Kriminal Tango in acht Folgen
8 Heimreise
Herr Färber überholt und hält im nächsten Dorf an. Vier Bauernhöfe gibt es nur, einer hat ein blasses Schild "Camere". Er steigt einfach aus. "Länger können wir nicht warten". Spukig. Ein Hund schlägt an. Sandro schreckt aus dem Schlaf hoch und greift rettend nach dem fauchenden Kater. Dem Hund folgt ein Mann, die Tür des Wohnhauses aus Bruchstein fällt auf. Eine ältere dürre Frau äugt unter ihrem Kopftuch hervor. "Die Hexe, da will ich net rein!" - "Pst. Blödsinn. Wir sind ja bei dir. Oder willst du im Auto übernachten." Katharina hält ihrem Sohn eine Hand über den Mund und streichelt ihn beruhigend mit der anderen. "Camere, si, per la famiglia." Sie sind die einzigen Gäste, bekommen zwei Räume mit Durchgang, im kleineren steht ein Kinderbett. Die Gäste können nachtmahlen mit der Familie, wie sich Frederick Färber auf Österreichisch ausdrückt. Sandro unterhält sich in flinkem Italienisch mit den zwei Enkeln des Bauern und fühlt sich durch die anderen Kinder schnell zuhause. Zu Dritt bekommen sie die gewünschten Patate Frite mit "Kinder-Rouladen", wie Sandro die Saltimbocca, kleine gefüllte Fleischrollen, schon zu Hause in der Pizzeria gern genannt hat. Und die Eltern sprechen mit den Gästen über die Landwirtschaft, viel Mais bauen sie an und vor allem Sorco, Hirse, für die großen Gemüsefabriken und die Schweinezüchter 'im Schinkental' drüben bei Parma. Selbst nur noch Schweinezucht zum Eigenbedarf. "Probieren Sie".
Die Bäuerin stellt eine Teller mit hellrosa, weißgeädertem Prosciutto vor sie hin, der duftet und schmeckt zart nach Walnüssen und Waldpilzen, dazu weißes Brot und eine Schale mit Esskastanien, auch der Wein ist eigene Ernte. Es rentiere kaum noch, sei schwer, immer schwerer. Doch der Hof ist seit Settecento, dem siebzehnten Jahrhundert, in der Familie. Der Bauer führt sie in den Vorraum und zeigt eine Datierung im Schluss-Stein des Portalbogens: 1653. Das hat der Ahne errichtet. Sesshaft sei die Familie wie die Steine des Hauses. Das gebe keiner freiwillig auf. Wohin dann auch, eine Arbeit bekomme jeder schwer. Und wir sind Bauern, haben nichts anderes gelernt. Gute Böden, gute Bauern, solide Gemäuer.
Nach dem gemeinsamen Abendessen, wenn Sandro erschöpft von den wechselvollen Ereignissen schläft, bleiben Frederick Färber und Katharina beim roten Landwein mit dem Schinken und den Kastanien noch sitzen und machen Pläne. Mit Frederick solle Katharina erst mal nach Graz, der älteste Sohn habe ein kleines Weingut in der Nähe, ernte steirischen Schilcher und grünen Veltliner. Zwischen den Weinfeldern unter den klappernden Klapotatzen, die die Vögel vertreiben, könne Sandro mit seinen Enkeln spielen, viel Platz sei im Hofgut. Er schlägt vor, erst einmal allein nach Frankfurt zu fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Ihn kennt dort keiner, und wo, wenn nicht dort, werden sie dich und Sandro zuerst suchen? Bei mir in Graz oder im Dorf in der Steiermark so dicht an der slowenischen Grenze vermutet dich keiner. Unabhängig bist du, in die Schule muss Sandro doch erst in zwei Jahren. Bis dahin hat sich alles, haben sich alle beruhigt. Katharina nickt schläfrig. An Sandros Zukunft und Sicherheit muss sie vor allem denkt, das stimmt.
"Buona Notte." Die schwarzgekleidete dünne Großmutter kommt herein, stellt einen Majolika-Krug voller Dahlien in die hinterste Fensternische vor die Madonnen-Statue aus hellblau und golden gemaltem Gips. Im Profil betrachtet kann man Sandros Assoziationen zur Märchenhexe verstehen: Hakennase und Kinn ragen weit vor aus dem mageren Gesicht. Die Fenster enden in Bögen wie in einer Kirche, meterdick sind die Steinwände. Auch in ihrem Zimmer, wo Sandro unruhig schläft. Auf der Hauptstraße am anderen Morgen schleppen sich die schweren Gemüselastwagen im Regenwetter nach Norden. Jede Ortschaft schiebt neue Autoschlangen in den zähen Verkehr. Aufdringlich ist vor allem der neue feuerrote, der rückt mir absichtlich dicht auf die Pelle. Kupplung treten - erster Gang - Kupplung loslassen - Gas geben - abbremsen. Heckscheibenheizung einschalten - Scheibenwischer abschalten - anschalten - alles nützt nichts mehr. Der Landregen geht in Wolkenbruch über. Der Westwind in Sturm. Außen. Innen:
"Vor uns drängen Autos und hinter uns, viel zu schnell, viel zu dicht; wenn es einmal weiter vorwärts ruckt, schieben sich die Fernlaster immer wieder zwischen Färbers und unseren Wagen, so dass wir uns aus den Augen verlieren. Vor allem diesen aggressiven LKW in Flammend-Orange werd ich nicht los, der lässt sich nicht abschütteln, überholt lebensgefährlich, als gelte es sein oder mein Leben. Wasser und Feuer zusammen bedrohen mich und mein Kind. Das Wasser des Wolkenbruchs bringt die Gefahr zu ertrinken; das Feuerrot die des Verbrennens. Ach was, Katharina, du spinnst, hast halt Angst. Sowieso ist seit Wochen viel zu viel vorgefallen. Wenn schon, ist hier und jetzt Erdrückt-Werden aktuell. Der hausgroße orange Anhänger tänzelt als übermächtiger Klotz auf dem nassen Asphalt, ich halte mir die Schläfen, spüre die Kanten bereits am Kopf, rufe dem Sohn Sandro zu: "Bleib unten. Setz dich ruhig hin." Wenn er sich immer zu mir vorlehnt, mir die Arme um den Hals schlingt: "Mamma, bist du wieder da. Liebe Mamma!" Nun drückt er seinen Kater Willi fest an sich und singt ein italienisches Lied vor sich hin. Das haben die Cousinen immer gesungen. Und er und der Cousin haben dazu Gitarre gespielt. Musiker könnte er werden. Zwischen zwei Lastwagen denke ich als seine Mutter über Sandros Zukunft nach. Geschickt mit den Händen ist er. Zimmermann kann er werden. Oder Architekt? Schließlich wird er einmal drei Frankfurter Mietshäuser erben. Klar, die großen Halbbrüder auch. Aber ihn sehe ich in diesen Häusern. Alles andere ist mir egal. Er soll machen, was er will. Hauptsache kein Gangster. Die Pizzeria bleibt, ohne Piero, den Vater. Neu verpachten? Bis Sandro groß ist. Wer weiß, was wird. Ich muss Pläne machen. Aber später. Aufpassen jetzt. Achtung, der feuerfarbene Teufelsfahrer hockt mir auf der Stoßstange. Vogelzeigen. Stinkefinger. Der Mann so hoch über mir grinst. Soweit ich das richtig erkennen kann. Überhaupt: kenne ich den? Wo hab ich das Ohrfeigengesicht schon gesehen? Aber ich sehe schon Gespenster. Ich brauch endlich Ruhe. Ich hatte nicht mehr recht daran geglaubt, auf die Rückreise mit dem Kind. Eigentlich so mit Sandro allein unterwegs ist es ein unverhoffter Heimweg in den Himmel. Nein. Sandro sieht das nicht so; er turnt schlecht gelaunt herum und fragt immerzu nach dem Vater. "Wo ist der Pappa? Wird der wieder gesund? Kommt der auch wieder wie du? Ich will nach Hause." - "Quengle nicht und hample nicht so im Wagen herum." Jetzt fängt es stärker an zu stürmen, kein Regnen ist das mehr wie auf der Hinfahrt. Zum Wolkenbruch kommt der Wind. Statt Straßenasphalt sehe ich einen wogenden See. Und wir fahren zwischen lauter Lastwagen mit Anhängern, schwankenden haushohen Schlachtschiffen, die Doppelräder allein sind hoch wie mein Wagen, jedenfalls gucke ich direkt in Augenhöhe auf rauchenden, tropfenden Gummi und auf eine Flut Wasser. Das kommt von allen Seiten, ich komme mir vor, als sei unser Volvo ins Meer gefallen. Wasser strudelt von oben, Regen umflutet die Scheiben in Massen, deren der Scheibenwischer nicht Herr wird, seitwärts peitscht und scheibt das Wasser, unter den Rädern spült es, als seien wir in der Adria. Durch das Blaue und Graue der Wassermassen blitzt es immer wieder apfelsinenfarben auf. Ich weiche dem orangeroten Lastwagen aus, der sich a wechselnd vor mir hält und mich nicht überholen lässt wie die anderen bisher, mich jetzt auf einmal überholen und weit vorfahren lässt, nein, wohl nur, um besser Gas geben zu können. Nun kommt er mir näher, nein, das ist nicht nur ein Rutschen, kein Unfall, das macht der absichtlich, der drängt und drückt mich, der will mich zerquetschen wie ein Insekt. Ich rutsche auf den vier Rädern und sehe Wasser und Wolken einswerden. Sandro schreit, umfasst mich von hinten mit beiden Armen vor Angst, irgendein weiches Fell schiebt sich hinein, nicht friedlich, fauchend, ein Tiger der Furcht kommt gesprungen. Da sehe ich nichts mehr, dann Wasser so transparent wie Eisblöcke, jetzt ebenso hart. Warum sonst der ätzende Schmerz, Stoß und Getöse. Die große dominierende Wolke saust auf mich zu, bebt, ist nichts als Wasserdunst und Dampf; "der Geist Gottes schwebte über den Gewässern", fällt mir wider Willen ein. Warum? Wolkengeist? Nein, ich weiß: Wolken sind gasig und glasig. Himmel und Adria sind blau und grau, das Kind läuft im Sand auf mich zu, sehe ich auf einmal klar, mit gebreiteten Armen und lacht. Ein Knall ist ohrenbetäubend, eine Explosion im Gehirn, der Volvo gondelt im schaumigen Wasser. Sind wir in Venedig? Ist das die Hochzeitsreise wie seit Jugendzeiten gewünscht? Mit dem Geliebten, der aus Italien kommt, mit seinem Sohn, Kind der Liebe. Zwischen Himmel und Erde. Wolken und Wasser. Viel zu viel Wasser. Überschwemmung in Venedig. Taufe in einer Lagune?
Taufe in Frankfurt, im Main? Alles geht sekundenlang rückwärts: Wir sind Zu Hause. In Frankfurt: Sandro liegt neugeboren auf mir. Piero umarmt mich vor dem ausglühenden Pizza-Ofen, das Licht kreiselt und spiegelt sich in den Scheiben, draußen dümpeln die Autos im Regen. Ganz ruhig, ganz ruhig, streichelt mich Piero, nun ist alles gut. Alles still.
FINE
Die Bäuerin stellt eine Teller mit hellrosa, weißgeädertem Prosciutto vor sie hin, der duftet und schmeckt zart nach Walnüssen und Waldpilzen, dazu weißes Brot und eine Schale mit Esskastanien, auch der Wein ist eigene Ernte. Es rentiere kaum noch, sei schwer, immer schwerer. Doch der Hof ist seit Settecento, dem siebzehnten Jahrhundert, in der Familie. Der Bauer führt sie in den Vorraum und zeigt eine Datierung im Schluss-Stein des Portalbogens: 1653. Das hat der Ahne errichtet. Sesshaft sei die Familie wie die Steine des Hauses. Das gebe keiner freiwillig auf. Wohin dann auch, eine Arbeit bekomme jeder schwer. Und wir sind Bauern, haben nichts anderes gelernt. Gute Böden, gute Bauern, solide Gemäuer.
Nach dem gemeinsamen Abendessen, wenn Sandro erschöpft von den wechselvollen Ereignissen schläft, bleiben Frederick Färber und Katharina beim roten Landwein mit dem Schinken und den Kastanien noch sitzen und machen Pläne. Mit Frederick solle Katharina erst mal nach Graz, der älteste Sohn habe ein kleines Weingut in der Nähe, ernte steirischen Schilcher und grünen Veltliner. Zwischen den Weinfeldern unter den klappernden Klapotatzen, die die Vögel vertreiben, könne Sandro mit seinen Enkeln spielen, viel Platz sei im Hofgut. Er schlägt vor, erst einmal allein nach Frankfurt zu fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Ihn kennt dort keiner, und wo, wenn nicht dort, werden sie dich und Sandro zuerst suchen? Bei mir in Graz oder im Dorf in der Steiermark so dicht an der slowenischen Grenze vermutet dich keiner. Unabhängig bist du, in die Schule muss Sandro doch erst in zwei Jahren. Bis dahin hat sich alles, haben sich alle beruhigt. Katharina nickt schläfrig. An Sandros Zukunft und Sicherheit muss sie vor allem denkt, das stimmt.
"Buona Notte." Die schwarzgekleidete dünne Großmutter kommt herein, stellt einen Majolika-Krug voller Dahlien in die hinterste Fensternische vor die Madonnen-Statue aus hellblau und golden gemaltem Gips. Im Profil betrachtet kann man Sandros Assoziationen zur Märchenhexe verstehen: Hakennase und Kinn ragen weit vor aus dem mageren Gesicht. Die Fenster enden in Bögen wie in einer Kirche, meterdick sind die Steinwände. Auch in ihrem Zimmer, wo Sandro unruhig schläft. Auf der Hauptstraße am anderen Morgen schleppen sich die schweren Gemüselastwagen im Regenwetter nach Norden. Jede Ortschaft schiebt neue Autoschlangen in den zähen Verkehr. Aufdringlich ist vor allem der neue feuerrote, der rückt mir absichtlich dicht auf die Pelle. Kupplung treten - erster Gang - Kupplung loslassen - Gas geben - abbremsen. Heckscheibenheizung einschalten - Scheibenwischer abschalten - anschalten - alles nützt nichts mehr. Der Landregen geht in Wolkenbruch über. Der Westwind in Sturm. Außen. Innen:
"Vor uns drängen Autos und hinter uns, viel zu schnell, viel zu dicht; wenn es einmal weiter vorwärts ruckt, schieben sich die Fernlaster immer wieder zwischen Färbers und unseren Wagen, so dass wir uns aus den Augen verlieren. Vor allem diesen aggressiven LKW in Flammend-Orange werd ich nicht los, der lässt sich nicht abschütteln, überholt lebensgefährlich, als gelte es sein oder mein Leben. Wasser und Feuer zusammen bedrohen mich und mein Kind. Das Wasser des Wolkenbruchs bringt die Gefahr zu ertrinken; das Feuerrot die des Verbrennens. Ach was, Katharina, du spinnst, hast halt Angst. Sowieso ist seit Wochen viel zu viel vorgefallen. Wenn schon, ist hier und jetzt Erdrückt-Werden aktuell. Der hausgroße orange Anhänger tänzelt als übermächtiger Klotz auf dem nassen Asphalt, ich halte mir die Schläfen, spüre die Kanten bereits am Kopf, rufe dem Sohn Sandro zu: "Bleib unten. Setz dich ruhig hin." Wenn er sich immer zu mir vorlehnt, mir die Arme um den Hals schlingt: "Mamma, bist du wieder da. Liebe Mamma!" Nun drückt er seinen Kater Willi fest an sich und singt ein italienisches Lied vor sich hin. Das haben die Cousinen immer gesungen. Und er und der Cousin haben dazu Gitarre gespielt. Musiker könnte er werden. Zwischen zwei Lastwagen denke ich als seine Mutter über Sandros Zukunft nach. Geschickt mit den Händen ist er. Zimmermann kann er werden. Oder Architekt? Schließlich wird er einmal drei Frankfurter Mietshäuser erben. Klar, die großen Halbbrüder auch. Aber ihn sehe ich in diesen Häusern. Alles andere ist mir egal. Er soll machen, was er will. Hauptsache kein Gangster. Die Pizzeria bleibt, ohne Piero, den Vater. Neu verpachten? Bis Sandro groß ist. Wer weiß, was wird. Ich muss Pläne machen. Aber später. Aufpassen jetzt. Achtung, der feuerfarbene Teufelsfahrer hockt mir auf der Stoßstange. Vogelzeigen. Stinkefinger. Der Mann so hoch über mir grinst. Soweit ich das richtig erkennen kann. Überhaupt: kenne ich den? Wo hab ich das Ohrfeigengesicht schon gesehen? Aber ich sehe schon Gespenster. Ich brauch endlich Ruhe. Ich hatte nicht mehr recht daran geglaubt, auf die Rückreise mit dem Kind. Eigentlich so mit Sandro allein unterwegs ist es ein unverhoffter Heimweg in den Himmel. Nein. Sandro sieht das nicht so; er turnt schlecht gelaunt herum und fragt immerzu nach dem Vater. "Wo ist der Pappa? Wird der wieder gesund? Kommt der auch wieder wie du? Ich will nach Hause." - "Quengle nicht und hample nicht so im Wagen herum." Jetzt fängt es stärker an zu stürmen, kein Regnen ist das mehr wie auf der Hinfahrt. Zum Wolkenbruch kommt der Wind. Statt Straßenasphalt sehe ich einen wogenden See. Und wir fahren zwischen lauter Lastwagen mit Anhängern, schwankenden haushohen Schlachtschiffen, die Doppelräder allein sind hoch wie mein Wagen, jedenfalls gucke ich direkt in Augenhöhe auf rauchenden, tropfenden Gummi und auf eine Flut Wasser. Das kommt von allen Seiten, ich komme mir vor, als sei unser Volvo ins Meer gefallen. Wasser strudelt von oben, Regen umflutet die Scheiben in Massen, deren der Scheibenwischer nicht Herr wird, seitwärts peitscht und scheibt das Wasser, unter den Rädern spült es, als seien wir in der Adria. Durch das Blaue und Graue der Wassermassen blitzt es immer wieder apfelsinenfarben auf. Ich weiche dem orangeroten Lastwagen aus, der sich a wechselnd vor mir hält und mich nicht überholen lässt wie die anderen bisher, mich jetzt auf einmal überholen und weit vorfahren lässt, nein, wohl nur, um besser Gas geben zu können. Nun kommt er mir näher, nein, das ist nicht nur ein Rutschen, kein Unfall, das macht der absichtlich, der drängt und drückt mich, der will mich zerquetschen wie ein Insekt. Ich rutsche auf den vier Rädern und sehe Wasser und Wolken einswerden. Sandro schreit, umfasst mich von hinten mit beiden Armen vor Angst, irgendein weiches Fell schiebt sich hinein, nicht friedlich, fauchend, ein Tiger der Furcht kommt gesprungen. Da sehe ich nichts mehr, dann Wasser so transparent wie Eisblöcke, jetzt ebenso hart. Warum sonst der ätzende Schmerz, Stoß und Getöse. Die große dominierende Wolke saust auf mich zu, bebt, ist nichts als Wasserdunst und Dampf; "der Geist Gottes schwebte über den Gewässern", fällt mir wider Willen ein. Warum? Wolkengeist? Nein, ich weiß: Wolken sind gasig und glasig. Himmel und Adria sind blau und grau, das Kind läuft im Sand auf mich zu, sehe ich auf einmal klar, mit gebreiteten Armen und lacht. Ein Knall ist ohrenbetäubend, eine Explosion im Gehirn, der Volvo gondelt im schaumigen Wasser. Sind wir in Venedig? Ist das die Hochzeitsreise wie seit Jugendzeiten gewünscht? Mit dem Geliebten, der aus Italien kommt, mit seinem Sohn, Kind der Liebe. Zwischen Himmel und Erde. Wolken und Wasser. Viel zu viel Wasser. Überschwemmung in Venedig. Taufe in einer Lagune?
Taufe in Frankfurt, im Main? Alles geht sekundenlang rückwärts: Wir sind Zu Hause. In Frankfurt: Sandro liegt neugeboren auf mir. Piero umarmt mich vor dem ausglühenden Pizza-Ofen, das Licht kreiselt und spiegelt sich in den Scheiben, draußen dümpeln die Autos im Regen. Ganz ruhig, ganz ruhig, streichelt mich Piero, nun ist alles gut. Alles still.
FINE