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Interview
Die Hunde wurden immer lauter - Thomas Hummitzsch im Gespräch mit Leonardo Padura
TH: Selbst in der Sprache der Revolutionäre tauchen die Hunde metaphorisch immer wieder auf.
LP: Hier passiert etwas ganz anderes. Ich glaube, dass vor der Niederschrift der Bibel der Hund mit den Dämonen und dem Schlechten der Welt in Verbindung gebracht wurde. Daher greift die Sprache der Revolution oft auf den Begriff des Hundes zurück, etwa bei Wendungen wie "Du verräterischer Hund!". Übrigens griffen die Revolutionäre zum Fluchen öfter auf den Hund zurück als bspw. auf den Priester, der in der revolutionären Sprache ebenfalls gern als Schimpfwort benutzt wird.
TH: Apropos Priester. Im Roman wird oft die atheistische Haltung der Figuren betont. Verwenden Sie den Atheismus als Charakterisierung des kommunistischen Systems oder der Personen?
LP: Es ist beides. Der Marxismus verneint alles, was Nichts mit der materiellen Existenz zu tun hat. Deswegen kann es keinen gottgläubigen Kommunisten geben, gleichwohl Kommunisten durchaus eine Neigung haben, neue Götter zu schaffen - etwa Stalin, Mao, Fidel Castro. Bei den Personen in diesem Roman steht das Fehlen eines Glaubens aber auch für das Fehlen einer Lebensperspektive. Das hat nichts mit religiöser Philosophie zu tun, sondern mit der Lebenssituation, in der sie sich wieder finden: Mercader muss sich in eine Person der Finsternis verwandeln, dessen Mission es ist, zu gehorchen. Trotzki ist ein Berufsrevolutionär, dessen Auftrag darin besteht, die Revolution zu führen. Trotzki wurde aber Revolutionär, weil er das wollte und auch Mercader hatte sich für seinen Weg als Mörder entschieden.
TH: Ist Mercader eine Metapher auf den modernen Fundamentalisten?
LP: Wäre er noch am Leben, wäre Mercader - mehr als eine Metapher - ein lebendes Beispiel für den modernen Fundamentalisten. Er handelt genauso wie ein Fundamentalist. Wie ein Selbstmordattentäter, der in den Supermarkt geht und sich dort in die Luft sprengt, geht Mercader in Trotzkis Haus, wohl wissend, dass er da nicht mehr lebend rauskommt. Das Dramatische und Tragische daran ist, das Trotzki selbst ihm das Leben rettet, indem er seine Leibwächter auffordert, seinen Mörder nicht zu töten, damit er sich für seine Tat rechtfertigen muss.
TH: Dennoch hat Mercader bis zum Schluss Zweifel. Seine Geschichte ist letztendlich auch die Geschichte einer Suche nach Anerkennung.
LP: Das ist richtig. Bis zum Schluss war er der Überzeugung, dass er eine revolutionäre Mission zu erfüllen hat. Die kommunistische Struktur bedingt absoluten Gehorsam und Mercader hat den übergeordneten Kommunisten zu gehorchen. Dabei hat er, denke ich, ebenso Zweifel gehabt, wie Fundamentalisten heute auch ihre Zweifel haben. Denn als ein in einer christlichen Umgebung aufgewachsener atheistischer Kubaner glaube ich nicht, dass irgendeine Religion oder Ideologie jemanden dazu bringen kann, die Sache wichtiger zu nehmen als sein Leben. In diesem Sinne bin ich mit den Christen einer Meinung, denn ich denke, das Leben ist dem Menschen heilig.
TH: Lassen Sie uns über die Konstruktion des Romans sprechen. Mich hat "Der Mann, der Hunde liebte" in weiten Teilen an "Kaltblütig" von Truman Capote erinnert. Der Leser weiß, wie in "Kaltblütig" auch, von Anfang an, wer Opfer und wer Täter ist. Damit nicht genug, tritt der gleiche Effekt wie in Capote's Kriminalreportage ein: der Täter Ramon Mercader ist dem Leser geradezu sympathisch.
LP: Ich habe an diese Parallele nicht gedacht, aber sie ist sehr gut möglich. Ich glaube, wenn man sich zu sehr an einen Mörder annähert, dann beginnt man, Menschlichkeit bzw. menschliche Züge zu entdecken. Bei Mercader aber kommt noch etwas hinzu. Man merkt im Laufe der Geschichte, dass er nicht nur der Henker, sondern auch das Opfer war. Deswegen fängt Ivan - und mit ihm der Leser - an, Mitleid mit ihm zu haben. Aber am Ende des Romans fällt Daniel, ein Freund Ivans, das abschließende Urteil, indem er sagt: Vergiss nie, dass dieser Mann kein Mitleid verdient, denn er war einer von den Typen, die Stalin geholfen haben, 20 Millionen Menschen zu ermorden.
TH: Der Roman ist auch ein Abgesang auf den Kommunismus, auf ein System, das auf die Vernichtung des Individuums zugunsten der Masse aufbaut. Wie kommt ein solcher Roman in ihrer Heimat Kuba an?
LP: Die Rezeption des Romans erfolgte in Kuba in zwei Phasen. Mehr Menschen, als ich dachte, hatten sich vor Erscheinen der kubanischen Ausgabe die spanische besorgt, weil sie wussten, dass dieser Roman existierte und sie sehr interessiert waren. Erst später wurde das Buch in Kuba in einer Auflage von 4.000 Exemplaren verlegt, so dass inzwischen auch viele weniger informierte Kubaner das Buch lesen können. Die meisten Menschen, die mit mir über den Roman sprachen, haben mir gedankt, weil ihnen die Geschichte eine Welt eröffnete, die sie bisher nicht kannten - die von Trotzki und die von Mercader. Was den kubanischen Lesern am meisten von dieser Geschichte in Erinnerung bleibt, ist die Selbsterkenntnis der eigenen Angst beim Lesen - obgleich der Kommunismus auf Kuba die Exzesse stalin'scher Ausprägung nicht kannte. Die Methoden aber waren die gleichen - und eine dieser Methoden besteht darin, den Menschen Angst einzuflößen.
LP: Hier passiert etwas ganz anderes. Ich glaube, dass vor der Niederschrift der Bibel der Hund mit den Dämonen und dem Schlechten der Welt in Verbindung gebracht wurde. Daher greift die Sprache der Revolution oft auf den Begriff des Hundes zurück, etwa bei Wendungen wie "Du verräterischer Hund!". Übrigens griffen die Revolutionäre zum Fluchen öfter auf den Hund zurück als bspw. auf den Priester, der in der revolutionären Sprache ebenfalls gern als Schimpfwort benutzt wird.
TH: Apropos Priester. Im Roman wird oft die atheistische Haltung der Figuren betont. Verwenden Sie den Atheismus als Charakterisierung des kommunistischen Systems oder der Personen?
LP: Es ist beides. Der Marxismus verneint alles, was Nichts mit der materiellen Existenz zu tun hat. Deswegen kann es keinen gottgläubigen Kommunisten geben, gleichwohl Kommunisten durchaus eine Neigung haben, neue Götter zu schaffen - etwa Stalin, Mao, Fidel Castro. Bei den Personen in diesem Roman steht das Fehlen eines Glaubens aber auch für das Fehlen einer Lebensperspektive. Das hat nichts mit religiöser Philosophie zu tun, sondern mit der Lebenssituation, in der sie sich wieder finden: Mercader muss sich in eine Person der Finsternis verwandeln, dessen Mission es ist, zu gehorchen. Trotzki ist ein Berufsrevolutionär, dessen Auftrag darin besteht, die Revolution zu führen. Trotzki wurde aber Revolutionär, weil er das wollte und auch Mercader hatte sich für seinen Weg als Mörder entschieden.
TH: Ist Mercader eine Metapher auf den modernen Fundamentalisten?
LP: Wäre er noch am Leben, wäre Mercader - mehr als eine Metapher - ein lebendes Beispiel für den modernen Fundamentalisten. Er handelt genauso wie ein Fundamentalist. Wie ein Selbstmordattentäter, der in den Supermarkt geht und sich dort in die Luft sprengt, geht Mercader in Trotzkis Haus, wohl wissend, dass er da nicht mehr lebend rauskommt. Das Dramatische und Tragische daran ist, das Trotzki selbst ihm das Leben rettet, indem er seine Leibwächter auffordert, seinen Mörder nicht zu töten, damit er sich für seine Tat rechtfertigen muss.
TH: Dennoch hat Mercader bis zum Schluss Zweifel. Seine Geschichte ist letztendlich auch die Geschichte einer Suche nach Anerkennung.
LP: Das ist richtig. Bis zum Schluss war er der Überzeugung, dass er eine revolutionäre Mission zu erfüllen hat. Die kommunistische Struktur bedingt absoluten Gehorsam und Mercader hat den übergeordneten Kommunisten zu gehorchen. Dabei hat er, denke ich, ebenso Zweifel gehabt, wie Fundamentalisten heute auch ihre Zweifel haben. Denn als ein in einer christlichen Umgebung aufgewachsener atheistischer Kubaner glaube ich nicht, dass irgendeine Religion oder Ideologie jemanden dazu bringen kann, die Sache wichtiger zu nehmen als sein Leben. In diesem Sinne bin ich mit den Christen einer Meinung, denn ich denke, das Leben ist dem Menschen heilig.
TH: Lassen Sie uns über die Konstruktion des Romans sprechen. Mich hat "Der Mann, der Hunde liebte" in weiten Teilen an "Kaltblütig" von Truman Capote erinnert. Der Leser weiß, wie in "Kaltblütig" auch, von Anfang an, wer Opfer und wer Täter ist. Damit nicht genug, tritt der gleiche Effekt wie in Capote's Kriminalreportage ein: der Täter Ramon Mercader ist dem Leser geradezu sympathisch.
LP: Ich habe an diese Parallele nicht gedacht, aber sie ist sehr gut möglich. Ich glaube, wenn man sich zu sehr an einen Mörder annähert, dann beginnt man, Menschlichkeit bzw. menschliche Züge zu entdecken. Bei Mercader aber kommt noch etwas hinzu. Man merkt im Laufe der Geschichte, dass er nicht nur der Henker, sondern auch das Opfer war. Deswegen fängt Ivan - und mit ihm der Leser - an, Mitleid mit ihm zu haben. Aber am Ende des Romans fällt Daniel, ein Freund Ivans, das abschließende Urteil, indem er sagt: Vergiss nie, dass dieser Mann kein Mitleid verdient, denn er war einer von den Typen, die Stalin geholfen haben, 20 Millionen Menschen zu ermorden.
TH: Der Roman ist auch ein Abgesang auf den Kommunismus, auf ein System, das auf die Vernichtung des Individuums zugunsten der Masse aufbaut. Wie kommt ein solcher Roman in ihrer Heimat Kuba an?
LP: Die Rezeption des Romans erfolgte in Kuba in zwei Phasen. Mehr Menschen, als ich dachte, hatten sich vor Erscheinen der kubanischen Ausgabe die spanische besorgt, weil sie wussten, dass dieser Roman existierte und sie sehr interessiert waren. Erst später wurde das Buch in Kuba in einer Auflage von 4.000 Exemplaren verlegt, so dass inzwischen auch viele weniger informierte Kubaner das Buch lesen können. Die meisten Menschen, die mit mir über den Roman sprachen, haben mir gedankt, weil ihnen die Geschichte eine Welt eröffnete, die sie bisher nicht kannten - die von Trotzki und die von Mercader. Was den kubanischen Lesern am meisten von dieser Geschichte in Erinnerung bleibt, ist die Selbsterkenntnis der eigenen Angst beim Lesen - obgleich der Kommunismus auf Kuba die Exzesse stalin'scher Ausprägung nicht kannte. Die Methoden aber waren die gleichen - und eine dieser Methoden besteht darin, den Menschen Angst einzuflößen.