Antarktis-Hirnwäsche

Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

Antarktis-Hirnwäsche - Der Steinböke-Mord im Drosteland

Wer hat den Mann so geschlagen, bist du das gewesen, sag Vati? Fragt Lisa, das Kind. Sieht mich an, verhangen der Blick, darüber gesenkt halb die Lider. Halb so hoch ist sie wie die Mutter, wie Hedda, ihr Gesicht spitzer, die hohe Stirn breit und bucklig, der Mund winzig, vornübergebeugt hält sie den Kopf, als zögen die Zöpfe ihn nach vorn. Das größte Pferd neigt seinen langen Kopf über den Draht, Lisa schaut groß und erzählt, sie sei gestern dem Grauen Gaul begegnet, riesengroß ragt vor ihr das Pferd, ihr Kopf ist in Höhe der erhobenen Hufe, ihr Blick voller Furcht am gigantischen Pferdeleib hochgezogen, zuckende schweißige Haut, klebrig. Kind erstarrt. Schaut zurück zum Mann am Kreuz. Als sie wieder fragt, Vater, hast du ihn geschlagen, hebe ich die Hand, erschrecke aufbrüllend das mächtige Pferd, es senkt den Huf, der saust auf den Kopf von Elisabeth schwer. Unfall auf dem Land. Schreibt morgen die Zeitung. Und übermorgen: Kindesmord in Westfalen. Vater tötet sein Kind.

Die Pferde weichen zurück in ihrer Koppel, stehen weit hinten unter den Nussbäumen an der Tränke. Nachts schreit der Kauz im Nussbaum um unseren Kotten, bitterlich riecht der zu den kleinen Fenstern herein und regt die Blattfinger im Mitternachtswind. Wir gehen durch das Deelentor leise ein und aus. Betten und bergen das reglose Kind. Mir ist still zumute, bis Hedda ein böses Wort sagt mit M.,  so wie Sie. Grad wie Sie. Tun Sie es nicht. Das hätte sie nicht tun sollen. Das hat gereizt meinen Zorn. So ließ ich die beiden im nächtlichen Hause allein. Bin gegangen, im Freien ist es frei. Atmet mich durch. Werde gelassen, gelöst.

Der Weihersee steht zwischen den sich senkenden Wiesen, Bachrinnsale führen ihr Wasser hinein. Ich gehe Stunden, weiß nicht wie viele. Häher lösen den Kauz ab. Lerchen die Häher. Die Spitzen der Trauerweiden schleifen über ihr Spiegelbild hin. Ich laufe vorbei und stehe alsbald auf einer leichten Anhöhe und spüre den Wind auf der Haut, der durch und durch weht, weil die Luft im Freien nie stillsteht, nur in den geschlossenen Räumen des Hauses, ist spüre mich leicht und als Anteil der Gegend und bin wie im Rausch. Die Trauer zieht fort. Lang ist es her. Längst das Gedächtnis wiedergekommen. Nachzudenken habe ich Zeit, sitze in der Zelle, von aufgeschlagenen Reisebüchern umgeben, bebildert schwarzweiß und bunt. Kein freier Platz an der Wand, Landkarten sind eine dichte Tapete. Blatthände einer Kastanie hinter Gittern. Der blasse Himmel fällt durch die Scheiben, so fahl wie die weißen Flecken der Antarktis auf der Landkarte an der Wand gegenüber.


Originalbeitrag

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