Ein bisschen Meeresleuchten

Kurze essayistische Arbeit

Autor:
Jan Decker
 

Kurze essayistische Arbeit

Gedanken über eine sprachliche Figur der Gegenwart

September 2012

Lohnt es sich überhaupt, eine essayistische Betrachtung über einen so flüchtigen sprachlichen Dreizeller wie ein bisschen zu schreiben? Nur dann, meint der Autor, wenn sich der Dreizeller gleich einem Algenteppich auf unser schön lumineszierendes Sprachmeer legt und zu einer wahren Massenplage wird. Irgendwann, behaupte ich, wird mir der Dreizeller ein bisschen die Lust am Baden im Sprachmeer verleiden, und das wäre doch schade. Oder übertreibe ich ein bisschen?

Als Meeresleuchten bezeichnet man Lichterscheinungen im Meer, die durch eine Ansammlung von Einzellern erzeugt werden. Die Algen oder Dinoflagellaten senden bei Berührungsreizen in der Brandung blaue und grüne Lichtsignale aus. So gesehen, ist alles schön. Ab und zu ein bisschen in unserer Sprache leuchtet schmuckreich auf. Doch was ist geschehen? Hören Sie bewusst hin, lesen Sie bewusst mit. Der Dreizeller ein bisschen grassiert.

Es war ein furchtbarer Sommer, der erst in den letzten Augusttagen zu seiner gewohnten Form auflief. Falsch wäre es, zu sagen: „Der Sommer war ein bisschen enttäuschend.“ Dennoch ist das der Satz unserer Wahl. Der Autor will also in diesen letzten Sommertagen untersuchen, warum wir so selten ein wenig oder zu einem geringen Teil sagen, dagegen massenhaft ein bisschen. Woher kommt diese Algenplage? Warum leuchtet das Sprachmeer nicht mehr so schön?

Ich begebe mich in die Rolle des Sprachwächters, um das Sprachmeer wieder funkeln zu lassen, um es zu lumineszieren, so wie ich es liebe. Und dabei stört mich der Dreizeller ein wenig, weil ich ihn in jedem zweiten Satz treffe. Ich will nur ein bisschen maunzen, und auch so unterhaltsam wie möglich, dann soll es im Tagesgeschäft weitergehen.

Zum ersten Mal fiel mir das häufige Auftreten der sprachlichen Figur ein bisschen in der Filmwelt auf, also dort, wo man möglichst lebensecht und alltagsnah sprechen will. Natürlich geht das schief. Die Figuren sind Papier, und so häufen sich Dialoge à la: „Sie können heute ein bisschen früher gehen, Schwester Hedwig.“ „Aber nein, Herr Doktor. Ich bleibe, bis sich das Wartezimmer ein bisschen gelichtet hat.“

Kann sich ein Wartezimmer ein bisschen lichten? Eher kann es leuchten, wenn Schwester Hedwig schöne Worte verwendet. Den Autor interessiert, warum die Drehbuchautoren, immerhin Kollegen vom Fach, uns mit dieser sprachlichen Figur einen Geschmack von Alltag geben wollen − und weiterhin, ob die resultierende Stereotypie (alle Filmfiguren sagen ein bisschen statt ein wenig oder zu einem geringen Teil) gewollt ist oder bloß ein Betriebsunfall.

Dem Alltag steht die abgeschwächte Mittellage gut. So ein matt leuchtender Dreizeller wie ein bisschen ist ein Partikel unseres Alltagslebens, und als solcher hat er ein Recht. Immer ist ein bisschen zu wenig Geld da, immer sehnt man sich nach ein bisschen mehr Erfolg oder Anerkennung, und immer geht man sich in der Zwischenzeit ein bisschen die Beine vertreten. Gehen Sie sich ein wenig die Beine vertreten − das klingt schon komisch erhaben! Aus der Genresprache von Filmfiguren ist in den letzten Jahren eine sprachliche Figur zu uns herübergewandert, die nach Meinung des Autors mehr Fiktion als Wirklichkeit transportiert. Zum Sprechen gehört das Leuchten, nicht die permanente Mittellage: „Sie können stehenden Fußes gehen, Schwester Hedwig.“

Wie wäre es mit einer empirischen Auswertung der Verwendung von ein bisschen in Filmen zwischen 1950 bis heute? Der Autor wagt die These, dass es eine steil ansteigende Kurve ist. Die nach der Wirklichkeit kopierte Erfindung wird zur erfundenen Wirklichkeit. Seine zweite Vermutung ist, dass alles mit der neuen Innerlichkeit der 70er Jahre begann, als die Menschen auf einmal die große Sehnsucht nach ein bisschen mehr Lebensechtheit in Film und Literatur hatten. Salz auf unserer Haut. Kann sich noch jemand an den Männertyp des Softies erinnern? Und sang Nicole nicht damals von ein bisschen Frieden?

Heute sind es keine Filmfiguren, sondern die Bionade-Mütter vom Prenzlauer Berg, die den Ruf des ein bisschen in die Welt tragen. Der Dreizeller ist mutiert, seit die Softies ausgestorben sind. Ja, die sprachliche Figur leuchtet nicht mehr cremefarbig oder lachsrot, sondern irgendwie matt schimmernd oder neutral. Niemand fordert heute mehr ein bisschen Frieden, wie es Nicole in ihrem legendären Song tat. Dagegen hört der Autor oft folgenden Satz: „Das fand ich ein bisschen unverschämt von ihm.“ Hat Patient Daniel heimlich einen Brief an Schwester Hedwig geschrieben? Oder kam es zu einem handfesten Schäferstündchen? Der Berührungsreiz hinter ein bisschen ist heute rätselhaft, er kann alles sein.

Grundsätzlich ist die sprachliche Figur ein bisschen im Bereich der Nahrungsaufnahme zu Hause. Der Biss steckt in ihr, die Assoziation zur Sättigung. „Ja gern, Herr Doktor. Ich nehme noch ein bisschen Gemüse.“ Das heißt, Schwester Hedwig hat den Hauptgang schon hinter sich. Es handelt sich um den Nachschlag. Wir sind satt geworden und haben die sprachliche Figur aus ihrem angestammten Kontext entfernt. Das ist legitim, und kann ein schönes sprachliches Leuchten hervorrufen. Warum leuchtet der Dreizeller ein bisschen aber nicht? Weil der Autor ihn selten beim Gemüse vernimmt, dafür oft bei Unverschämtheiten.

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