Ein bisschen Meeresleuchten

Kurze essayistische Arbeit

Autor:
Jan Decker
 

Kurze essayistische Arbeit

Gedanken über eine sprachliche Figur der Gegenwart

Aus den lebensechten Algen der Softies, die recht unschuldig und putzig im Sprachmeer schwammen („Gib mir noch ein bisschen Zeit, Marita“), sind matt schimmernde Dreizeller geworden, die kleinen gespornten Wurfsternen gleichen („Das ist doch jetzt ein bisschen anmaßend von dir, das einfach so zu behaupten, Daniel!“). Es war in den alten Zeiten einmal schön, ein bisschen mehr zu wollen − Liebe, Gemüse oder Frieden. Heute steckt ein falscher Freund dahinter, den wir Zeitgeist nennen. Der Alltag hat über die Drehbuchautoren gesiegt. Oder ist den Script Doctors ihr Experiment, die sprachliche Figur ein bisschen in Massenzüchtung als Alltagspartikel zu verkaufen, aus der Hand geglitten?

Wir haben nicht genug abbekommen, so lautet das matte Leuchten, das heute in dem Dreizeller steckt, politisch korrekt aufgehellt: „Das ist doch ein bisschenzu einfach gedacht, Daniel.“ Der Zeitgeist, den wir als grün stinkende Biomasse umsetzen, ist die mangelnde Sättigung. Übersetzbar mit: „Ich bin nicht satt geworden und finde dich blöd.“ Der Gang zu den Bionade-Müttern hat sich gelohnt. Wir sehen, dass der Zeitgeist nicht in einer Flasche steckt, sondern in den Mündern von Alltagsmenschen, als Engel der Geschichte. Ein bisschen Meeresleuchten ist da schon ein frommer Wunsch.

Dem Autor geht bei dieser Feststellung die Puste aus. Will er doch wie jeder Schöngeist eine abwechslungsreiche Sprache hören, wie wir uns eine gute Ernährung wünschen. Damit der Zeitgeist ins Sprachmeer kam, muss mehr als der Tod der Softies geschehen sein. Oberflächliche Qualitäten müssen gesiegt haben, das Sprachmeer gab leichtsinnig der Verklumpung durch luftige Organismen nach, sein Leuchten erlosch.

Weswegen wir so gern in die sprachliche Figur ein bisschen hereinbeißen, muss andere Gründe besitzen. Wir kommen zur rhythmischen Qualität. Sprechen Sie es einmal laut aus: ein bisschen. Das sind drei helle sprachliche Sprungsteine, mit denen wir den Raum des Gesagten um drei Silben erweitern. Nicht wenig in einer Zeit, in der es wichtig ist, sich möglichst aufzublasen. Dabei schafft der Dreizeller etwa soviel Spannung wie eine laut geblasene Vuvuzela. Man kann es über eine große Distanz hinweg rufen: „Schwester Hedwig, der Tupfer.“ „Ein bisschen lauter, Herr Doktor.“ Lassen Sie Schwester Hedwig folgende Dreizeller rufen: „O Wälder.“ − „Herr Doktor.“ − „Kanone.“  

Der Autor beobachtet auch das Verschwinden der tragischen dunklen Vokale o und u aus der Alltagssprache. Das Sprachmeer funkelte schön, als es diese Vokale noch häufiger zu hören gab. Ein Begleitflackern, das nicht zu unterschätzen ist. Wir werden immer mehr zu einer Kaugummisprache hingelenkt, vielleicht weil alles um uns herum so laut und so weit weg ist. Wir sprechen immer mehr, als wären wir in einem Film, der uns in einem Einkaufszentrum zeigt, um uns herum mehrere hundert Menschen, die ihren Einkäufen folgen, zwei Stockwerke über uns an einer Balustrade ruft jemand: „Können Sie noch?“ „Ein bisschen.“

Rufen Sie in dieser Situation: „O Dunkler.“ Niemand würde Sie verstehen. Dagegen folgender Satz: „Gehen wir ein bisschen zu dir?“ Das versteht jeder. Das Äußerste ist gemeint. Trotzdem sagt niemand: „Wir könnten kurz deine Wohnung aufsuchen.“ Was treibt uns zu diesem klanglosen Freund, den wir aus der sprachlichen Figur der Sättigung gebildet haben?

Ist es wirklich so, dass uns immer weniger Menschen mit immer weniger Zeit zuhören? Aber wir reden doch so viel wie nie! Ich glaube, ein bisschen ist ein Stresssymptom der Sprache. Wittern Sie jetzt keine Verschwörungstheorie! Wir wollen ab sofort mit einem lauteren Gewährsmann auf die Sache blicken, mit Roland Barthes. Nicht, dass er sich zur sprachlichen Figur ein bisschen konkret geäußert hätte. Das geht nicht, der französische Philosoph starb im Jahr 1980. Aber er hat zahlreiche Leuchtspuren im Sprachmeer hinterlassen, denen wir folgen können.

Zum Beispiel schreibt Roland Barthes, dass alle vom Zartgefühl geprägten Verhaltensweisen ein Einspruch gegen die Herabsetzung der Individuation sind. Will heißen: Der Autor fühlt sich durch die sprachliche Figur ein bisschen in seiner Individuation herabgesetzt. Sie geht ihm an die Luft, und deshalb erhebt er hier einen Einspruch. Ich glaube, das haben Sie auch ohne Roland Barthes mitbekommen. Um zur Sache zu kommen: Wie oft erleben wir heute, dass unsere Lust, unser Begehren, unser Kummer durch den anderen zu einem Exempel degradiert werden! Und hier haben unser Dreizeller und der Zeitgeist ihre Königsrolle: „Ich würde so gern mit Ihnen auf die Seychellen fliegen, Schwester Hedwig.“ „Ist das nicht ein bisschen übertrieben, Herr Doktor?“

Aus der sprachlichen Figur der Sättigung, aus dem kleinen Biss, ist eine Figur der Nivellierung geworden. Wir verwenden sie aus basisdemokratischen Gründen. Wir erinnern uns mit dieser Figur daran, dass keiner von uns aus dieser Zeit entkommt. Wovon soll man heute träumen, da jeder Traum schon geträumt und jeder Ort auf der Welt kartografiert ist? Aber halt: Wir träumen alle, und wir halten uns nicht aus Bösartigkeit gegenseitig vom Träumen ab. Sondern um uns zu warnen und vor Verletzungen zu schützen. Der Dreizeller ist eine soziale Alge, auch wenn er matt leuchtet.

Auch die Bionade-Mütter vom Prenzlauer Berg haben das stille Glück im Herz der Hauptstadt täglich gegen die andere Wirklichkeit Berlins zu verteidigen, die Boomstadt, die Problemstadt, den Moloch, den Kiez. Mit dem Dreizeller können sie signalisieren, dass alles nur ein bisschen so ist, wie es ist, und dass es vor allem anders ist. So hört der Autor heute die sprachliche Figur ein bisschen nicht in Filmen am häufigsten, sondern in Straßeninterviews. Daniel sagt dem Moderator: „Ist das ganze Thema nicht ein bisschen überbewertet?“ Der Autor übersetzt: „Sie sind nicht wirklich, Ihr Mikrofon ist es auch nicht, aber ich halte Sie der Konvention halber dafür. Sie streifen nur mein Bewusstsein, die Stadt ist hektisch und laut. Und die Fragen, die Sie hier sammeln, verwursten Sie in Ihrem Einheitsformat. Was war Ihre Frage?“

Mit Roland Barthes wissen wir, dass wir Aussagen gar nicht verneinen können. Selbst das klare Nein ist eine Affirmation. Wir müssten also schweigen. Und ich bekenne, dass ich bei einem Straßeninterview einmal als Antwort schwieg. Diese Antwort wurde natürlich nicht ausgestrahlt. Ich muss den Dreizeller an dieser Stelle loben, denn er drückt das gereifte Bewusstsein von Sprechern aus, die mit Roland Barthes darum wissen, dass man einer Frage in Straßeninterviews nicht ausweichen kann, im Alltag schon gar nicht − dass ein Nein aber auch keine Antwort ist. Der geniale Clou: „Ich finde es immer ein bisschen überflüssig, solche Fragen zu stellen.“ Eine ausweichende Figur, durch die Zurückhaltung zustande kommt, ohne dass wir ins Mikrofon schweigen müssen und vor Verlegenheit rot anlaufen.

Aber warum in jedem zweiten Satz? Ist unser Lebensgefühl heute ein konstant ausweichendes? Und wovor weichen wir aus? Vieles ist denkbar, zum Beispiel die schiere Übermacht von Fakten, Meinungen, Innovationen, Trends. Der Dreizeller ein bisschen wird in dieser Zeit zur relativen Redewendung schlechthin, die wir nicht mit Scheu vor uns hertragen, sondern geradezu ostentativ gebrauchen. Ein Standardpartikel im Sprachmeer, der aber knisternd und leuchtend aufgeladen ist, auch wenn dem Autor die Leuchttöne nicht gefallen.

Was ist der Dreizeller für ein Organismus? Ernährt er sich aus der Sättigung einer Nachkriegsgesellschaft, aus unserer kollektiven Verunsicherung, aus dem Wissen, dass unsere Individuation eingeschränkt ist? Oder pulsiert der Dreizeller aus rhythmischen Gründen? Ein Straßeninterview mit Schwester Hedwig: „Ich finde diese Talkshows immer ein bisschen überflüssig.“ Sie hat Recht. „Ich finde diese Talkshows überflüssig.“ Das sagt Schwester Hedwig. Aber sie sagt es mit der abschwächenden Figur ein bisschen.