Interview

„Es gibt keinen moderneren Dichter als Hafis“

Ali Abdollahi & Gerrit Wustmann im Gespräch

Zur Teheraner Buchmesse im Mai 2016 erschien bei Koolehposhti Publication Teheran die von Ali Abdollahi edierte Sammlung „Die Ego-Perspektive. Gespräche mit Autoren und Dichtern“ auf Persisch. Für das Buch führte er im Laufe der letzten Jahre zahlreiche Gespräche, u.a. mit Günter Grass, Seyyed Ali Salehi, Shams Langrudi und vielen weiteren. Der folgende Dialog entstammt dem Band, entstand Ende 2014 und wurde leicht gekürzt und aktualisiert.

 

 

Abdollahi: Warum und wann hast Du begonnen, Lyrik zu schreiben?

Wustmann: Ich war literarisch immer vielseitig interessiert. Bis heute lese ich sowohl die Klassiker der deutschen Lyrik gerne als auch Dichter des 20. Jahrhunderts. Wichtige Einflüsse sind sicher Rolf Dieter Brinkmann, Jörg Fauser, Thomas Kling, aber auch Erich Kästner oder der in Deutschland längst vergessene Norbert Hinterberger. Später kam dann die persische und türkische Lyrik hinzu, deren Bilderwelt und gänzlich andere inhaltliche und formale Ansätze mich begeistert haben und in meine eigene Arbeit einflossen. Ich hatte als junger Dichter das Glück, in Axel Kutsch einen Unterstützer gefunden zu haben, der mich auch in Phasen des Zweifels ermutigte, weiterzumachen.

Abdollahi: Folgst Du den Trends der deutschen Lyrik? Und welche deutschen Lyriker liest Du besonders gerne?

Wustmann: Ich versuche eigentlich, immer im Auge zu behalten, was in der globalen Lyrikszene geschieht. Ich lese regelmäßig Anthologien wie die von Axel Kutsch herausgegebene „Versnetze“-Reihe, die jährlich einen guten und unvoreingenommenen Überblick über die deutsche Gegenwartslyrik liefert. Und natürlich lese ich immer viel von den teils sehr geschätzten Kollegen, momentan vor allem Sina Klein, Christoph Danne oder Dominik Dombrowski, um nur ein paar zu nennen. Und Thomas Brasch entdecke ich gerade wieder. In erster Linie aber behalte ich die iranische und türkische Lyrik im Blick – leider wird nur wenig ins Deutsche übersetzt und meine Sprachkenntnisse sind zu gering, um intensiv Bücher im Original zu lesen. Ich bin daher immer froh, wenn ein Herausgeber oder Übersetzer sich an die meist undankbare Aufgabe begibt, Gedichte aus einem anderen Sprach- und Kulturkreis zu sammeln und den deutschen Lesern zur Verfügung zu stellen.

Abdollahi: Kannst Du dem iranischen Publikum eine konkrete Vorstellung der aktuellen deutschen Lyrik Deiner Generation geben? Und welche Themen bewegen die jungen deutschen Dichter?

Wustmann: Interessanterweise mache ich bei Lesungen, zu denen meist auch viele Iraner kommen, immer wieder die Erfahrung, dass in Iran und Deutschland ähnliche Diskussionen über die junge Lyrik geführt werden: Immer heißt es, was die jungen Dichter schreiben, sei schwierig, zu komplex, zu abstrakt, nur Wortspielerei ohne richtigen Inhalt. Aber diese Debatten hat es immer gegeben, man denke nur an die Zeit, in der Nima in Iran die traditionellen poetischen Formen aufgebrochen und Gedichte ohne Reim und in Alltagsparlando verfasst hat. Das war skandalös. Und doch folgten ihm bald viele seiner Generation, und es kam zu einer lange überfälligen Erneuerung der lyrischen Sprache und Inhalte. In Deutschland haben solche Entwicklungen öfter und schon weit früher stattgefunden und die Epochen gingen fließend ineinander über. Man kann das als Abgrenzung verstehen, aber auch anders – als ein Ausloten der Möglichkeiten, als ein Experimentieren mit Sprache, wofür sich keine Form besser eignet als das Gedicht. Und es ist ja auch immer eine Frage der Perspektive: Auch heute schreiben junge Lyriker in beiden Ländern noch lebensnahe Gedichte, Liebesgedichte, humoristische Gedichte, während sie zugleich der Sprache auf den Zahn fühlen, sie an Grenzen treiben. Und natürlich kommt das an Punkte, wo große Teile des Publikums ausgeschlossen werden. Das kann man beklagen, man kann es aber auch lassen und sich an der Vielfalt erfreuen. Lyrik war immer ein Nischenprodukt, in Deutschland zumindest, aber die Vielfalt war selten so groß wie heute. In letzter Zeit lese ich Gedichte von ganz jungen DichterInnen, noch unter zwanzig Jahre alt, und ich sehe da eine Generation heranwachsen, die die meine in die Tasche stecken wird. Es bleibt spannend – und darum geht es doch irgendwie auch. Zuletzt wurde in den hiesigen Feuilletons beklagt – allerdings festgemacht an der Romanprosa -, es gäbe zu wenig Literatur „von unten“, zu wenig Literatur, die sich mit sozialen Problemen beschäftigt. Das fand ich albern. Man kann nicht eine bestimmte Form von Literatur erzwingen. Literatur sucht sich ihre Wege und ist immer auch ein Spiegel ihrer Zeit. Zum einen gibt es diese Literatur von unten durchaus. Man muss nur bereit sein sie zu suchen, anstatt in den Feuilletons ihre Abwesenheit zu beklagen. Andererseits kann man die Flucht in sprachliche Abstraktion durchaus auch als einen Ausdruck von Unsicherheit verstehen – die Dichter leben in sozialen Kontexten, die sie mitunter überfordern, also versuchen sie, die ohnehin schwierige Auseinandersetzung damit in ihrer Arbeit zu umschiffen...

Abdollahi: Du hast einen deutsch-persischen und drei deutsch-türkische Lyrikbände veröffentlicht. Was interessiert Dich so sehr an der orientalischen und insbesondere der persischen Lyrik? Es gibt da ja eine lange Tradition des Austauschs, man nehme nur Goethe oder Fleming als Beispiel... Auch Nietzsche und Rilke haben sich damit beschäftigt, und nun hast Du diese Thematik für Dein Buch „grüngewandet“ gewählt. Wie kam es dazu, und wie siehst Du diese Tradition?

Wustmann: Und alle von Dir erwähnten Schriftsteller sowie einige weitere werden in Iran viel gelesen, iranische Dichter flechten immer wieder Anspielungen auf sie in ihre Werke ein. Sadegh Hedayat hat in seinem wegweisenden Roman „Die blinde Eule“ sogar ganze Passagen von Rilke übernommen. Ich wünsche mir oft, diese Tradition wäre nicht so einseitig, wünsche mir, auch deutsche Dichter heute würden sich mehr mit der iranischen Literatur befassen, aber das ist leider so selten wie hohe Lyrik-Auflagen.

Mich interessiert, wie sicher auch Goethe, Rilke, Fleming und Co, die Formen- und Bildsprache, der ganz eigene Sound persischer Dichtung, die unglaublich starken und vielschichtigen Natursymbole, die emotionale Kraft, die in vielem steckt; mich interessieren die Klassiker wie Hafis, Saadi, Rumi, Nizami, die zeitlose Meisterwerke der Weltliteratur geschaffen haben. Zeige mir einen Dichter, der moderner ist als Hafis … es gibt keinen. Aber vom literarischen Genuss mal abgesehen finde ich, dass der interkulturelle Austausch heute wichtiger ist denn je. Wir leben in einer Zeit der Spaltung, in einer Zeit der herbeigeredeten Kulturkämpfe, besonders in Deutschland kocht das gerade wieder auf sehr unangenehme Weise hoch, getrieben von Menschen, die „das Andere“ bloß vom Hörensagen kennen, woraus Angst und Ablehnung resultieren. Die Literatur war schon immer das Medium, das zuerst den Blick über den Tellerrand wagte und Grenzen niederriss, seien es nun kulturelle, geografische oder nationale Grenzen.

Dass ich mich damit früher oder später auch in meiner eigenen Arbeit als Dichter auseinandersetzen würde, war lange klar. Die ersten Skizzen zu „grüngewandet“ sind über zehn Jahre alt. Aber das Projekt brauchte Zeit, um sich zu entwickeln und zu reifen. Ich wollte nicht in der bloßen Nachahmung enden, sondern all das, was ich über Jahre aus der persischen Literatur aufgesogen hatte, in meine eigene Sprache fassen, in neue Kontexte und Perspektiven setzen, dabei aber diesen typisch persischen Sound, den ich so liebe, beibehalten. Und natürlich besteht auch der Hintergedanke, über diesen Umweg mehr deutsche Leser für das Persische zu begeistern oder sie vielleicht überhaupt erst darauf aufmerksam zu machen.

Abdollahi: Mit Deiner Anthologie „Hier ist Iran“, die 2011 erschienen ist, hast Du erstmals versucht, ein möglichst umfassendes Portrait der iranischen Lyriker in Deutschland zu liefern. Wie ist das Buch in Deutschland angekommen?

Wustmann: Von „ankommen“ kann leider nicht die Rede sein. In den vier Jahren seit das Buch erschienen ist, wurde es kaum 200mal verkauft. So traurig das auch ist, aber es interessiert in Deutschland fast niemanden. Einige Universitäten haben das Buch in ihre Bibliotheken aufgenommen, und ich habe mich sehr über einige E-Mails von Orientalistik-Studenten und Doktoranden gefreut, die sagten, das Buch schließe endlich eine Lücke. Es wird also vor allem von Wissenschaftlern wahrgenommen. Auf Lesungen gab es sehr positives Feedback, allerdings kaum von Deutschen, sondern in erster Linie von Iranern. Lyrik ist eine winzige Nische, iranische Lyrik hat kaum eine Chance. In den Medien ist das Buch gar nicht angekommen.

Abdollahi: Liest man in Deutschland heute noch Lyrik im Gegensatz zur Prosa? Und welche Dichter werden am meisten gelesen?

Wustmann: Nein, es wird in Deutschland kaum Lyrik gelesen, obwohl sehr viel Lyrik gedruckt wird. Meist bewegen sich die Auflagen im kleinen bis mittleren dreistelligen Bereich. Ausreißer nach oben sind vor allem eine Handvoll Autoren, die regelmäßig Literaturpreise erhalten und dadurch in den Feuilletons präsent sind. Da können es dann auch mal ein paar tausend Bücher sein, die verkauft werden. Ob sie auch gelesen werden ist freilich eine andere Frage... Aber wie schon zuvor gesagt: Es war nie wirklich anders. Der anspruchsvollen Romanliteratur geht es aber auch nicht viel besser. Die Auflagen sinken beständig. Was gekauft und gelesen wird, ist einfache Unterhaltung. Fantasy, Krimis, sowas.

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