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Kurzprosa
Liebes-Crimen vom Johannes Druwappel
Die Schwester beobachtet zufällig, als er die Fotografie ihrer Schulklasse Obersekunda betrachtet. Die Schönste ist Ariadne. > Wie eine Madonna<. Rot vor Wut ist sie geworden, als er sie so genannt hat. Bald kommen sie doch ins Reden, ähnliche Schulen, Geschichte und Geographie, Sprachen und Literatur, sie beide lieben Botanik und Latein, sprechen über die Naturkunde des Römers Plinius und über die der Hildegard von Bingen, fahren mit dem Rad übers flache Land zum Rüschhaus, durchlaufen den rekonstruierten Barockgarten vom Architekturmeister Schlaun und vermissen das gewachsene Chaos der verholzten weißrosa Rosen. Die Großfamilie atmet erleichtert auf, die Eigenbrötelei ihres Sohnes Johannes so ganz ohne Mädchen war ihnen unheimlich. Nun scheint alles gut.
Ariadne lädt Zeltzeug auf den Gepäckträger, für alle Fälle. Den zweiten Sommerferientag sind sie zusammen zum Heiligen Meer geradelt, van Hilligmeer heißen die anderen Ahnen, die von dort fortzogen, zu unergiebig waren die Moorböden. Unterwegs, schreiend gegen den Wind, doziert der Johannes: Der Wortstamm komme nicht von „Heilig“, sonder entweder von dem Niederdeutschen ‚hel‘ oder ‚hil‘ für „schlimm“ oder dem Altsächsischen ‚hola‘ für „Bruch“, „Loch“, „Tiefe“. Damit bedeutet der Name „Bruchmeer“ oder „tiefes Meer“. Der Begriff Meer habe ebenfalls eine Wandlung durchlaufen und bedeutete im Mittelalter „See“. Legenden reden vom Kloster mit lasterhaften Mönchen, zur Bestrafung gesunken. Manchmal hört man die versunkenen Glocken, schlechtes Omen von Totschlag und Mord.
Sonnentau suchen, mit Fliegen füttern, zwischen die Pflanzenzähnchen stecken. Hola-Meer, Sumpfmoor, arm an Farben, mannigfach Grün: Weinbeerenglasiggrün pistaziengrün grasgrün laubwaldgrün tannwaldgrün laubfroschgrün arsengiftiggrün schierlingsbecherschleimgrün molkengrüngrau platinweißsilbern jadegrün smaragdeidechsengrün entenscheißgrün. Auch mal Braun, selten Weiß; alles Blaue, Rote und Gelbe kann man lange suchen, ins Auge sticht es umso mehr. Fette Stengel, die sich über braune Wässer schlängeln, zum Licht gereckt Blattrosetten, die einen gelbgrünen fleischigen Kegel umringen, schwarze Käfer auf klebrigen Birnen, Schnecken an schleimigen Ringelstielen unter weißen Trichterblüten. Moose und Farne, über regenbogenbunten öligen Tümpeln die blauschillernden Libellen, zwischen den geraden Binsen und grünen Seegras-Seggen die gelben Kugeln der Mummel, lila Glockenheide, eine unbekannte Blume, Riesenlippenblüte Enzianblau.
Das naturgeschützte Torfmoor mit dem Museum, die Leute nennen es das Moorleichen-Museum. Morgens sehr früh. Fahrräder angelehnt. Als er angekommen sei, hätten die jungen Leute schon gewartet, berichtet der pensionierte Lehrer, der das Museum betreut, den Nachforschenden. Geht um das Haus und deutet auf die Mauer: >Binse Binse Wasserlinse. Hexenkraut Irrlichterbraut. Mooreiche Moorleiche.< In den Stein geritzt. Er habe das Mädchen zur Rede gestellt. Ihre Handschrift. Ihre Stimme. Zum letzten Mal gesehen. Zum letzten Mal gehört.
Allein kommt Johannes zurück. Verstört. Was ist gewesen? Ariadne wollte allein sein, weiterfahren bis an die See. Die Schwester des Johannes wird am ersten Schultag fragen. Elisabeth wundert sich, wartet vergebens. Die Eltern wissen auch nichts. Die Freundin ist fort. War und bleibt verschwunden. Johannes schweigt lange und starrt vor sich hin, ehe er wieder sein gefrorenes Lächeln anknipst, den Mund zum Halbmond über bleckenden großen Zähnen unter den beiden roten Apfelbäckchen, holzgeschnitzt wie ein Kasper, der Vergleich ärgert ihn jahrzehntelang, geht mit ihm fort, von Ort zu Ort, durch das lange Studium der Theologie, in den deutschen, holländischen, afrikanischen Pfarreien, zuletzt sagen es die vom Fernsehen, die seine Bischofsweihe filmen und sich nicht trauen zu raten, weniger die Zähne zu blecken und die Augen himmelwärts aufzureißen, als hätte er eine Erscheinung. >Gehet hinaus in alle Welt und lehret das Evangelium<. Vom Norden Europas bis in den Süden, von Hollands Grenze ans Mittelmeer, zuletzt nach Rom. Wo die Glocken den neuen Heiligen Vater aus dem Münsterland einläuten. Er werde einst kommen als Sühne. Das sagt seit fünfhundert Jahren die Sage vom Heiligen Meer. Dort haben sie zur gleichen Zeit tief unter den Seggen geklungen, drohend und dumpf, geklungen wie Moor-Eiche Moor-Leiche.
(Westfälisches Literaturarchiv Münster // Prof. Gödden)
© Mechthild Curtius // Olaf Hauke // Frankfurt am Main
Ariadne lädt Zeltzeug auf den Gepäckträger, für alle Fälle. Den zweiten Sommerferientag sind sie zusammen zum Heiligen Meer geradelt, van Hilligmeer heißen die anderen Ahnen, die von dort fortzogen, zu unergiebig waren die Moorböden. Unterwegs, schreiend gegen den Wind, doziert der Johannes: Der Wortstamm komme nicht von „Heilig“, sonder entweder von dem Niederdeutschen ‚hel‘ oder ‚hil‘ für „schlimm“ oder dem Altsächsischen ‚hola‘ für „Bruch“, „Loch“, „Tiefe“. Damit bedeutet der Name „Bruchmeer“ oder „tiefes Meer“. Der Begriff Meer habe ebenfalls eine Wandlung durchlaufen und bedeutete im Mittelalter „See“. Legenden reden vom Kloster mit lasterhaften Mönchen, zur Bestrafung gesunken. Manchmal hört man die versunkenen Glocken, schlechtes Omen von Totschlag und Mord.
Sonnentau suchen, mit Fliegen füttern, zwischen die Pflanzenzähnchen stecken. Hola-Meer, Sumpfmoor, arm an Farben, mannigfach Grün: Weinbeerenglasiggrün pistaziengrün grasgrün laubwaldgrün tannwaldgrün laubfroschgrün arsengiftiggrün schierlingsbecherschleimgrün molkengrüngrau platinweißsilbern jadegrün smaragdeidechsengrün entenscheißgrün. Auch mal Braun, selten Weiß; alles Blaue, Rote und Gelbe kann man lange suchen, ins Auge sticht es umso mehr. Fette Stengel, die sich über braune Wässer schlängeln, zum Licht gereckt Blattrosetten, die einen gelbgrünen fleischigen Kegel umringen, schwarze Käfer auf klebrigen Birnen, Schnecken an schleimigen Ringelstielen unter weißen Trichterblüten. Moose und Farne, über regenbogenbunten öligen Tümpeln die blauschillernden Libellen, zwischen den geraden Binsen und grünen Seegras-Seggen die gelben Kugeln der Mummel, lila Glockenheide, eine unbekannte Blume, Riesenlippenblüte Enzianblau.
Das naturgeschützte Torfmoor mit dem Museum, die Leute nennen es das Moorleichen-Museum. Morgens sehr früh. Fahrräder angelehnt. Als er angekommen sei, hätten die jungen Leute schon gewartet, berichtet der pensionierte Lehrer, der das Museum betreut, den Nachforschenden. Geht um das Haus und deutet auf die Mauer: >Binse Binse Wasserlinse. Hexenkraut Irrlichterbraut. Mooreiche Moorleiche.< In den Stein geritzt. Er habe das Mädchen zur Rede gestellt. Ihre Handschrift. Ihre Stimme. Zum letzten Mal gesehen. Zum letzten Mal gehört.
Allein kommt Johannes zurück. Verstört. Was ist gewesen? Ariadne wollte allein sein, weiterfahren bis an die See. Die Schwester des Johannes wird am ersten Schultag fragen. Elisabeth wundert sich, wartet vergebens. Die Eltern wissen auch nichts. Die Freundin ist fort. War und bleibt verschwunden. Johannes schweigt lange und starrt vor sich hin, ehe er wieder sein gefrorenes Lächeln anknipst, den Mund zum Halbmond über bleckenden großen Zähnen unter den beiden roten Apfelbäckchen, holzgeschnitzt wie ein Kasper, der Vergleich ärgert ihn jahrzehntelang, geht mit ihm fort, von Ort zu Ort, durch das lange Studium der Theologie, in den deutschen, holländischen, afrikanischen Pfarreien, zuletzt sagen es die vom Fernsehen, die seine Bischofsweihe filmen und sich nicht trauen zu raten, weniger die Zähne zu blecken und die Augen himmelwärts aufzureißen, als hätte er eine Erscheinung. >Gehet hinaus in alle Welt und lehret das Evangelium<. Vom Norden Europas bis in den Süden, von Hollands Grenze ans Mittelmeer, zuletzt nach Rom. Wo die Glocken den neuen Heiligen Vater aus dem Münsterland einläuten. Er werde einst kommen als Sühne. Das sagt seit fünfhundert Jahren die Sage vom Heiligen Meer. Dort haben sie zur gleichen Zeit tief unter den Seggen geklungen, drohend und dumpf, geklungen wie Moor-Eiche Moor-Leiche.
(Westfälisches Literaturarchiv Münster // Prof. Gödden)