Kurzprosa

Liebes-Crimen vom Johannes Druwappel

Mai 2012

Die Fremde ist immer weiter gegangen, hat sich verlaufen, als die Grasnarbe unter den Schuhen bibbert und Wasser hineinläuft, zieht sie sich an einer krummen Birke hoch, kehrt um, setzt die nächsten Schritte vorsichtig auf festes Weideland, sieht am Horizont Baum an Baum, läuft und läuft und kommt nicht an, der trübe Himmel hellt auf und ermuntert, der reifende Flachs links und der Raps rechts, blau und gelb, süßlich duftend und faulig stinkend, Bienen summen und Lerchen jubilieren, das macht immer heiterer, Trübsinn zieht vollends fort am Ententeich und dahinter endlich quer hinter den Feldern das breit hingelagerte Hofgut, hinter dem weißen Tor knirschender Kiesweg, links und rechts Pappeln, die sich biegen im Wind.

Hereingeführt durch die Deele, geht die Fremde an den Ställen vorbei, Pferdeköpfe links, Rinderköpfe rechts, geradeaus, hinten die Küche, hoch und gewölbt wie eine Kirche, Ziegelherd statt Altar, über dem lodernden Feuer Emporen von geschwärzten Ziegeln, darinnen Nischen, darüber Eisenkörbe, die älteste der Schürzenfrauen langt mit einem Hakenstab hoch und angelt herunter eckige Kastenbrote, zerschneidet sie schnell in Scheiben, legt eine nach der anderen auf weiße Teller, dazu Fleischstücke mit Gallert und Fett, rotbraune Schinken, dicke Bohnen, jeder der Gäste bekommt einen Teller, schwere Nahrung. Das Hefebrot heißt Sara, Sarrah oder Sahra, sagen die Frauen. Die Fremde irrt herum zwischen den stumm essenden Gästen an den langen Festtagsmahltischen, ein alter faltiger Mann fasst sie ins Auge, nickt ihr zu, sie geht ihm nach und schaut wie getrieben hinein in den Raum, die Gute Stube, Kaminsims, gedunkelte Möbel und Bilder, einige Tonkrüge, Holzschaukelpferd wie in einem Spielzimmer, Wappen, Gemälde, ein Landmann auf dem braunen Gemälde, der Ahne des Bauern >im Huus vom Kampe<, das heißt vom Abhang,

Sie gehen herum, hinaus um das Haus, um die Häuser, die Stallungen, durch die Gärten, über die Weiden, fern ein anderer Hof, über wogendem Weizen. Nachbarn wie er, Landherren, die Bauern Telft Meyer zur Capellen, seit vielhundert Jahren, fünf Söhne, zwei Töchter. Einer geht immer aufs Studieren, Theologie in Münster. Ministranten sie alle als Kinder. Sursum corda, deo gratias, ite missa est. Sie verstehen ihr Latein. Die einen hassen die wallenden Gewänder mit den liturgischen Farben und streifen sie für die Mädchen ab so bald es geht, die anderen nie. Der fünfte Sohn ist seinerzeit Bischof geworden, der vom Nachbarn gerade die letzte Woche. Wie er heiße? Er und die ein Jahr ältere Schwester, so viele und lange Namen sie haben, die von drei, vier Ahnen zugleich, genannt werden sie die lütten Druwäppel. Nach den kleinen saftigen Traubenäpfeln haben sie die Lieblingskinder von Meyer zu Capellen - nomen est omen - genannt, dunkle Augen und den leichten Schmugglerteint irgendeines Seefahrerahnen vielleicht, auf den Wangenknochen immer viel Rot, wie die Apfelsorte im Garten. Wie Mining und Lining, sagt naseweis die Fremde, den Dichter Reuter Ut mine stromtid hatten sie schon in der Dorfschule bei Lehrer Angermann gelesen. Dann kennen wir uns, Elisabeth, die älteste Schwester, kommt hereint. Wiedererkennen - auf den ersten Blick nicht, aus Zöpfen sind Frauenfrisuren geworden, weiterredend, erzählend, umhergehend, erscheinen hinter den Frauenfiguren Kinderköpfe und Mädchengesichter, zuerst sind es die Stimmen. Déjà vu? Déjà vu! Ja. Und wie: Die Zöpfe der fünf Schwestern sind in ihrer Schulzeit blond oder spielen ins Tizianfarbene, die Haare der Brüder sind rostrot und die vom frommen Johann sind wie die Baumborke braun. Ganz hübsch sieht er aus, noch im Priesterseminar wie ein Junge, Johannes Druwappel, und so heißt er noch immer.

Er mag das alles mit Messdiener und Latein, lernt immer viel, gern und leicht, und die Schwestern spotten ihn Intelligenzbestie, Klaukschieterken. Was sie ärger finden: dass er vor ihren Freundinnen davongeht, ehe sich sein Apfelbackenrot bis unter die Haare ausbreitet, das dünne Gesicht blutübergossen. Gern geht er allein herum, überlässt den Brüdern die Feldarbeit, geht durch den Garten mit den Küchenkräutern zwischen Phlox und Rittersporn herum und murmelt lateinisch, das muss er für die Messe als Ministrant lernen, und später mit dem Omnibus nach Münster ins humanistische Gymnasium, denn ihn heimeln sie an, die langen frauenhaften Gewänder, Albe, Tunika, die liturgischen Farben im Wechsel des Kirchenjahres und an den Altären wechselnde Blumen der Jahreszeiten. Den Brüdern und Schwestern gehören sie zum katholischen Sonntag, abgeschüttelt beim Treffen danach, beim Äugeln in den Kirchenbänken zwischen der Mädchen- und der Jungensseite. Der lateinische Bruder wird ihnen fremd, fremd ist allen im Dorf der einzige Freund des Johannes, der manchmal aus der Stadt mitkommt und ihr unverständliches Reden, mit und ohne Latein.

Alles wäre seinen Weg gegangen, Hof und Ackerland bis zum Wald sind groß, reiche Bauern die Kamphausens und die Meyer zu Capellen. Raum für alle, Tanzen zu Pfingsten um die Dorflinde altmodisch mit Trachten aus Urgroßmutters Truhe, jeden Sonnabend in der Discoscheune zwischen den Dörfern. Alles wäre gut geblieben, hätte nicht die Schwester ihre Freundin mitgebracht, Elisabeth ist fast ebenso klug wie der Johannes, fährt mit ihm nach Münster, er zu den Jesuiten, sie zu den Ursulinen in das neusprachliche Mädchengymnasium. Ihre Freundin Ariadne bringt sie mit nach Hause, ausgerechnet diese Freche, die den Johannes schon im Omnibus provoziert, sich neben ihn setzt, weit zur Seite dreht und ihn lachend anspricht, als sie merkt, wie verlegen ihn das macht.

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