Neuen Kommentar schreiben

Bertram Reinecke,

Für mich war Euer Express ungemein lehrreich. Mir ist daran endgültig klar geworden, dass auf einem Forum, wo viele Leute sich einmischen, wo Lyrik in Breite abgebildet wird, eine viel schwierigere Aufgabe besteht. Deswegen ist der notorische Hinweis auf die viele schwache Lyrik vielleicht irgendwie verständlich, weil sie unvermeidlich hier und da mit reinrutscht. (Andererseits kommt ein Musikdiskurs auch meist ohne aus, auch wenn es schlechten Punk und schwächere Streichquartette gibt.) Anders als bei einer Zeitung, wo man hinter dem breiten Rücken eines großen Mediums steht, dass gewissermaßen von sich eine Relevanzsetzung bedeutet, wo einem ein Redakteur aus einer großen Menge möglicher Texte, die nicht besprochen werden, genau ein Buch verordnet, rezensiert man mit viel mehr Kontext. Man hat ein voreingeordnetes Buch, dessen Relevanzsetzung man akzeptieren oder zurückweisen kann. Auf Fixpoetry z.B. muss man sozusagen von der Basis hoch für alles allein einstehen. Deswegen vielleicht auch der ständige Eindruck, hier würden die Leute besonders angreifbar sein.
Einerseits ja: die ersten Posts vom Express waren merkwürdige Schnellschüsse, so wirkten sie. Es wurde in den folgenden Posts aber auch das ernste Ringen um den Gegenstand unübersehbar und das hat mir viel Freude gemacht. Und, ja, Breyger hat im Vergleich zu diesem Ringen sich teils eher skeptisch eingelassen. Ich kann mir diese Zurückhaltung, sich ebenso vehement hinein zu geben wie die Rezensenten aber leicht damit erklären, dass es ein ziemlicher Druck sein muss, zwei Kritikern standzuhalten, die seinen Texten gleichermaßen fern (und, was noch schlimmer ist, in manchem auf ähnliche Weise) waren. Wenn eine Gruppe schroff woanders steht, kann einem selbst, gerade, wenn es das erste Buch ist, die Sache leicht wie ein Scherbengericht vorkommen.
Ann Cotten hat in ihrer Kritik an Falkner darauf hingewiesen, dass sich neue Möglichkeiten von Dichtung oft in zuhörenden und lesenden Bekanntenkreisen ergäben und dass die Sehnsucht groß wäre an solche auch aus der Vergangenheit anzuknüpfen. Weil ich zufällig Leipziger bin, stehen mir die Art Gespräche, die Breyger um seine Kunst geführt hat deutlicher vor Augen.
Ich würde es wohl auch als Professionalität betrachten, die Lyrik als ein sehr stark binnendifferenziertes und sehr babilonisches Gebiet anzusehen, wie etwa in der Musik, wo es Punk-, Metall-, Jazz-, "zeitgenössische Musik"- und andere- Szenen gibt. Damit bin ich aber allein, was wahrscheinlich ein soziologisches Problem ist: Bei Strafe des Untergangs muss jemand, der sich als "Lyrikspezialist" in klassischen Medien etablieren möchte, performen, er verstehe von allem gleich viel. (Mir kommt das immer wie eine Respektlosigkeit vor.) Da ist mir Dein Weg der Nahbarkeit aufrichtiger, mindestens sollte das Mühen um Professionalität diese Nahbarkeit nicht zerstören. Nahbarkeit schließt mehr wahrnehmen und dazulernen ja nicht aus, wie für mich auch Ann Cotten oft auf bewunderungswürdige Weise zeigt.