Plädoyer für echte Äquivalenz
Ich bin ermüdet und enttäuscht, will eigentlich nichts mehr sagen, aber es gibt die ersten Verletzten und so sollten sich Diskussionsauslöser und Diskussionsverfolger, Anstrenger und Rücklehner fragen, ob man wirklich so weitermachen will. Elke Engelhardt hat ein deutliches persönliches Résumé gezogen, das in Richtung Rückzug weist. Als Diskutant fühle ich mich dafür mitverantwortlich und entdecke bei mir etwas wie Schuld.
Als ich die wichtige Textpassage von Tristan Marquardts Essay über die nichtadäquate Lyrikkritik in meinen Hauptfocus brachte, war mir bereits klar, daß es Personen geben mußte, die damit gemeint sind. Sie gegen diesen „Angriff“ zu verteidigen, festzustellen, daß die Lyrikrezeption ein absolut subjektives Geschehen ist, bei dem man kein „gültigeres“ Maß festschreiben kann, war mein Grundgedanke, den ich vertreten wollte, als ich mich einmischte. Mir war klar, daß die Aussagen von TM Flurschaden dort anrichten könnten, wo es Näherungsprozesse, offenes Feld, „Nichtspezialistentum“ gab, grob und groß gesagt: wo sich Menschen der Lyrik auf der ihnen eigenen Weise nähern. Dort wollte ich dagegenhalten und klarmachen: es gibt nicht die adäquate Weise über Text zu reden, sondern nur eine dem Individuum adäquate Weise Text zu rezipieren. Was wir erfahren, wen jemand sein „Urteil“ fällt, ist etwas über die Art und Weise, wie seine subjektive Reise durchs Buch, seine Begegnungsstory ausfiel. Mir persönlich ist klar, daß es keine zwei identischen Reisen gibt. Also auch keine Äquivalenz, es sei denn im Respekt füreinander.
Ich möchte mich bei Elke entschuldigen, daß ich diese – meine – Sichtweise hartnäckig nach vorne gebracht habe und Elke womöglich damit immer wieder in die Wunde des Gemeintseins stieß und sie dort zunächst alleine ließ. Das möchte ich jetzt hiermit ändern: auch ich fühlte mich von TMs Analyse gemeint, Elke. Auch ich fühle mich vielen Erscheinungen der neuesten Lyrik nicht gewachsen, obwohl ich mich – wie du - anstrenge und versuche offen genug zu sein keine „ungerechten“ Urteile zu fällen. Auch ich fühle mich von Charlotte Warsens Hinweisen, welche Fluchtbewegungen es in Rezensionen gibt, betroffen und kenne die Taktiken eine prinzipielle Ratlosigkeit oder Sprachlosigkeit verschleiern zu wollen aus eigener Praxis. Ich fühle, ganz aus mir selber raus, eine ähnliche Reaktion wie du. Will sagen, du bist nicht allein - betroffen und getroffen sind wir alle (wenn dieses wir das Bodenpersonal meint).
Und jetzt ist auch der Moment die Speerspitze von Tristan Marquardt zu entschärfen und ihm zur Seite zu springen und um Verständnis für ihn zu werben. Die Art, wie ich seine Argumente präsentierte, implizierte ein bestimmtes Geltungsbedürfnis, in Kombination mit drehbaren Fakten (wie seinem Pseudonym) mußte seine Position so aussehen wie die des unverstandenen Künstlers, dem die Kritik nicht hinterherkommt. Das gibt sein Text auch her.
Was, wenn TM aber eigentlich etwas anderes sagen wollte, auf etwas anderes hinweisen, das sich von „normalen“ Rezeptionsgeschichten unterscheidet – nämlich darauf, daß es den Tisch des Gesprächs bereits gibt. Nachdem ich gestern Abend mich (erstmals) durch die Seiten von G13 geklickt habe, drängt sich mir heute morgen die Sicht auf, daß TM dort in einem kommunikativen Reservat sein Zimmer hat und fruchtbare Auseinandersetzungen mit Texten „gewohnt“ ist, die er in dieser Form von der offiziellen Seite der Kritik nicht bekommt und vielleicht auch nie bekommen wird.
Ich werde seit gestern Abend das Gefühl nicht los, daß TMs Vorstoß doch eher dem Wunsch nach einer anderen Rezeption entspringt, als dem nach einer Attacke, er ist sozusagen mehr von einem positiven Bild geprägt, was sein könnte (weil es das im Halbprivaten schon gibt), als von einem negativen Bild, was ist. Jedenfalls unterstelle ich das jetzt mal - auch um zu sagen, wir sind nicht wirklich gemeint, Elke, wir sind bereits o.k., und vielleicht sogar mutiger als andere, weil wir uns trauen, nicht verhärtet zu sein. Deshalb bin ich entschieden dafür, daß du dich weiter „um die Lyrik kümmerst“ - auch hochoffiziell, in Form von Rezensionen und Beiträgen etc. - du bringst dafür nämlich etwas mit, was dich vor anderen auszeichnet: Unbefangenheit.
Das ist viel wichtiger als List und Raffinesse.
Womit ich beim zweiten Résumé aus den Wochen der Debatte bin: Geheimniskrämerei.
Jeder weiß, das Rätsel der Schönheit ist: ihr Geheimnis (alte Gedichtzeile von mir). Mit dem Rätselhaften kann man attraktiv werden, mit dem Geheimnisvollen anziehend. Aber man kann auch Geheimnisse erzeugen und damit Auras weben.
Z.B. wenn man einen Schreibfehler reklamiert, ihn aber so präsentiert, daß er vom andern nicht als der seine erkannt werden kann. Will sagen: ich (nein, das war nicht ich und auch kein Troll von mir) weiße auf etwas hin und der Gegenüber behauptet, ich hätte das Wort „Nachweiß“ falsch geschrieben. Ich such mich nun dumm und dämlich und finde den „Nachweiß“ nicht. Das kann man Schlitzohrigkeit nennen, ich finde es einfach scheiße. Da wird nicht mit offenen Karten gespielt, aber ein unschuldiges Gesicht gemacht und hinterher kommentiert, der Mann habe noch nicht mal verstanden, daß …
Diesen Reinlegecharakter finde ich nicht nur in diesem Beispiel, sondern auch in viel generellerem Maßstab (was vielleicht nen eigenen trolligen Essay braucht) und bei Yevgeniy Breyger vermute ich ihn auch in seiner Lyrik. So begegnet er der Kritik an einem unverständlichen Bild („batteriebetriebene Toaster“) mit dem versteckten Hinweis, daß er sich das aus dem Gedicht einer Kollegin geborgt und weiterentwickelt hat. Bauff, hier habt ihr die Klärung – obwohl er zuvor versicherte, es gäbe keinen Subtext, es gäbe nichts zu klären, es stehe alles da und so wie es da stehe, sei es der Ort des Geschehens. Hinterher stellt sich raus – es wird was gemeint, es wird was gesubtextet, es gibt verborgene Faktoren. Das könnte man auch unlauter nennen. Fährtenverfälschung.
Und wenn dann die Kritik ihm nicht hinterher kommt, dann ist die Kritik schuld und unfähig. Unfähigkeit, die schon damit beginnt seinen Namen richtig zu schreiben.
Okay, ich habe aus einem y zweimal ein j gemacht, sorry - der Name Yevgeniy ist mir nicht gerade geläufig (und ich war mir sicher ihn früher mit j gesehen zu haben), aber sich aufgrund dessen in die Schmollecke zurückzuziehen: der hat meinen Namen falsch geschrieben, bäh, mit dem rede ich nicht mehr, das ist schon sehr sehr „seltsam“. Dank an dieser Stelle an Daniela, die versucht hat in meinen Beitrag konstruktiv brauchbare Momente zu sehen (die er neben einigen nicht positiven Punkten, die zu Recht kritisiert wurden, siehe TM Pseudonym, zweifellos hatte) – dazu gehört ein anderer Mut und eine andere Souveränität, als z.B. YB aufbringt, den man nicht fassen kann.
Man kriegt ihn nicht, das ist wie Seife und kein Substantieller bückt sich danach. Ich mißtraue ihm als Person. Könnte sein, wenn man sich kennte, es wäre gar kein Problem. Aber gerade das, daß sich scheinbar alle kennen, macht ehrliche Kritik oft schwierig, man schreibt über eine Person und kommt sofort in Konflikt auch mit den Alliierten. Was auf einer kleinen, halböffentlichen Ebene funktioniert, ist so einfach nicht übertragbar auf Kreise, die man mit Zirkel nicht mehr ziehn kann. Auf der anderen Seite, bin ich froh nicht mit Kollegen wie YB verbrüdert sein zu müssen, weil diese absolut keinen Einblick in meine Lebenswirklichkeiten haben - und mit genau diesem Befund könnte ich nun eine mir und meinen Lebenswirklichkeiten gerechtwerdende Lyrikkritik fordern. Und dann sind wir wieder beim Ausgangspunkt der Debatte.
Eine mir gerechtwerdende Lyrikkritik kann z.B. Yevgeniy Breyger wahrscheinlich gar nicht leisten und die Frage, ob er überhaupt fähig wäre, die Art von Kritik zu leisten, die bspw. Tristan Marquardt fordert, sei aufgrund folgenden Zitats, entnommen einem Kommentar YBs zu einem Gedicht von Max Czollek auf der G13 Seite, genau hierhin gestellt:
„also ehrlich gesagt, das gedicht ist mir zu dumm, um es ordentlich abzuhandeln und ich halte es für ersichtlich warum. alles was es will und nicht will ist so offen ersichtlich, dass es nur nervt. und das was es offenlegt ist unfassbar weniger … . ästhetisch gesehen ist es (nur) meiner meinung nach auch absolut kläglich. ich weiß absolut nicht was das soll (bzw, ich weiß absolut was das soll).“
O-Ton Yevgeniy Breyger über ein Gedicht, das Max Czollek zur öffentlichen Begutachtung bei G13 eingestellt hatte. Sehr komisch, daß die studierten Lyriker Gedichte abhandeln können wollen.
Man stelle sich vor, diese Sätze stammten von Elke Engelhardt oder von mir - über Texte von Yevgeniy Breyger. Was im halböffentlichen Raum funktioniert an „ordentlichem Gericht“, wäre im öffentlichen Raum der Grund für neverending Theater!
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Kommentare
recht habe
hauptsache der Kreis der Aussererwählt erfüllt den Raum mit Recht, was
sonst bleibt ihnen übrig
Tristans Text
Von Deiner Seite ist die Klarstellung eventuell wichtig, dass Tristan aus der Erfahrung einer erfolgreichen Praxis spricht. Es ehrt auch Dich und Elke, dass ihr erwägt angesprochen zu sein. Ich gebe Dir recht, dass dieser Eindruck entstehen konnte, was ich aber auch eher der bestenfalls aus dem Wunsch nach Kürze geschuldeten Pauschalität seines Textes anlaste.
Ich kann es aber nach wie vor nur so sehen, dass TMs Text wenig hilfreich ist. Von einer erschreckenden Naivität gegenüber den Mechanismen des Journalismus. Auch der Politikjournalismus ist doch heillos verstrickt mit den Eliten usw. (Das isnd ja noch dei Bereiche, wo besser geprüft wird, bekanntermaßen steht es um den Reisejournalismus noch schlimmer, was heißt das, wenn Rezensionen Reiseberichte sind?)... aus diesem Grund dann die vorhandene Lyrikkritik explizit an Hand eher gelungener Beispiele so pauschal für im Ansatz verdorben zu erklären (an der Grenze zur persönlichen Beleidigung) nein das war höcht ärgerlich, besonders da sich seine Grundargumente (ausweislich der Berichtersatattung) als Mem der Öffentlichkeit am ehesten eingebrannt haben. Es ist ja immer wieder so: Vorurteile kolportieren die Zeitungen immer besonders leicht.
Es wäre besser den vorhandenen Mechanismus besser zu ölen, als fortwährend "Tabula Rasa" zu rufen, oder immer neue Schweine vor die Uhrwerke zu scheuchen.
TM baut auch nicht genug dem Verdacht vor, dass er ein scheinbar neutrales Forum als einen Generator von Status wünscht. (Das hieße dann ja auch: immer zu Ungunsten der Bedeutung von Gesprächen anderswo.)
TM spricht unguter Weise eine pauschale Sprache, die auch die Politik gut versteht. Es gibt immer Apparatschiks, die sich in die Rolle eines unparteilichen Gremiums setzen wollen und mit dieser Rolle Gelder fordern und allzuoft bei mittelprächtiger Arbeit bekommen.
Dass ich Tristans Arbeit auf G13, beim kook Label und in seinen Gedichten ansonsten schätze, des sei er versichert.
Auseinandersetzung oder Ausschließung
Ich beobachte jetzt seit Tagen, wie Frank und Bertram sich sehr kontrovers über Y.B. und seine Gedichte auseinandersetzen. Diese Diskussion ist nicht nur interessant, sondern auch in mehrfacher Hinsicht lehreich für mich. Nicht zuletzt ist mir noch einmal deutlich geworden, dass ich tatsächlich überfordert war und bin mit Gedichten dieser Art. Es ist ja ein Unterschied, ob ich etwas kritisiere, weil es mich nicht anspricht, ich es nicht gelungen finde, oder ob mir das Hintergrundwissen, das Handwerkszeug fehlt. Das ist ein Mangel, den ich nicht widerlegen kann noch will. Daher fühle ich mich angesprochen, aber nicht verletzt. Was mich verletzt ist nicht die Benennung dieses Mangels, sondern wie damit umgegangen wird. Meine Schwierigkeiten konnten in der Diskussion nicht konstruktiv umgesetzt werden, es gab m.M.n. keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe wie sie jetzt zwischen Frank und Bertram stattfindet. Ich habe mir damals, und wünsche mir nach wie vor, vielleicht nicht unbedingt Solidarität, aber Unterstützung. Aus den Fehlern der anderen lernen, Mängel nicht nur benennen, sondern Wege finden, sie gemeinsam anzugehen.
Ich habe keine Expertise, aber ich versuche jedem Wort, jedem Gedicht mit Wahrhaftigkeit zu begegnen. Danach suche ich, und davon versuche ich zu schreiben. Das mag naiv sein und unprofessionell, für mich ist es die einzig lohnende Art zu lesen. Das bedeutet aber nicht, dass meine Besprechungen wertlos sind, sie operieren eben mit anderen Standards, ermöglichen eine andere Perspektive. Und daher stimme ich Dir zu, Frank, wir sind bereits o.k. und keine Verletzte.
Spannend wie ein Krimi
Für mich war Euer Express ungemein lehrreich. Mir ist daran endgültig klar geworden, dass auf einem Forum, wo viele Leute sich einmischen, wo Lyrik in Breite abgebildet wird, eine viel schwierigere Aufgabe besteht. Deswegen ist der notorische Hinweis auf die viele schwache Lyrik vielleicht irgendwie verständlich, weil sie unvermeidlich hier und da mit reinrutscht. (Andererseits kommt ein Musikdiskurs auch meist ohne aus, auch wenn es schlechten Punk und schwächere Streichquartette gibt.) Anders als bei einer Zeitung, wo man hinter dem breiten Rücken eines großen Mediums steht, dass gewissermaßen von sich eine Relevanzsetzung bedeutet, wo einem ein Redakteur aus einer großen Menge möglicher Texte, die nicht besprochen werden, genau ein Buch verordnet, rezensiert man mit viel mehr Kontext. Man hat ein voreingeordnetes Buch, dessen Relevanzsetzung man akzeptieren oder zurückweisen kann. Auf Fixpoetry z.B. muss man sozusagen von der Basis hoch für alles allein einstehen. Deswegen vielleicht auch der ständige Eindruck, hier würden die Leute besonders angreifbar sein.
Einerseits ja: die ersten Posts vom Express waren merkwürdige Schnellschüsse, so wirkten sie. Es wurde in den folgenden Posts aber auch das ernste Ringen um den Gegenstand unübersehbar und das hat mir viel Freude gemacht. Und, ja, Breyger hat im Vergleich zu diesem Ringen sich teils eher skeptisch eingelassen. Ich kann mir diese Zurückhaltung, sich ebenso vehement hinein zu geben wie die Rezensenten aber leicht damit erklären, dass es ein ziemlicher Druck sein muss, zwei Kritikern standzuhalten, die seinen Texten gleichermaßen fern (und, was noch schlimmer ist, in manchem auf ähnliche Weise) waren. Wenn eine Gruppe schroff woanders steht, kann einem selbst, gerade, wenn es das erste Buch ist, die Sache leicht wie ein Scherbengericht vorkommen.
Ann Cotten hat in ihrer Kritik an Falkner darauf hingewiesen, dass sich neue Möglichkeiten von Dichtung oft in zuhörenden und lesenden Bekanntenkreisen ergäben und dass die Sehnsucht groß wäre an solche auch aus der Vergangenheit anzuknüpfen. Weil ich zufällig Leipziger bin, stehen mir die Art Gespräche, die Breyger um seine Kunst geführt hat deutlicher vor Augen.
Ich würde es wohl auch als Professionalität betrachten, die Lyrik als ein sehr stark binnendifferenziertes und sehr babilonisches Gebiet anzusehen, wie etwa in der Musik, wo es Punk-, Metall-, Jazz-, "zeitgenössische Musik"- und andere- Szenen gibt. Damit bin ich aber allein, was wahrscheinlich ein soziologisches Problem ist: Bei Strafe des Untergangs muss jemand, der sich als "Lyrikspezialist" in klassischen Medien etablieren möchte, performen, er verstehe von allem gleich viel. (Mir kommt das immer wie eine Respektlosigkeit vor.) Da ist mir Dein Weg der Nahbarkeit aufrichtiger, mindestens sollte das Mühen um Professionalität diese Nahbarkeit nicht zerstören. Nahbarkeit schließt mehr wahrnehmen und dazulernen ja nicht aus, wie für mich auch Ann Cotten oft auf bewunderungswürdige Weise zeigt.
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