Die Hunde wurden immer lauter

Interview

Im Gespräch:
Leonardo Padura und Thomas Hummitzsch
 

Interview

Die Hunde wurden immer lauter - Thomas Hummitzsch im Gespräch mit Leonardo Padura

TH: Herr Padura, Sie erzählen in ihrem neuen Roman "Der Mann, der Hunde liebte" die Geschichte des Attentats auf Leo Trotzki durch den spanischen Kommunisten Ramon Mercader aus drei verschiedenen Perspektiven. Zum einen entfalten Sie vor dem Leser das Leben Leo Trotzkis im Exil, zum zweiten zeigen Sie Ramon Mercaders Weg zum Attentat und zum dritten erfinden Sie den Erzähler, Ivan Maturell, der Mercader an dessen Lebensende begegnet und für den Leser die beiden Geschichten aufgezeichnet hat. Welche Perspektive fanden Sie am spannendsten.

LP: Die größte Offenbarung und die interessanteste Linie war zweifellos das Leben von Mercader. Denn es ist kaum etwas von ihm bekannt. Ich musste eine Geschichte, ein Leben, eine Persönlichkeit um ihn herum erfinden. Ausgehend von dem wenigen, was man von Ramon Mercader wusste, bestand die große Herausforderung darin, eine Idee davon zu bekommen, wie diese Figur aussehen sollte, wie Sie gedacht hat, worin ihre Zweifel und Vorbehalte bestehen konnten? Ich musste also ein Gebäude errichten, hatte aber nur sehr wenig Steine. Bei Trotzki ist das ganz anders. Jede Minute seines Lebens ist aufgezeichnet, sein Denken und seine Gedankenwelt hatte er Zeit seines Lebens selbst protokolliert. Hier musste ich also wenig erfinden. Und Ivan lebt in der Zeit, in der ich auch lebe, ein Mann wie Du und ich. Mercader aber ist eine vollkommen einzigartige Persönlichkeit. Ich musste manchmal Ereignisse einfügen, von denen niemand sicher weiß, ob sie wirklich stattgefunden haben oder nicht. Gleiches gilt für seine Gedankenwelt, von der mir keiner sagen kann, ob die Gedanken, die ich ihm zuschreibe, seine waren oder nicht. Im Ganzen glaube ich, ist mir ein ziemlich genaues Abbild von Mercaders Leben gelungen. Ich sage ohne falsche Eitelkeit, dass ich zwischendurch sicher mehr über sein Leben gewusst habe, als er selbst.

TH: Trotzkis Leben ist bis ins Detail dokumentiert, Ivan als Erzähler komplett erfunden. Von dem Leben des Ramon Mercader, einem spanischen Kommunisten, der im stalinistischen Russland für das Attentat auf Leo Trotzki ausgebildet wird, weiß man fast nichts. Wie sind Sie genau vorgegangen, um ein Leben zu rekonstruieren, von dem man so gut wie nichts weiß, weil es immer geheim bleiben musste?

LP: Ich habe alle Information zu Mercader aufgetrieben, die es gibt. Darunter existiert wenig Schriftliches. Es gibt praktisch nur ein Buch, das sich mit seinem Leben beschäftigt und einigermaßen informativ ist. Aber man muss bei diesem Buch sehr vorsichtig sein, denn der Autor dieses Buches ist Ramon Mercaders Bruder Luis und damit sehr voreingenommen. Außerdem habe ich Filme gesehen, z.B. den Film "Das Mädchen und der Mörder - Die Ermordung Trotzkis" von Joseph Losey. Besonders wichtig war auch der Dokumentarfilm "Asaltar los cielos" (dt. Den Himmel stürmen) der zwei spanischen Journalisten Javier Rioyo und José Luis López-Linares, die die historisch letzte Möglichkeit hatten, die Personen zu interviewen, die Mercader gekannt haben. Und die dritte Quelle waren mündliche Überlieferungen. Zwar wollten diejenigen, die am meisten über Mercader wussten, nicht mit mir sprechen. Ich habe aber auch mit Leuten gesprochen, die häufig bei ihm zuhause waren, aber gar nicht wussten, dass das dieser Ramon Mercader war. Die Freunde von seinen Kindern dachten zum Beispiel, dass dieser Mann der Spanier Jaime Lopez sei. Ich habe auch mit seinem Arzt gesprochen und auch dieser dachte, sein Patient heiße Jaime Lopez. Und einige Leute, die tatsächlich wussten, dass es sich um diesen Ramon Mercader handelte, haben mir mal sehr wichtige Dinge erzählt und dann wieder Sachen, die völlig unbedeutend waren. Seltsamerweise haben die, die nicht wussten, dass es sich um Ramon Mercader handelte, oft das Interessanteste aus seinem Leben erzählt. Zum Beispiel, wie er mit seinen jungen Hunden umgegangen ist - ein für den Roman sehr wichtiges Element.

TH: Welche Rolle spielen die Hunde, die überall in dem Roman auftauchen. Ob Trotzki, Mercader oder Ivan - sie alle haben Hunde und lieben sie.

LP: Die Hunde bringen den menschlichen Aspekt in die Geschichte. Wer Hunde liebt, kann nicht unmenschlich sein. Bei dem kubanischen Erzähler Ivan und seiner Frau Anna ist die Beziehung zu den Hunden gewöhnlich, denn sie sind zwei völlig normale Figuren. Bei Trotzki ist das etwas anderes. Als er ins Exil geschickt wurde, war es ihm wichtig, seinen Hund mitzunehmen. Der Hund hat ihn in den Jahren in der Türkei begleitet, starb jedoch, bevor er nach Frankreich ging. Seine Liebe zu den Hunden blieb. In Frankreich kümmerte er sich um die Hunde auf der Straße. Und später in Mexiko hatte Trotzki ebenfalls Hunde. Durch die Beziehung zu den Hunden hat Trotzki versucht, sich von der Obsession, Tag und Nacht Politik machen zu müssen, zu befreien. Der menschlichste Zug im Wesen Trotzkis war seine Beziehung zu den Hunden. Es ist auch belegt, dass Ramon Mercader als Kind in Barcelona Hunde hatte. Sein Bruder Luiz bestätigte mir, dass Ramon seiner Mutter Carrida nie verziehen habe, dass er seine Hunde verlassen musste. Und als er aus Moskau nach Kuba ging, hatte er seine Hunde mitgenommen. Und über diese Hunde ist es mir gelungen, diese Geschichte zu konstruieren. Denn die Tatsache, dass Ramon Mercader in Kuba Hunde besaß, die dort sehr selten sind, hat mir den Einstieg ermöglicht, dass er einen Kubaner trifft, mit dem er sich anfangs über diese Hunde unterhält und dem er schließlich seine Lebensgeschichte erzählt.

Es gibt eine kleine, interessante Geschichte dazu. Von Mercaders physischer Präsenz in Kuba habe ich nur fünf, sechs Fotografien gesehen. Die Hunde hingegen haben in dem kubanischen Film "Die Überlebenden" von Tomás Gutiérrez Alea mitgespielt. Alea ging durch sein Viertel und sah Mecader mit seinen Hunden. Er brauchte für den Film zwei sehr elegante Hunde. Ich weiß nicht, wie er Mercader davon überzeugen konnte, die Hunde in dem Film mitspielen zu lassen, aber sie taten es. Der Film ist einer der wenigen Beweise für Mercaders Anwesenheit in Kuba.

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