Essay

Schreiben als eine Autobiographie der eigenen Seele

Miral al-Tahawi - eine arabische Schriftstellerin des modernen Ägypten
Hamburg

Miral al Tahawi wurde 1968 in Sharqiya in Ägypten geboren. Während ihrer Studienzeit schloß sich Miral al-Tahawi einer radikalen Muslimischen Bruderschaft an, die sich gegen Unterdrückung, Korruption und fortwährenden Kolonialismus richtete, und veröffentlichte Artikel in deren Zeitschrift Al Liwa Al Islami. Diese wurden später als Sammelband unter dem Titel "Memoiren einer muslimischen Frau" herausgebracht. Miral al-Tahawi trug einen Schleier: "In dieser Epoche war das Tragen eines Schleiers für Frauen wie das Tragen eines Bartes bei den Männern, eine Geste der Revolte gegen die Gesellschaft", sagt Miral al-Tahawi. "Mein Schleier war kein Schleier der Scham oder der Moral, sondern ein Schleier der Herausforderung."

Sie hat dann die islamische Bewegung verlassen, den Schleier abgelegt: "Nach rund sieben Jahren wurde ich aufgeweckt, als ich einen Artikel über die "Erfolge" der verschleierten Frau las. Das hatte nichts mit meinen Idealen zu tun", sagt sie über den Moment, als sie sich von der islamistischen Bewegung zu distanzieren begann. Sie entdeckte den Opportunismus einer Bewegung, die an die Macht kommen wollte: "Die Imame benutzten den Koran, um den Frauen über Demagogie ihre Rechte zu nehmen." Trotzdem bekennt sie heute: "Der Islamismus war eine notwendige Etappe in der Entdeckung der arabischen Welt. Die Reaktion einer großen, unterdrückten und enttäuschten Nation. Ich hatte nicht das Glück, in dieser Epoche zu leben, das ist alles. Ich habe acht Jahre meines Lebens vergeudet. Jetzt möchte ich den Versprechungen ausweichen. Ich möchte leben, und schreiben."

Die zwei Mädchen in ihrem Roman "Das Zelt" sieht Miral al Tahawi als die zwei Pole ihrer Generation: die eine, linkisch, gewitzt und etwas schizophren, und die andere, eine verschleierte "Aubergine", die die Leere in ihrem Leben mit der Religion füllt. Das Schreiben sieht Miral al-Tahawi als Schlüsselerlebnis in ihrem Leben: "Als ich meine erste Erzählung, "Das Zelt", zu schreiben begann, entdeckte ich, daß die Muslimische Bruderschaft stagnierte, und ich stellte Fragen über diese Bewegung und ihre Ideologie. Ich entdeckte, daß sie sich auf der Unterdrückung physischer Wünsche gründete und auf dem Nichtzulassen von Gefühlen. Mit dem "Zelt" fand ich meine eigene Welt. Ich verließ die Bruderschaft."

In ihrem Roman "Das Zelt" läßt Miral al-Tahawi schließlich ihre Heldin Fatima eine Balance zwischen den zwei Welten finden - der Welt der Beduinen ihrer eigenen Herkunft und der Welt außerhalb ihres abgeschlossenen Hofes, der Welt der ausländischen Frau, die ihr das Überleben ermöglicht, nachdem sie nach einem Absturz vom Baum ein Bein verliert. Diese Fatima lebt äußerlich in einer Welt der Unterdrückung: durch die gewalttätige Großmutter, durch den meistens abwesenden Vater, durch eine Welt, die ihre Mutter bestraft, weil sie keine männlichen Kinder gebärt, die kleinen Mädchen, die alle wegverheiratet werden, in der traditionellen Weise an einen Cousin. "Aber Fatima hat ein zweifelndes Gewissen, das es ihr unmöglich macht, zu wählen zwischen der alten, unterdrückenden Welt der Beduinen und dem Leben mit Anne, bei der sie sich ohne eine eigene Identität wiederfindet", sagt Miral al-Tahawi. Überwältigt von dem Wunsch nach Rebellion und, zugleich, dem Bewußtsein, daß dies unmöglich sein wird, kehrt Fatima zurück, um mit ihrer alten Kinderfrau für den Rest ihres Lebens allein zu leben und zu Geistern zu reden.
"Ich lebe nicht das Leben der Fatima", insistiert Miral al-Tahawi, "aber ich hörte in meinem Leben viele solche Sagen und Legenden, wie sie sich Fatima ausdenkt, und ich sah es als meine Aufgabe an, über diese zu schreiben, ohne ihren Reichtum zu mindern."

Literarisch kann Miral al-Tahawi bereits auf Erfolge zurückblicken: Nach ihrer Bachelor-Graduierung im Jahr 1991 in arabischen Sprachstudien an der Zagazig Universität erschien 1995 ihre erste Geschichtensammlung unter dem Titel "Die außergewöhnliche Steppenantilope" bei der General Egytptian Book Organzation. 1996 wurde bei Sharqiyat ihr Roman "Das Zelt" veröffentlicht, Übersetzungen folgten ins Englische (1997), Spanische (1999) und ins Deutsche (2001), weitere Übersetzungen ins Französische, Italienische und Griechische folgen. 1998 erschien in Ägypten ihr zweiter Roman "Die blaue Aubergine" für den sie mit dem staatlichen Förderpreis ausgezeichnet wurde und der im Frühjahr 2002 in deutscher Übersetzung veröffentlicht wird - ein Roman, in dem die Entwicklung eines Mädchens in Momentaufnahmen im Ägypten unserer Zeit dargestellt wird.

Bricht Miral al-Tahawi mit den Konventionen ihrer Gesellschaft? Führt sie das Leben ihrer Romanheldin Fatima weiter, indem sie, selbst aus einem Haushalt einer landbesitzenden Familie stammend, die Gedankenwelt der Fatima selbst lebt? In ihrem kurzen Roman, der reich an Bildern und emotioneller Kraft ist, zeichnet die Autorin ein lebendiges und farbenfrohes Porträt der Frauen und ihres Lebens, und letztlich sprechen aus Fatimas Träumen friedvolle und mystische Momente, derem Kraft auch der Autorin das Aushalten der Spannung des Lebens in der Gesellschaft ihrer Umgebung möglich macht.
Voyeuristische westliche Späher in das Innere des Beduinenlebens suchen vergebens Einblicke. "Schreiben als eine Autobiographie der Seele", sagt Miral al-Tahawi selbst. "Es dauerte lange, bis ich erkannte, daß das Schreiben mir den Frieden gab, Fragen zu stellen, meine Ängste auszudrücken und mit anderen den Prozeß des Verstehens und die Betrachtung meiner Seele und ihrer vielen Wunden zu teilen."

Miral al-Tahawi lebt meistens zurückgezogen in dem kleinen Dorf El Hesaniya, fünf Stunden Autofahrt im Norden von Kairo. Beduinen sind als Nomaden bekannt für ihre Isolation von dem Rest der ägyptischen Gesellschaft. "Es ist wahr, wir bleiben Beduinen", sagt Miral al-Tahawi, "aber Beduinen ohne die Vorteile des Öls. Ein Wüstenvolk, das die Ägypter als "Araber" bezeichnen und das den großen Rebellenführer Ägyptens des 19. Jahrhunderts gegen die Briten, Mohammed Orabi, verraten hat."

Was sind die neuen Themen der Autorin? Nach dem Erfolg des Romans "Das Zelt" will sie weiter in einem "metaphorischen Zelt" leben und über einen anderen Aspekt ihres Lebens sprechen, zum Beispiel über ihren Wunsch nach politischen Änderungen während ihrer Jahre als Studentin an der Universität, als sie in Demonstrationen mitlief und "Islam! Islam! Weder Westen noch Osten!" schrie. Sie wählte eine neue Heldin, die "blaue Aubergine", und beschrieb drei Stationen in ihrem Leben. Das Buch wurde in Ägypten als schockierendes Werk aufgenommen, insbesondere wegen seiner geistlichen und intimen Bekenntnisse, die von vielen als unakzeptabel aufgefaßt wurden. Andere sehen in diesem Roman eine Kritik sowohl der Linken als auch der religiösen Rechten und wiesen die Botschaft des Buches nach dem Ende aller Ideologien zurück. "Das Buch ist meine Antwort: jeden zu verurteilen, auch mich selbst, weil die Generation, zu der ich gehöre, für eine leere Rhetorik kämpfte und am Ende entdecken mußte, daß dies zu nichts als wiederkehrenden Niederlagen führt. Es war eine schmerzvolle Erfahrung, dieses Buch zu schreiben. Ich versuchte, eine Autobiographie meiner Seele und der Schmerzen und Nöte von Millionen von Frauen zu schreiben. Alle meine Heldinnen leben in diesen geschlossenen Zirkeln der Unterdrückung: meine Mutter, meine Großmutter, alle Heldinnen, die ich in meinem zweiten Roman beschreibe. Ich schreibe über diese Erinnerungen, weil das Schreiben mir erlaubt, mir meine eigene Realität mit einigem Niveau an Frieden und Gerechtigkeit wie auch Selbsterfüllung zuzulassen."
 

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