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# 005
IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 005). Zu Gast: Tom Schulz
So viel Himmelsblau,
an diesem Morgen,
der sich berauscht an seiner Endlichkeit,
den Himmel austrinken,
als wäre mein Durst zu löschen,
besoffen von so viel Himmelsblau
mein Fest feiern,
blökende Schafswolken
an diesem Morgen,
ich mittendrin,
betrunkener Schäfer,
wir rufen die Wölfe
und lassen uns das Fell abziehen,
Gesang zwischen den Zähnen,
so viel Himmelsblau.
Das ist ja ein hübsches Gedicht – und das ist natürlich keine fundierte Aussage. Von wem das wohl ist? Ich würde mir wünschen, dass es von H.C. Artmann wäre, aber es ist sicherlich nicht von H.C. Artmann. (lacht) Es könnte jedenfalls in seine Richtung gehen. Ich würde sagen, dass das ein Gedicht aus dem 20. Jahrhundert ist, kein ganz aktuelles. Es hat einige doch sehr traditionelle Anklänge. Es gibt einige Fügungen in dem Gedicht, die sehr offensichtlich sind, die für meinen Geschmack zu nahe liegen. Die Einfälle sind zu leicht hergeholt, die „blökenden Schafswolken“ etwa. Der Ansatz ist konventionell, aber trotzdem hält das Gedicht in meinen Augen die Wage. Vielleicht ist das kein Gedicht, das ich in den nächsten Wochen noch einige Male wieder lesen möchte, aber andrerseits gelingt es in sich und man legt es mit einem guten Gefühl beiseite. Es klingt ein wenig nach den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Woran würden Sie das fest machen?
Naja, man hört traditionelle Anklänge, aber mit ihnen wird recht wenig gewagt. „Wir rufen die Wölfe“, das ist, wenn man die pastorale Situation ernst nimmt, schon ein Wagnis, das der Text ansagt. Die Frage ist, ob er das einlöst, ob er denn tatsächlich Wölfe ruft – und ich glaube eigentlich nicht. Aber das ist okay. Im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass das Gedicht (auch abgesehen von den Wölfen) etwas vorgibt, das es zwar nicht einlösen kann, aber es ist auch nicht so, dass der Text daran scheitern würde. Obwohl da Wölfe sind, ist es bestimmt kein Enzensberger, zum Glück auch kein Grass. Je genauer ich es mir ansehen, desto mehr sticht mir auch der Bruch des vierten Verses ins Auge: „den Himmel austrinken“. Die Zeile müsste länger sein, anders gebaut, um diese rhythmische Unebenheit zu vermeiden. Insofern wird es wieder wahrscheinlicher, dass das Gedicht gar nicht aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ist, sondern vielleicht ein späterer Reflex auf diese Poetik. Da ist eine Schwachstelle im Gedicht, es müsste anders gebrochen sein. Dieses Detail wirft ein Licht auf den Autor. „Betrunkener Schäfer“, es wäre auch denkbar, dass eine Autorin diese männliche Sprechrolle einnimmt, aber das glaube ich nicht. Das würde es auch nicht wesentlich besser machen. Es ist ein hübsches Gedicht, aber ich vermute, dass ich es doch relativ schnell wieder vergessen haben werde, weil es mir (und das ist selbstverständlich so ein blöder Satz) nichts wirklich Neues sagt. Ich kann mich nirgends so richtig in das Gedicht einhängen.