalistischen Verpflichtung auf Wahrheit missbilligen, und sei diese Verletzung auch nur implizit geschehen. (Jan möchte ja vor allem ein vorher aus schlechten Gründen entwertetes Argument rehabilitieren.) Deswegen verstehe ich die Länge der Debatte ja auch nicht und das Thema Neid jetzt anzusprechen, kommt mir problematisch vor und begünstigt eben bestimmte Positionen.
Wie verheerend die Linie Kuligk Bossong ist: Weil man seine Meinung vorsichtig äußern muss, kann man sie ebensogut auch gar nicht mehr äußern. Wenn man seine Distanz zu Wagner ausdrückt (sei es kritisch oder positiv, aber weniger interessiert) kann einem leicht untergeschoben werden, diese vorsichtig kritische Meinung stehe „eigentlich“ für einen großen Bereich des Ungesagten. Sie würde also auf neuem Boden interpretiert, der verdächtig an den Boden von Diskursen unter Zensur erinnert … Und da lauert dann schon sofort gleich das nächste Missverständnis: Wenn man seine Meinung vorsichtig-reflektiert oder wie immer aber bedacht äußert, dann lässt man sich ja eines Aufdrängen: Dass eine spezielle, differenzierte Meinung zu Wagner erforderlich sei, weil sie Bestimmtes bedeute. Das muss der Fall nicht sein. Was man sicher sagen kann: Wagner wird von Bossong und Kuligk überschätzt. Dazu muss man gar nicht wissen, ob Wagner ein so großer Dichter ist, wie diese nahelegen, es reicht ja einfach laut zu sagen: Nein, es gibt Leute, für die Jan Wagner nicht ein Gegenstand ist, sich selbst zu überdenken oder neu zu positionieren. (Und sei es, weil sie ihn schon immer lesen.) Anderen wiederum mag dies ein höchst willkommener Anlass sein ...
Natürlich weiß ich, dass Du den Anspruch an Dich hast, dass Deine Positionen nicht unvrrückbar ein für alle Mal da sind, sondern auf die Wirklichkeit reagieren.. Mich hat es sehr beeindruckt, wie öffentlich revisionsbereit Du gewesen bist, z.B. auch in Bezug auf Konstantin Ames. Abgesehen von dem Dichter ist mir also vor allem der Umstand wichtig, dass Du weniger apodiktisch geworden bist als früher, ausprobierst usw.
Da kannst Du manchmal vielleicht auch für mich ein Ansporn sein.
Auch wenn ich mit Jan Kuhlbrodt vielleicht eine größere Meinungsschnittmenge habe als mit Dir (Ich weiß es aber letztendlich nicht), bemerke ich oft, dass mich sein Ton, der Behauptungen im Modus von gesicherten Gewissheiten auszuspricht, öfters stört. (Immerhin hindert ihn das nicht daran, irgendwann auch anderer Meinung zu sein.) Wenn man das selber unangenehm erlebt hat, mag die Versuchung groß sein, sich mit den Opfern seiner Attacken zu solidarisieren ... So verstehe ich Deinen Artikel gegen Kuhlbrodt. Denn was die anderen Fragen betrifft, lagen da ja Welten zwischen uns.
Wie Du Deine Position öfters als die eines Arbeiters in Verdacht gezogen siehst, geht es mir so mit meiner als z.B. „akademisch verkopft“. Aber selbst, wenn die Diagnose richtig wäre, dass meine institutionellen Studien mir geholfen haben, gewisse Argumente zu entdecken, dann erwarte ich dennoch, dass man sie ansieht. Sie sind ja damit immer noch richtig oder falsch und außerdem nicht erwartbar. Michael Lenz, Walter Delabar und Malte Fueß etwa, sind sicherlich Akademiker mehr als ich, aber augenscheinlich in vielen Punkten sehr unterschiedlicher Meinung. Auch ist ja im Positiven wie Negativen nie klar, was mit der Apostrophierung „akademisch“ gemeint ist, so kann ja auch die akademische Perspektive von Fall zu Fall die saturiert gesicherte als auch die ökonomsich existentiell Bedrohte sein, ebenso wie soziologisch ( marginalisiert, weil keine „Masse“ dahinter steht.) wie es umgekehrt sein kann, weil der Lyrik lesende Arbeiter ebenfalls einsam ist usw.
Lieber Frank, bevor ich auf Deine letzte Nachricht eingehe, muss ich noch einmal ganz zurück. Wenn Kuligk unmittelbar in einem der ersten Artikel sich zur Ähnlichkeit von Lyrikern und Kaninchenzüchtern äußert, kann er noch gar nicht wissen, wie die Welt sein wird und interpretiert sie probeweise nach seinem Allgemeinplatz, der eben ein Vor- Urteil ist.
Wenn Nora Bossong in der Rückwendung zum gleichen Ergebnis kommt, dann hat ihr Urteil den Anspruch, Welt zu beschreiben. Folglich braucht es Belege. Sie findet genau zwei, und eine weitere
Wortmeldung holt sie sich eigens ab. (Dass die dann gar nicht das sagt, wofür es stehen soll, ist eine andere Frage.) Wie viele Lyriker vom Bekanntheitsgrad mindestens eines Breyger wird es geben? Ich denke, es könnten einige Hundert sein. (Und hat es nicht auch erfreute Äußerungen zu Wagner gegeben?) Die Wahrheit ist also: Es gab kaum kritische Stimmen zu Wagner. (Das Schweigen kann verschiedene Gründe haben.) Viel weniger allzumal z.B., als zu den Debatten in Darmstadt, Du sprichst es an. Mit anderen Worten: Auch wenn Nora Bossong einen Kommentar schreibt, sollte ein Kommentar doch die Wirklichkeit richtig wiedergeben, die er einordnen und werten möchte und nicht die Wirklichkeit ignorieren und eine Unwahrheit nahelegen, nämlich hier, dass es wie typischer Weise sofort Kritik gäbe. Man sieht hier sehr schön, dass der allgemeine Verdacht genutzt wird, um sich die Ohren zuzuhalten bei abweichenden Meinungen . Überhaupt liegt die Prominenz des Neidverdachtes nicht daran, das Lyriker heute besonders neidisch sind, wofür Dein Text Erklärungsansätze bietet, als vielmehr daran, dass es diese Lücke zwischen den in der Lyrikberichterstattung verhandelten Argumenten und einem auf andere Argumente bauenden Kennerdiskurs gibt. Manche halten die Schlechtigkeit des Menschen für eine bessere Erklärung für diese Lücke als den Umstand, dass die Berichterstattung entweder unvollkommen oder mindestens streitbar ist. (Hier sieht man, wie der Kapitalismus einen schlechten Menschen erfordert und zur Not erst diskursiv erzeugt, um glaubwürdig zu sein.)
Ich frage mich, warum sich Leute wie Jan oder ich dafür rechtfertigen müssen, wenn wir die Verletzung der journalistischen Verpflichtung auf Wahrheit missbilligen, und sei diese Verletzung auch nur implizit geschehen. (Jan möchte ja vor allem ein vorher aus schlechten Gründen entwertetes Argument rehabilitieren.) Deswegen verstehe ich die Länge der Debatte ja auch nicht und das Thema Neid jetzt anzusprechen, kommt mir problematisch vor und begünstigt eben bestimmte Positionen.
Wie verheerend die Linie Kuligk Bossong ist: Weil man seine Meinung vorsichtig äußern muss, kann man sie ebensogut auch gar nicht mehr äußern. Wenn man seine Distanz zu Wagner ausdrückt (sei es kritisch oder positiv, aber weniger interessiert) kann einem leicht untergeschoben werden, diese vorsichtig kritische Meinung stehe „eigentlich“ für einen großen Bereich des Ungesagten. Sie würde also auf neuem Boden interpretiert, der verdächtig an den Boden von Diskursen unter Zensur erinnert … Und da lauert dann schon sofort gleich das nächste Missverständnis: Wenn man seine Meinung vorsichtig-reflektiert oder wie immer aber bedacht äußert, dann lässt man sich ja eines Aufdrängen: Dass eine spezielle, differenzierte Meinung zu Wagner erforderlich sei, weil sie Bestimmtes bedeute. Das muss der Fall nicht sein. Was man sicher sagen kann: Wagner wird von Bossong und Kuligk überschätzt. Dazu muss man gar nicht wissen, ob Wagner ein so großer Dichter ist, wie diese nahelegen, es reicht ja einfach laut zu sagen: Nein, es gibt Leute, für die Jan Wagner nicht ein Gegenstand ist, sich selbst zu überdenken oder neu zu positionieren. (Und sei es, weil sie ihn schon immer lesen.) Anderen wiederum mag dies ein höchst willkommener Anlass sein ...
Natürlich weiß ich, dass Du den Anspruch an Dich hast, dass Deine Positionen nicht unvrrückbar ein für alle Mal da sind, sondern auf die Wirklichkeit reagieren.. Mich hat es sehr beeindruckt, wie öffentlich revisionsbereit Du gewesen bist, z.B. auch in Bezug auf Konstantin Ames. Abgesehen von dem Dichter ist mir also vor allem der Umstand wichtig, dass Du weniger apodiktisch geworden bist als früher, ausprobierst usw.
Da kannst Du manchmal vielleicht auch für mich ein Ansporn sein.
Auch wenn ich mit Jan Kuhlbrodt vielleicht eine größere Meinungsschnittmenge habe als mit Dir (Ich weiß es aber letztendlich nicht), bemerke ich oft, dass mich sein Ton, der Behauptungen im Modus von gesicherten Gewissheiten auszuspricht, öfters stört. (Immerhin hindert ihn das nicht daran, irgendwann auch anderer Meinung zu sein.) Wenn man das selber unangenehm erlebt hat, mag die Versuchung groß sein, sich mit den Opfern seiner Attacken zu solidarisieren ... So verstehe ich Deinen Artikel gegen Kuhlbrodt. Denn was die anderen Fragen betrifft, lagen da ja Welten zwischen uns.
Wie Du Deine Position öfters als die eines Arbeiters in Verdacht gezogen siehst, geht es mir so mit meiner als z.B. „akademisch verkopft“. Aber selbst, wenn die Diagnose richtig wäre, dass meine institutionellen Studien mir geholfen haben, gewisse Argumente zu entdecken, dann erwarte ich dennoch, dass man sie ansieht. Sie sind ja damit immer noch richtig oder falsch und außerdem nicht erwartbar. Michael Lenz, Walter Delabar und Malte Fueß etwa, sind sicherlich Akademiker mehr als ich, aber augenscheinlich in vielen Punkten sehr unterschiedlicher Meinung. Auch ist ja im Positiven wie Negativen nie klar, was mit der Apostrophierung „akademisch“ gemeint ist, so kann ja auch die akademische Perspektive von Fall zu Fall die saturiert gesicherte als auch die ökonomsich existentiell Bedrohte sein, ebenso wie soziologisch ( marginalisiert, weil keine „Masse“ dahinter steht.) wie es umgekehrt sein kann, weil der Lyrik lesende Arbeiter ebenfalls einsam ist usw.