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Kurze essayistische Arbeit
Gedanken über eine sprachliche Figur der Gegenwart
Aber das Rad der Geschichte zurückdrehen? So eine nervöse sprachliche Figur sollte man genauso wie einen Tick abstellen. Probieren Sie es aus! Ein Tag ohne ein bisschen ist wie ein Tag ohne Ihre Lieblingsmarotte. Verflucht schwer und verflucht einfach. Sie könnten sich auch vornehmen, die Vokale o und u öfter in Ihre Rede einzuflechten. Der Autor bekennt, dass er das aus schöngeistigen Gründen tut, und auch, dass er statt ein bisschen alterierend ein wenig oder zu einem geringen Teil in seine Rede einflicht. Dem Zeitgeist entkommt er damit nicht.
Der Zeitgeist und seine sprachliche Algenpest haben nämlich gute Gründe, uns zuzusetzen. Wir leben in einer Zeit der Indifferenz, wir nehmen die Welt vorwiegend in der Fiktionalen von Medienberichten und Filmen wahr. Das ein bisschen der Filmfiguren war ein Frühindikator, wohin die Reise gehen sollte. Individuen wie Schwester Hedwig und ihr Doktor drücken so eine Individuation ohne Aussicht auf Individualität aus. Will heißen: Wir sind Filmfiguren. Das Sprachmeer ist nicht wirklich, wir verkraften die Leuchtenttäuschung mit der abschwächenden Figur ein bisschen. Ein Dilemma, das uns alle betrifft. Das Aushängeschild der verkappten Individuation ist ein bisschen. Sie planen eine Weltreise? Ihre Freunde werden aufstöhnen. „Ist das nicht ein bisschen altmodisch?“
Ja, ein Weltreise ist altmodisch. Stimmen Sie Ihren Freunden zu! Bitten Sie sie gleichzeitig, die Aussage ohne ein bisschen zu wiederholen. Es könnte ein interessantes Gespräch werden. Wir erinnern uns: „Bleiben und Stille bewahren, das sich umgrenzende Ich.“ Hat Gottfried Benn mit dieser Formel vor einem halben Jahrhundert unser Lebensgefühl auf den Punkt gebracht? Wir meinen längst nicht mehr, dass Zürich eine tiefere Stadt ist. Aber Neutralität im Sinn der Bennschen Reisezurückhaltung ist nicht mit Indifferenz zu verwechseln.
Gottfried Benn sagt: „Ach, vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich: Bleiben und Stille bewahren, das sich umgrenzende Ich.“ Patient Daniel sagt im Straßeninterview: „Manchmal träume ich von ein bisschen mehr Freiheit.“Da haben Sie beide Lebenshaltungen! Welche Lebenshaltung dem Alltagsmenschen von heute näher steht, muss nicht geklärt werden.
Doch so einfach können wir es uns nicht machen. In einer Zeit, in der durch Analyse und Interpretation alles ins Gegenteil dessen verkehrt wird, was wir meinen, ist das Leuchten des Sprachmeers wichtiger denn je. Schon damit uns kein Moderator aus der Werbung verkündet: „Gönnen Sie sich ein bisschen mehr Freiheit.“ Denken wir an die Sehnsucht des Doktors nach den Seychellen, und wie durch den kleinen algenhaften Wurfstern ein bisschen ein Klischee daraus wurde.
Sie glauben der Werbung nicht. Denn ein bisschen mehr Freiheit ist eindeutig ein falscher Freund. Ich möchte Sie vor ihm warnen, wie vor jedem falschen Freund. Denken Sie an die französische Revolution! Sie kannte nicht ein bisschen Freiheit. Sie kannte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sie sagen, Befreiungsbewegungen spielen sich heute vorwiegend im arabischen Raum ab? Richtig: Seit wir ein bisschen sagen können, haben wir uns aus der Gläubigkeit an große Institutionen befreit. Galilei würde man heute auf seine These lapidar antworten: „Schon gut, die Erde dreht sich um die Sonne. Aber ist das nicht alles ein bisschen vermessen?“
Der Dreizeller ist eine nervöse Ausweich- und Austeilalge. Der perfekte mitteleuropäische Wurfstern aus sprachlicher Biomasse. Aber ich plädiere: Weg damit! Jeder See, der umkippt, ist irgendwann einmal tot. Betrachten Sie den Eriesee in den USA. Auch das Sprachmeer ist endlich, selbst wenn Autoren darin unendlich gern baden. Erfinden Sie neue funkelnde Dreizeller, die sich dann algenhaft verbreiten. Und denken Sie daran: Die Dinoflagellaten leuchten am schönsten!