MASCHA KALEKO

Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden und ein großer M. K.-Abend im NDR

Autor:
Andreas Greve
 

Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden und ein großer M. K.-Abend im NDR

EIN KIND VON TRAURIGKEIT

Januar 2013


Abschied
(Erste und letzte Strophe)


Jetzt bist Du fort. Der Zug ging neun Uhr sieben.
Ich hielt Dich nicht zurück. Nun tut´s mir leid.
- Von dir ist weiter nichts zurückgeblieben
Als ein paar Fotos und die Einsamkeit.

Jetzt sitz ich ohne dich in meinem Zimmer
Und trinke dünnen Kaffee ganz allein.
- Ich weiß, das wird jetzt manches Mal so sein.
Sehr oft vielleicht. … Beziehungsweise: immer.


Welch leichtfüßige Zeilen – und welch widriges Leben! Sie war nicht gerne da, wo sie herkam (Galizien) und schlussendlich auch nicht gerne da, wo sie hinging (Israel). Ein tragisches Leben im Transit. Gerade deshalb ist an der Lyrikerin Mascha Kalèko (1909 – 1975) die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit ihrer Dichtung so bewundernswert.

Gerade anfangs, in ihren sehr jungen Berliner Jahren, perlte es nur so aus ihr heraus. Mühelos wie drei Schritte durch ein flaches Bachbett im Sommer. Ihre Leser liebten das und ihre Bewunderer stammten durchweg aus der ersten Liga des Geistes- und Kulturlebens des deutschsprachigen Raumes, von Walther Mehring über Thomas Mann bis Albert Einstein und Ernst Rowohlt. Sie kannte Else Lasker-Schüler, Erich Kästner und Ringelnatz. Bildschön war sie obendrein und auch im Kollegenkreis zudem keineswegs auf den Mund gefallen.

Genauso mühelos brachte sie ihre Lyrik an den Mann und unter die Leute. Sie war Anfang zwanzig, als sie bereits regelmäßig in den führenden Blättern, wie der „Vossischen Zeitung“, abgedruckt wurde. Ihre Werke wirkten älter als sie. Ihr kometenhafter Aufstieg fand schon gegen Ende der dreißiger Jahre sein jähes Ende. 1938 musste sie mit ihrem zweiten Mann und dem gemeinsamen kleinen Sohn Deutschland verlassen und lebte dann fast zwanzig Jahre in der Emigration in New York und hielt sich u.a. durch das Verfassen von Reklame-Texten über Wasser. Dort standen auch vor allem die beruflichen Bemühungen ihres meist recht erfolglosen Gatten, der lebenslang an einer Anthologie chassidischer Synagogalmusik arbeitete, im Vordergrund. Er gründete und leitete zudem einen Chor. Sie musste die Feder fallenlassen, wenn er rief. In dem Gedicht „Die Leistung der Frau in der Kultur“ spricht sie ein Grundmanko an: „Was uns Frauen fehlt, ist „Des Künstlers Frau“ oder gleichwertiger Ersatz“

Doch muss ich, wie stets, unterbrechen.
Mich ruft mein Gemahl.
Er wünscht, mit mir sein nächstes Konzert zu besprechen.

Es war aber auch eine tiefe Liebe und eine wohl recht einzigartige Ehe. Sie folgte ihrem Ehegatten auch nach Jerusalem – sozusagen dem „Mekka“ jüdischer religiöser Musik aus aller Herren Länder - konnte aber noch Mitte der Fünfziger Jahre das Wiederaufleben des Interesses an ihrer Dichtung in Deutschland erleben und auch selber durch Rundfunk-Lesungen befördern, ja sogar die Wiederauflage ihres glorreichen Debüt-Bandes „Das lyrische Stenogrammheft“ bei Rowohlt.

Wie diese Genugtuung schmeckte. lässt sich sehr gut in den unzähligen Briefen ablesen, die sie in jener Zeit an ihren Mann, an ihren Agenten, an Ernst oder Maria Ledig-Rowohlt und an andere schrieb. Fast hundert Seiten alleine für diese kurze Zeit in Hamburg, gespickt mit Namen und Orten von Harvestehude über (Willy) Haas bis Harry (Rowohlt), damals erst elf, der aber schon recht aufgeweckt wirkte. Wer dann weiter und weiter liest, kann erleben, wie sich – mit fast demselben Personal – Euphorie in Frustration wandelt und Enttäuschung in Paranoia. Verschachtelte Verwerfungen, die letztlich dazu führten, dass Gedichte und Texte Mascha Kalèkos in immer anderen Kombinationen und Beimischungen bei gleich mehreren Verlagen erschienen - oder eben nicht  - oder dann für immer vergriffen waren. Fast bis in dieses Jahrtausend, in dem mir ihr - bis dahin eigentlich eher unbekannter – zauberhafter Tonfall in dem dtv-Taschenbuch „Mein Lied geht weiter“ begegnete. Mehr über sie erfuhr ich durch den Band „Die paar leuchtenden Jahre“, beide herausgegeben von Gisela-Zoch-Westphal. Ich könnte jetzt noch weitere Verlage und Titel anführen, um das verwirrende der Vielfalt zu illustrieren. Es würde mit Sicherheit den Wunsch wecken, alles, aber auch alles, in einem Band zu haben. Den gibt es jetzt auf wundersame Weise!

Mascha Kaléko: Sämtliche Werke und Briefe
Quelle: dtv

Die Herausgabe „Sämtlicher Werke und Briefe in vier Bänden“ von Jutta Rosenkranz ist eine späte Genugtuung, vielleicht sogar Wiedergutmachung. Vor allem aber eine phantastische Fügung für die von Mascha Kalèko noch selber gewählte Nachlassverwalterin Gisela Zoch-Westphal – Ehefrau und Witwe unserer aller Erzählerstimme Gert Westphal. Durch welche Zufälle sie Mascha Kalèko – die zu der Zeit bereits in Jerusalem wohnte – überhaupt kennen lernte, das kann sie selbst wahrlich am besten erzählen. Und wird das wohl auch Mitte Februar auf NDR Kultur tun. Sie tat es jedenfalls sehr überzeugend bei der Tonaufnahme, dem Mascha-Kalèko-Abend des Literaturhauses Hamburg im Rolf-Liebermann-Studio des Norddeutschen Rundfunks. Es wirkte so, als erzählte sie die Begebenheit zum ersten Mal. Das hätte ich sofort geglaubt, wenn ich es nicht kurz vorher in den „paar leuchtenden Jahren“ und anderen Texten gelesen hätte. Dort stand die Begegnung bereits haargenau beschrieben. Wortgetreu! Ich muss schon sagen: Überzeugende Schauspielerin!

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