# 005

IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 005). Zu Gast: Tom Schulz

III.

 

Morgen Mittag Abend undsoweiter

Samstag Sonntag Montag undsofort

März April bedeckt Mai heiter

Juni Juli und August verdorrt.


Hier ist meine Mütze und mein Schuh.

Und jetzt zieh ich die Gardinen zu.


Das ist ein Gedicht, das völlig das einlöst, was es verspricht. Das ist es, was man sich wünscht. Es gibt so viele Spielarten von Gedichten. Sicher wird der eine immer Benn Ringelnatz oder Tucholsky vorziehen; das sind auch zeitliche Koordinaten, die mir gleich einfallen. „Hier ist meine Mütze und mein Schuh.“, das klingt wie eine Reminiszenz an Günter Eichs „Inventur“, das mit „Dies ist meine Mütze, / dies ist mein Mantel“ beginnt. Bei diesem Gedicht gibt es bekannte Anklänge, aber ich wäre doch vorsichtig. Das muss nicht unbedingt Frankfurter Schule sein, muss nicht in Richtung Gernhard gehen. Aber es könnte jemand sein, der in einer ähnlichen Tradition schreibt.

Reim ist ja, auch heute, gar nicht so selten und außergewöhnlich, wie man meinen könnte.

Das liegt sicherlich auch daran, dass man im Laufe des Lebens wieder zu bestimmten Formen zurückfindet. Es gibt die These, dass der vers libre das schwerste ist, was man schreiben kann, und alle traditionell gefügten Formen einfacher zu bewältigen sind. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Denn wir können ja beobachten, dass junge Dichterinnen und Dichter vom freien Vers kommen, von der Prosa in Versen – sodass der Eindruck entsteht, es sei einfacher ein Gedicht als eine Erzählung zu schreiben. Hier in diesem Gedicht sind die Reime auch nicht mehr die frischesten, „undsoweiter“, man kennt das schon – aber genau davon handelt der Text auch. Er handelt von Versatzstücken und Wiederholungen. Da blitzt auch etwas Morgenstern auf. Es hat Witz und nimmt eine Position gegen die Ernsthaftigkeit ein. Ernsthaftigkeit kann zum Problem werden. Wenn der Autor es nicht schafft, sich auch selbst auf den Arm zu nehmen, mit Distanz und einem Lächeln auf das zu Blicken, was er tut. Ironie kann auch nicht immer die Lösung gegen den Ernst sein, sie ist Gedichten oft eher schädlich. Hier ist es mit Witz gelöst und das ist eine Qualität dieses Gedichtes.

Ist es dadurch ein Abgesang auf Eichs „Inventur“?

Das wäre eine mögliche Lesart. Die erste Strophe mit ihren Tages- und Jahreszeiten macht aber ein ganz anderes System auf als das „Inventur“-System. Ich glaube nicht, dass der Eich-Bezug für den Autor vorrangig war. Das Ich des Gedichtes wird wohnlich in der Wiederkehr des Immergleichen, es entsteht kein Eindruck von Langweile oder Dürftigkeit, „undsoweiter undsofort“ entschärfen es auf der Stelle. Es ist offensichtlich, dass das Gedicht auch einen parodistischen Ansatz verfolgt. Es möchte nicht mehr sein, als es ist. Mir liegt das. Ich muss außerdem ständig an das Gedicht „Die Trichter“ von Christian Morgenstern denken: „fließt weißes Mondlicht / still und heiter / auf ihren / Waldweg / u.s. / w.“